Coronakrise: Kontroverse Debatte um Regeln in Deutschland

Berlin – In Deutschland wird erneut kontrovers über das Maß der Lockerungen in der Coronakrise debattiert. Hintergrund sind Vorhaben aus Thüringen und Sachsen, die Einschränkungen weitgehend aufzuheben. Zugleich gab es viele Neuinfizierte nach einem Restaurantbesuch in Niedersachsen und einem Gottesdienst in Frankfurt am Main.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte am Wochenende angekündigt, die allgemeinen Schutzmaßnahmen vom 6. Juni an aufzuheben. Damit würden landesweite Regeln zu Mindestabständen, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen nicht mehr gelten.
Anstatt dieser Vorgaben soll es dann regionale Maßnahmen abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort geben. Dafür ist ein Grenzwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche im Gespräch.
„Wir haben im März auf der Grundlage von Schätzungen von 60.000 Infizierten entschieden – jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte“, sagte Ramelow der Bild am Sonntag. „Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht – zwingt uns nun aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln.“
Allerdings sagte Ramelow heute Nachmittag, er werde dem Kabinett vorschlagen, „dass zum Beispiel in den öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin der Mund-Nasen-Schutz bleiben soll“. Morgen soll im Kabinett über Details beraten werden.
„Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Coronaschutzverordnung einen Paradigmenwechsel“, sagte Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD).
„Statt wie jetzt generell Beschränkungen zu erlassen und davon viele Ausnahmen für das zu benennen, was wieder möglich ist, wird dann generell alles freigegeben und nur noch das Wenige an Ausnahmen benannt, was noch nicht möglich sein wird“, erklärte Köpping. Zuvor hatte die Leipziger Volkszeitung berichtet. Die Regierung beobachte das Infektionsgeschehen sehr genau, um zu beurteilen, wir die aktuellen Maßnahmen wirken, sagte die Ministerin.
„Viel hängt davon ab, dass die Menschen Verantwortung übernehmen und sich an Abstandsgebot und Maskenpflicht halten. Man sieht bei den Infektionen in Gaststätten, Schulen, Kitas oder Gottesdiensten, wie schnell es zu einem Ausbruch kommen kann.“ Ob und wann die Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung und zum Abstandhalten aufgehoben wird, sollte bundesweit gemeinsam entschieden werden.
Heftige Kritik aus der Bundespolitik
Die Ankündigung stieß auf zum Teil heftige Kritik. In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums war von einem „verheerenden“ Signal die Rede, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß. Man sei von den Plänen Ramelows überrascht worden. Kritik kam demnach etwa vom saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans und von NRW-Regierungschef Armin Laschet.
Hans (CDU) warnte in der Welt ebenfalls vor zu schnellen Lockerungen. „Unser aller Job in der Politik ist jetzt nicht alleine, Sehnsüchte zu stillen“, sagte er der Zeitung. Es gehe darum, „weiter nüchtern, verantwortungsvoll und wissenschaftsgeleitet abzuwägen“.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte der Bild, es dürfe in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei. Zwar gebe es Regionen, in denen tagelang keine Neuinfektionen gemeldet würden. Andererseits gebe es lokale und regionale Ausbrüche, die schnelles Eingreifen erforderlich machten. Die Verantwortung dafür liege bei den Ländern.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete die Ankündigung als „fatales Signal“. Er bitte die Verantwortlichen in dem Nachbarland darum, die Absicht zu überdenken, sagte Söder am Rande eines Besuches in einem Kindergarten in Nürnberg.
„Wir in Bayern waren besonders betroffen dadurch, dass wir an einer Grenzsituation zu Österreich waren. Wir haben jetzt die aktuelle Situation, dass wir beispielsweise im Raum Coburg eben von Sonneberg betroffen sind“, sagte Söder mit Blick auf den thüringischen Nachbarlandkreis.
Bayern kündigt Gegenmaßahmen an
Er kündigte im Zweifel Gegenmaßnahmen an. „Wir werden uns da noch ein Konzept überlegen müssen, wie wir darauf reagieren“, sagte der Regierungschef aus München. „Ich möchte nicht, dass Bayern noch mal infiziert wird, durch eine unvorsichtige Politik, die in Thüringen gemacht wird.“
Skeptisch zeigte sich auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Die Vorgänge in Leer und in Dissen zeigen, dass wir nach wie vor sehr vorsichtig sein und die Vorgaben beachten müssen“, sagte Weil der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung mit Blick auf Coronafälle nach einem Restaurantbesuch in Leer und in einem Schlachthof in Dissen.
Der Ausbruch in Leer wird in Zusammenhang mit der Wiederöffnung eines Restaurants in geschlossener Gesellschaft gebracht. In Frankfurt am Main kam es zu mehreren Infektionen nach einem Gottesdienst in einer Baptistengemeinde.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat die Bundesregierung aufgefordert, ein Signal gegen die angekündigten Lockerungen der allgemeinen Auflagen in Thüringen zu setzen. Mit dieser Entscheidung drohe ein bundesweiter Wettlauf der Länder bei Lockerung der Restriktionen, „der aus medizinischer Sicht katastrophal wäre“, sagte er der Rheinischen Post. Das Coronakabinett solle „unbedingt ein Gegensignal setzen, um das zu verhindern“.
Der SPD-Politiker appellierte an Ramelow, seine Entscheidung zurücknehmen. Dieser setze wichtige Erfolge im Kampf gegen die Pandemie, um die Deutschland international beneidet werde, „fahrlässig aufs Spiel“, kritisierte der SPD-Bundestagsabgeordnete.
Die Bundesregierung will offenbar weiter auf Kontaktbeschränkungen setzen. Nach dem Willen des Bundes sollten sich wieder zehn Personen treffen dürfen und die Kontaktbeschränkungen bis zum 5. Juli verbindlich in Kraft bleiben. Das steht in einer Vorlage des Kanzleramts für eine Schalte mit den Ländern. Zuvor hatte die Bild berichtet.
Der Bund schlägt dem Papier zufolge vor, private Treffen auf maximal zehn Menschen oder Angehörige zweier Haushalte zu beschränken. Sie sollen sich in der Öffentlichkeit oder zu Hause treffen dürfen. Hygiene- und Abstandsregeln seien weiter zu beachten.
Sind die Räume zu Hause zu klein, sollten sich nur so viele Personen versammeln, dass die Schutzregeln eingehalten werden können. Der Raum sollte ausreichend gelüftet werden. Wegen des deutlich geringeren Infektionsrisikos sollte man sich aber nach Möglichkeit im Freien verabreden.
Der Personenkreis, mit dem man Kontakt hat, sollte möglichst klein und konstant gehalten werden. Das gelte vor allem für Kinder, bei denen die Schutzmaßnahmen oft nicht konsequent umgesetzt werden könnten. Veranstaltungen und Versammlungen mit eigenem Hygienekonzept seien separat zu betrachten. Wo es die Infektionszahlen erfordern, sollten weitergehende Kontaktbeschränkungen erlassen werden.
In der Öffentlichkeit sollte weiterhin der Mindestabstand von eineinhalb Metern eingehalten werden. Auch die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sollte in bestimmten öffentlichen Bereichen weiter gelten. Abstands- und Hygieneregeln müssten „so lange in das Alltagsleben integriert bleiben, wie die Pandemie nicht durch einen Impfstoff oder ein Heilmittel überwunden ist“, heißt es in dem Papier.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in ihrem wöchentlichen Podcast die Maßnahmen erneut verteidigt. „Dieses Virus ist eine Zumutung für unsere Demokratie“, sagte sie. Dennoch seien die Beschränkungen „notwendig“ gewesen. Bei den Lockerungen der Maßnahmen müsse die Verhältnismäßigkit der Beschränkungen gewahrt bleiben. Es müsse immer wieder begründet werden, „warum wir etwas noch nicht aufheben und warum wir etwas schon lockern können“, sagte Merkel.
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