Bundessozialgericht bestätigt Mischpreisbildung von Arzneimitteln

Kassel – Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Mischpreisbildung bei der Verhandlung von Arzneimittelpreisen heute in zwei Urteilen (Az.: B 3 KR 20/17 R, B 3 KR 21/17 R) für rechtmäßig erklärt und damit eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg aus dem vergangenen Jahr aufgehoben. Das LSG hatte geurteilt, Preise für Arzneimittel, deren Zusatznutzen sich nicht auf alle Patienten bezieht, seien nicht wirtschaftlich. Dies sah der 3. Senat des BSG heute anders.
Gegen die Bildung eines Mischpreises bestünden „keine durchgreifenden allgemeinen rechtlichen Bedenken“, hieß es vom Bundessozialgericht. Nach dem Arzneimittelpreisrecht gelte für ein Arzneimittel grundsätzlich nur „ein“ Preis und daran anknüpfend auch nur ein festzulegender, von den Krankenkassen zugunsten des betroffenen pharmazeutischen Unternehmens zu leistender Erstattungsbetrag, erläuterte das Gericht.
Mischpreise gleichen sich aus
Bei einer am Zusatznutzen orientierten Kalkulation sei daher die Bildung eines Mischpreises unerlässlich, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einem Beschluss zur frühen Nutzenbewertung den Zusatznutzen oder die zweckmäßige Vergleichstherapie für unterschiedliche Patientengruppen verschieden bewertet habe.
„Die Festsetzung eines Erstattungsbetrages erfolgt in erster Linie in einem von nur wenigen gesetzlichen Vorgaben flankierten Verhandlungsprozess. Erstattungsbeträge in Form von Mischpreisen verstoßen dabei grundsätzlich weder gegen normative Regelungen einschließlich des Wirtschaftlichkeitsgebots noch gegen Verfassungsrecht“, schreibt das BSG. Als Durchschnittswert, der die unterschiedlichen Nutzenbewertungen der gesamten Patientenpopulationen berücksichtige, würden sich die teils zu hohen und teils zu niedrigen Erstattungsbeträge bei einer Gesamtbetrachtung im Endeffekt ausgleichen, wenn die Verteilung des Arzneimittels auf Patienten mit und ohne Zusatznutzen rechnerisch angemessen berücksichtigt werde.
Keine Aussagen zu Regressen
In Bezug auf die Regressgefahr für Ärzte äußerte sich das Gericht nicht. „Ob und unter welchen Voraussetzungen sich die verordnenden Vertragsärzte einer Regressgefahr aussetzen, wenn sie im Einzelfall ein Arzneimittel in der Patientengruppe ohne Zusatznutzen zum Mischpreis verordnen, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung“, so der 3. Senat. Denn dies habe auf die durchschnittliche Wirtschaftlichkeit des festzulegenden Mischpreises keinen Einfluss. „Dass Vertragsärzte im Einzelfall das bei gleichem medizinischen Nutzen wirtschaftlichste Arzneimittel zu verordnen haben, bleibt von der Mischpreisbildung grundsätzlich unberührt“, hieß es.
Der Schiedsstelle sprachen die Richter in beiden Urteilen Spielraum zu und stärkten ihr damit den Rücken. Der von der beklagten Schiedsstelle konkret festgesetzte Erstattungsbetrag sei „revisionsrechtlich nicht zu beanstanden“. „Bei der Festlegung des Erstattungsbetrags überschritt die Beklagte nicht ihren – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Gestaltungsspielraum“, so die Richter. Anhaltspunkte für sachwidrige Erwägungen oder Willkür ergäben sich nicht.
Nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) verhandeln der GKV-Spitzenverband und der jeweilige Arzneimittelhersteller den Preis eines neuen Medikaments auf Basis des Zusatznutzens, den der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für dieses Arzneimittel festgelegt hat. Bisweilen erkennt der G-BA einen Zusatznutzen dabei nur für bestimmte Patientensubgruppen an. Dennoch wird bei den Preisverhandlungen ein einheitlicher Preis gebildet, der sowohl den Zusatznutzen für einen Teil der Patienten berücksichtigt als auch den nicht vorhandenen Zusatznutzen für den anderen Teil der Patienten.
Das LSG erklärte in seinem Urteil, dieser Mischpreis könne nicht für das gesamte Anwendungsgebiet des betreffenden Arzneimittels als wirtschaftlich gelten, sondern nur bei den Patienten, bei denen es einen Zusatznutzen hat. Für Ärzte bedeutete dieses Urteil: Wenn sie ein Arzneimittel Patienten aus Subgruppen verordnen, für die das Arzneimittel keinen Zusatznutzen hat, riskieren sie einen Regress.
Industrie zufrieden
Die Pharmaverbände begrüßten das Urteil des BSG. „Ein funktionierendes System gibt man nicht so einfach auf“, betonte die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelherstelle (vfa), Birgit Fischer. „Im Ergebnis bestätigt auch das Bundesozialgericht diese jahrelange Praxis, dass für ein verschreibungspflichtiges Medikament auch ein einheitlicher Erstattungsbetrag der Krankenkassen gelten soll: Für ein Arzneimittel gilt also auch weiterhin ein Preis."
„Das BSG hat bestätigt: Der Mischpreis für AMNOG-bewertete Produkte ist sinnvoll und funktioniert“, kommentierte der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Martin Zentgraf. „Eine wirtschaftliche Versorgung liegt damit in der Verhandlungsverantwortung von Krankenkassen und der Hersteller; zu Mischpreisen gibt es keine gangbare Alternative.“ Wirtschaftlichkeitsprüfungen gegenüber den Ärzten müssten nun der Vergangenheit angehören. Ärzte müssten ohne Angst vor Regressen entscheiden können, was für ihre Patienten die beste und nicht allein die wirtschaftlichste Therapie ist.
„Die Entscheidung, dass die Mischpreisbildung rechtmäßig ist, ist eine gute Nachricht für Patienten und Ärzte“, betonte Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH). „Die seit Jahren praktizierte Mischpreisbildung sichert Patienten den Zugang zu Arzneimittelinnovationen und stärkt Ärzte in ihrer therapeutischen Freiheit.“
Können sich GKV-Spitzenverband und Hersteller nicht auf einen Preis einigen, entscheidet die AMNOG-Schiedsstelle. Deren Vorsitzender Jürgen Wasem erklärte im Anschluss an das Urteil auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, Mischpreise seien bei Patientengruppen mit unterschiedlichem Zusatznutzen unerlässlich. Er forderte den Gesetzgeber auf, die Datenbasis für den Mischpreis zu verbessern und die Rechtsunsicherheit bei Verordnungen von Arzneimitteln ohne Zusatznutzen zu verringern.
Eine Bewertung des unterlegenen GKV-Spitzenverbandes gab es am Abend nach der Entscheidung noch nicht.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: