Politik

Debatte um Verbot bestimmter individueller Gesundheits­leistungen

  • Donnerstag, 4. April 2024
Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung. /picture alliance, dpa, Britta Pedersen
Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung/picture alliance, dpa, Britta Pedersen

Berlin – In der Ampelkoalition mehren sich die Stimmen, Patienten besser vor wissenschaftlich zweifelhaften Selbstzahlerleistungen in der Arztpraxis zu schützen. Angestoßen hatte die Debatte der Patienten­beauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD). Die Ärzte weisen die Anschuldigungen zurück.

„Leistungen, die von den medizinischen Fachgesell­schaften als schädlich bezeichnet werden, haben in Arzt­praxen nichts zu suchen und gehören verboten, auch im Rahmen von IGeL“, hatte Schwartze heute dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und damit eine erneute Debatte ausgelöst.

Konkret nannte Schwartze die Ultraschalluntersuchung zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Ge­bärmutter. Diese Untersuchung sei eine der am meisten verkauften Leistungen. Sie schade aber, weil es häufig falsch-positive Befunde gebe und dadurch unnötige weitere Untersuchungen und Eingriffe folgten, erklärte er. „Hier werden junge Frauen ohne Not in Angst und Schrecken versetzt. Diese Untersuchung wird deshalb auch von den gynäkologischen Fachgesellschaften abgelehnt.“

„Es braucht unübersehbar ein Update des in die Jahre gekommenen Patientenrechtegesetzes“, sagte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen. Verbessert werden müsse etwa der Schutz vor nicht evidenzbasierten Behandlungen, vor Behandlungen also, bei denen die Wirksamkeit nicht erwiesen sei.

Dahmen sagte: „Es ist besorgniserregend, in welchem Umfang einzelne Praxen sich statt auf die Erbringung bedarfsnotwendiger Angebote entsprechend des Standes der Wissenschaft auf lukrative IGeL-Leistungen fokussiert haben.“ Damit zögen sie die redliche und wichtige Arbeit der überwältigenden Mehrheit der Arzt­praxen in Misskredit.

Berufsverband der Frauenärzte reagiert verärgert

Der Berufsverband der Frauenärzte sah sich heute zu einer Richtigstellung genötigt. Der Verband betonte, dass die Frauenärztinnen und -ärzte keinen eingeschränkten „Ultraschall der Eierstöcke zur Früherkennung von Krebs“ anböten.

Die benannte Selbstzahlerleistung sei vielmehr „eine umfassende Ultraschalluntersuchung des kleinen Beckens. Diese schließe die Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Harnblase und die Zwischenräume zwischen Harnblase, Vagina und Darm bis zum Beckenboden ein, hieß es.

Dieser transvaginale Ultraschall, bei dem die Situation im gesamten kleinen Becken untersucht werde, werde ebenso wie auch der Ultraschall der Brust von den Krankenkassen nur dann bezahlt, wenn ein konkreter Krankheitsverdacht bestehe – also etwa Symptome oder insbesondere ein auffälliger Tastbefund vorhanden seien. Die Frauenärzte könnten diese Leistung ohne konkreten Krankheitsverdacht also nur als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) zur Verfügung stellen.

Der Verband betonte weiter, dass dieser Ultraschall etwa als Komplementierung der regulären gynäkologi­schen Untersuchung unter bestimmten Bedingungen durchaus sinnvoll sei. Das gelte zum Beispiel bei über­gewichtigen Mädchen und Frauen und bei solchen, bei denen durch die Anspannung der Bauchdecke kein eindeutiger Tastbefund möglich sei, wie es hieß.

Darüber hinaus könne man mit dieser Untersuchung auch Veränderungen entdecken, die noch keine Sympto­me verursachten und auch einem Tastbefund gar nicht zugänglich wären. „Eine Behandlung orientiert sich dann an individuellen Faktoren wie unter anderem Beschwerden, der Einschätzung des Komplikations- und auch Entartungsrisikos und dem weiteren Verlauf.“

Der Verband wies auch die Behauptung zurück, ein Ultraschall würde unnütze Operationen nach sich ziehen. Vor einer solchen OP würden im Krankenhaus zunächst – ebenfalls per Ultraschall und gegebenenfalls weiterer bildgebender Verfahren – die Indikation überprüft.

„Anstatt Patientinnen zu suggerieren, einzelne Untersuchungen hätten keinen konkreten Nutzen und würden mehr Schaden als Nutzen anrichten, sollte die Informiertheit der Patientin und deren Selbstbestimmung gefördert werden“, so der Berufsverband.

Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben einen Leitfaden zu Selbst­zahler­leistungen in einer gemeinsamen Fassung für Patienten sowie Ärzte herausgegeben, der helfen soll, aufzuklären. Die KBV warnte heute: „IGeL-Leistungen sollten nicht generell verteufelt werden“, wie ein Sprecher sagte.

„Medizinische Leistungen werden in Arzt­praxen nicht im rechtsfreien Raum erbracht“, erinnerte auch der Bundes­vorsitzende des Virchowbundes, Dirk Heinrich. Die Grundlage dafür sei die vom Staat erlassene Gebühren­ordnung für Ärzte (GOÄ).

„Das weiß auch der Patientenbeauftragte“, sagte Heinrich. Dieser müsse zudem wissen, dass diese Gebüh­renordnung in wesentlichen Teilen aus dem Jahre 1982 stamme und nur teilweise 1995 neu gefasst worden sei. „Für eine novellierte GOÄ haben die Ärzteschaft und die Kostenträger in den letzten Jahren umfangreiche Arbeiten erbracht, sodass eine aktuelle Gebührenordnung auf dem Tisch der Politik liegt.“

Heinrich betonte, wenn es der Patientenbeauftragte mit dem Patientenschutz ernst meine, dann solle er dafür sorgen, dass die novellierte GOÄ endlich von Bundesgesundheitsminister und Parteikollegen Karl Lauterbach umgesetzt werde.

„Populistische Forderungen, wie Individuelle Gesundheitsleistungen in den Praxen zu verbieten, gehen am eigentlichen Problem vorbei, fallen gar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, sind politische Nebelkerzen und ein plumper Versuch, sich auf Kosten der Ärzteschaft zu profilieren“, so Heinrich.

Patientenrechtegesetz auf dem Prüfstand

Schwartzes Angaben zufolge will die Ampelkoali­tion es Opfern von Behandlungsfehlern künftig leichter machen, Recht zu bekommen. Die Gespräche mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über eine Reform des Patientenrechtegesetzes seien auf einem guten Weg.

„Die Betroffenen scheitern meist daran zu beweisen, dass der Schaden allein durch einen Behandlungsfehler verursacht wurde“, erläuterte er. Dieser Vollbeweis sei extrem schwer zu erbringen. „Deshalb setzte ich mich dafür ein, dass künftig die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht.“ So sei es zum Beispiel auch in Öster­reich und der Schweiz.

Bei den Patientenrechten müsse auch die Transparenz für Patienten erhöht werden, sagte Dahmen. Die Regeln für die inzwischen überwiegend digitalisierte Behandlungsdokumentation müssten aktualisiert werden.

Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz erregt die Gemüter

Dahmen betone heute auch, es sei wichtig, dass das geplante Gesundheitsversorgungs­stärkungsgesetz nun zügig komme. Mit dem Gesetz will die Koalition unter anderem Hausarztpraxen durch den Wegfall von Bud­getobergrenzen stärken. Dahmen verspricht sich von dem Gesetz unter anderem eine bessere Finanzierung der hausärztlichen Versor­gung und weniger Bürokratie in den Arztpraxen.

Dahmen sagte, alle Koalitionspartner müssten für eine schnelle Umsetzung des Versorgungsstärkungs- und des Patientenrechtegesetzes „am selben Strang ziehen“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits vergangenes Jahr Verbesserungen beim Patientenrechtegesetz angekündigt.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin hatte bei dem Thema heute Tempo angemahnt. „Die Entbudgetie­rung bei den Hausärztinnen und Hausärzten, also der vollständigen Bezahlung ihrer Leistungen, die sie am Patienten erbringen, muss jetzt kommen“, hieß es von der KV. Die Zeit für Diskussionen sei vorbei und eine rausgezögerte Entbudgetierung, die gegebenenfalls erst 2025 komme, nicht hinnehmbar.

Der KV-Vorstand appelliert auch an die Berliner Politik: „Ein großes Hindernis bei der Niederlassung sind die hohen Gewerbemieten, mit denen Ärzte, und insbesondere junge Ärzte, die sich neu niederlassen möchten, eine Praxis oft nicht wirtschaftlich führen können. Wir fordern daher eine Deckelung der Gewerbe­mieten für Praxen. Dies müsste angesichts einer gewünschten wohnortnahen ambulanten Versorgung auch im Sinne der Bezirke sein.“

dpa/EB

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung