Debatte um Immunitätsausweis hält an

Berlin – Sollen Bürger, die eine Coronainfektion überstanden haben, künftig einen Immunitätsausweis erhalten? Dieser Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird weiter heftig diskutiert.
Der Deutsche Ethikrat hat gestern erstmals darüber beraten und am Abend mitgeteilt, man wolle dem Thema noch mehr Zeit widmen. Dies sei „als Wertung der Komplexität der Lage zu verstehen, die noch intensivere und umfänglichere Abwägungen verlangt“.
Unterdessen rät der Lübecker Mikrobiologe Werner Solbach von der Einführung ab. „Wir wissen nicht, ob der Mensch, der Antikörper hat, wirklich geschützt ist“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland heute. Eine jüngst von ihm in Lübeck abgeschlossene Studie an 110 Infizierten habe viele Uneindeutigkeiten zu Tage gefördert.
Zahlreiche Patienten hätten zwar eine deutlich spürbare COVID-19-Erkrankung durchgemacht, aber keine Antikörper aufgewiesen. Umgekehrt habe es Infizierte gegeben, die zwar keine oder fast keine Symptome hatten, aber später deutlich messbare Antikörper im Blut zeigten. Die Ergebnisse legten es daher nicht nahe, jemandem aufgrund von Antikörpertests Immunität zuzusagen.
Spahn hatte nach Protesten Anfang Mai das Thema auf Eis gelegt und den Ethikrat eingeschaltet, um die ethischen Konsequenzen eines solchen Ausweises überprüfen zu lassen. Befürworter argumentieren, für Bürger, die die Krankheit überstanden hätten, könnten möglicherweise Kontaktverbote aufgehoben werden.
Die Weltgesundheitsorganisation hatte allerdings betont, es gebe derzeit keinen Nachweis, dass Menschen, die sich von COVID-19 erholt und Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt seien.
Spahn hatte außerdem selbst die Frage gestellt, ob man so gravierende Unterschiede zwischen den Menschen machen darf, die schon immun sind, und denen, die die Krankheit noch nicht gehabt haben. Immerhin gehe es um Einschränkungen von Grundrechten.
Kritiker befürchten, dass durch den Immunitätsausweis eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen könnte: Menschen, die von Corona genesen sind, dürften Partys feiern. Diejenigen, die sich an alle Regeln gehalten haben und noch nicht erkrankt sind, dürften das nicht.
Denkbar wäre dann, dass sich Menschen bewusst infizieren, um danach ihre Freiheitsrechte wieder genießen zu können. Das würde nach Ansicht von Kritikern sehr schnell die Fallzahlen in die Höhe treiben.
Datenschützer warnen zudem, dass Arbeitgeber oder Versicherungen künftig Immunitätsnachweise verlangen könnten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) erklärte, es handele sich um Gesundheitsdaten, die besonders zu schützen seien und nicht zu Diskriminierung führen dürften.
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