Bayerns Ärzte arrangieren sich mit Zwangsrekrutierung

Würzburg – Nachdem Bayern in der Coronapandemie den Katastrophenfall ausgerufen hat, sind in Würzburg die ersten Ärzte für die Versorgung von Pflegeheimen zwangsrekrutiert worden. Ärzteorganisationen lehnen die neuen Regeln der „Bekanntmachung zum Vollzug des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes sowie des Infektionsschutzgesetzes“ des Innen- und Gesundheitsministeriums ab. An der Basis gibt es aber auch Stimmen, die Verständnis zeigen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) bewertete den Weg des Freistaats zur Zwangsrekrutierung von Ärzten als „nicht notwendig“, wie der KVB-Vorstand dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) auf Anfrage sagte. Nun gehe es aber darum, dass alle Beteiligten konstruktiv zusammenarbeiten, um die Pandemie wirksam einzudämmen und die Patientenversorgung bestmöglich zu gewährleisten.
Würzburg sei bislang eine Ausnahme, so die KVB. Im eigenen Mitgliedermagazin hatte der KVB-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Krombholz zuvor formuliert, die Zwangsrekrutierung von Ärzten sei „absolut kontraproduktiv“ und werde „klar abgelehnt“.
Das Vorgehen anderer Bundesländer zeige, dass es auch ohne Zwang gehe, hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Anfang April in einer Pressekonferenz zum Bayerischen Vorgehen erklärt. Zwang sei „der völlig falsche Weg“ um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu organisieren, sagte KBV-Chef Andreas Gassen.
Ein stetiger Austausch zwischen den verpflichteten Ärzten und Katastrophenschutzbehörden sei unabdingbar, erklärte die Bayerische Landesärztekammer dem DÄ. Niemandem sei damit gedient, „wenn Verpflichtungen von medizinischem Personal nicht in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen“. Auch müssten die beschlossenen Anordnungen immer wieder an die aktuelle Lage angepasst werden.
Auch wenn es aktuell gelte, gemeinsam den Katastrophenfall zu bewältigen, wies der Bayerische Hausärzteverband auf strukturelle Defizite in der Pandemiebekämpfung hin. Er wolle nach der Krise von der Politik Änderungen fordern, betonte der Verband gegenüber dem DÄ.
Kommunen entscheiden über Zwangsrekrutierungen
In den Kommunen und bei Ärzten vor Ort gibt es Stimmen, die die Vorgaben der Bekanntmachung für sinnvoll halten und den Schritt der bayerischen Politik nachvollziehen können. „Die Idee war, die ärztliche Versorgung zu sichern, Kontakte der Bewohner zu minimieren und eventuell mit weniger Schutzausrüstung auskommen zu können“, sagte der Leiter der Pressestelle der Stadt Würzburg, Christian Weiß, dem DÄ.
Der von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am 16. März festgestellte Katastrophenfall hat die Kommunalebene zur Umsetzung der „Bekanntmachung zum Vollzug des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes sowie des Infektionsschutzgesetzes“ verpflichtet. 71 Landkreise und 25 kreisfreie Städte mussten unter anderem einen Versorgungsarzt bestimmen, der die Katastrophenschutzbehörde in Planung und Koordination der medizinischen Versorgung unterstützen soll. Wenn Ärzte zwangsrekrutiert werden, wird das ebenfalls auf Kommunalebene entschieden.
Die Stadt Würzburg nutzte das Instrument als eine der ersten Kommunen. Sie hatte im März besonders viele COVID-19-Fälle in Altersheimen verzeichnet und erließ daraufhin am 1. April eine Allgemeinverfügung, die den Zutritt zu den Heimen beschränkte. Sie schrieb vor, dass die Versorgung der Pflege- und Behindertenheime von einzelnen ausgewählten Ärzten getragen werden muss. Allen Übrigen wurde der Zutritt zu den Heimen untersagt. Bei Verletzung dieser Auflagen drohen hohe Bußgelder.
Notwendigkeit zum schnellen Handeln
Medien hatten berichtet, dass es bei dieser Verpflichtung von Ärzten zu einer ungleichen Verteilung auf die Pflegeheime gekommen sein soll. Das wies Würzburgs Pressesprecher Christian Weiß im Gespräch mit dem DÄ zurück. „Das Vorgehen war der Notwendigkeit zum schnellen Handeln geschuldet“, erklärte er aber zugleich. Die erste Aufteilung sei mittlerweile in einigen Bereichen vom zuständigen Versorgungsarzt modifiziert worden.
Weiß zufolge habe sich die Stadt sehr konkrete Gedanken gemacht, wie die Versorgung in der Krise gesichert werden kann. Zunächst sei bei Pflege- und Behinderteneinrichtungen abgefragt worden, welche Hausärzte dort bekannt seien, weil sie mehrere Bewohner betreuten. Danach sei auch die Nähe der Praxen zur betroffenen Einrichtung als Kriterium mit einbezogen worden, erläuterte Weiß.
Zudem seien Ärzte aus Gemeinschaftspraxen bevorzugt worden, damit die reguläre Versorgung habe weiter aufrechterhalten werden können. Anschließend seien den Einrichtungen je nach Bewohneranzahl Ärzte zugeteilt worden: Mindestens zwei Ärzte, bei mehr als 100 Bewohnern drei, erklärte er weiter. Nach Angaben der Stadt sind bislang rund 80 Würzburger Ärzte auf verschiedene Heime für die Versorgung eingeteilt worden, darunter 23 Altenheime und 27 Behinderteneinrichtungen.
Wie viele Ärzte in Bayern insgesamt verpflichtet worden sind und für welche Aufgaben sie eingesetzt werden, konnte das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege trotz mehrfacher Nachfrage nicht beantworten. Bayern ist das einzige Bundesland, das bei der Zusammenarbeit mit den Ärzten auf eine Art Zwang setzt. Alle anderen Bundesländer vertrauen auf die freiwillige Mitarbeit.
Die Basis zeigt Verständnis
Einer der Ärzte, die die Würzburger Heime betreuen, ist Gabriel Schober. Er ist, gemeinsam mit einigen wenigen anderen Ärzten, für die Bewohner von drei Altenheimen zuständig, darunter auch das Hans-Sponsel-Haus, das aktuell in Bayern mit am stärksten von COVID-19 betroffen ist. Dort meldete er sich freiwillig, da er viele der Bewohner bereits seit Jahren versorgt.
„Die Entscheidung in der damals kritischen Situation, den Heimen Ärzte zuzuordnen, war richtig“, sagte er dem DÄ. „Aber die Art und Weise der Aufteilung war nicht immer stimmig“, räumte er ein. Berichte von Ärzten, die bis zu fünf Heime gleichzeitig betreuen müssten, kennt Schober, nennt sie jedoch „zu einfach“.
Die Versorgung verschieden großer Heime benötige auch unterschiedlich viel Aufwand, so der langjährige Hausarzt: „Es macht natürlich auch einen großen Unterschied, wie stark die Heime von Corona betroffen sind“. Ein COVID-19-Ausbruch sei in kleineren Pflegeheimen oder in ländlichen Regionen mit geringerer Arztdichte deutlich schwieriger zu stemmen.
Schober betonte, es seien bevorzugt Ärzte eingeteilt worden, die bereits vor der Krise Heimbewohner betreut hatten. Jene, die sich seit Jahren aus der Heimversorgung herausgehalten hätten, seien durch das Auswahlverfahren der Stadt nicht einbezogen worden. Die den Patienten bekannten Haus- und Fachärzte seien jedoch auch weiterhin die Ansprechpartner, wenn es um die Behandlung der Heimbewohner gehe.
Aber einzig die fest zugeteilten Ärzte dürften die Bewohner vor Ort untersuchen und versorgen. „In der Hochphase der Infektionen waren wir drei Kollegen zum Teil mehrfach täglich dort, jetzt nur noch für wöchentliche Visiten oder in Bereitschaftsdiensten“, berichtet Schober.
Drei Ärzte statt 40
Im Hans-Sponsel-Haus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) waren zuletzt 58 der 98 Bewohner COVID-19-positiv gemeldet – in der Testreihe vergangener Woche waren es noch 13 positive Fälle, alle ohne akute Symptome. Seit dem ersten positiven Test Ende März starben in dem Heim 19 Menschen an den Folgen der Infektion mit SARS-CoV-2.
Von den rund 60 Pflegefachkräften des Hauses seien aktuell 22 mit positiven Abstrichen in Heimquarantäne. Die AWO habe bereits früh ihre Tagespflegestationen geschlossen. Daher stünde jetzt trotzdem ausreichend Personal bereit, um die Betreuung zu sichern, erklärte der Leiter des Hauses, Jürgen Görgner, im Gespräch mit dem DÄ.
Seinem Heim wurden im Zuge der Würzburger Allgemeinverordnung drei Ärzte zugewiesen. „Vorher waren es circa 40 Ärzte, die hier regelmäßig ein und ausgingen“, berichtet er – eine deutliche Kontakt- und Risikoreduktion. Seiner Ansicht nach hätte sich die ärztliche Betreuung durch die engmaschigen Kontrollen sogar verbessert.
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