Deutschland setzt nicht mehr auf eigene Impfstoffbeschaffung

Brüssel/Berlin – Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, nicht mehr selbst mit potenziellen Impfstofflieferanten zu verhandeln. Die europäische Kommission schließt im Namen aller 27 Partnerländer Abkommen über den Einkauf von mehreren Millionen Impfdosen mit verschiedenen Herstellern. In diesem gesamteuropäischen Konzept geht auch die Impfallianz aus Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden auf.
Das geht aus einem internen Papier der Kommission hervor. Demnach haben die vier beteiligten Länder die EU beauftragt, ihren bereits mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca geschlossenen Vertrag über 300 Millionen Impfdosen zu übernehmen und diesen für alle 27 Mitgliedstaaten weiter zu verhandeln. Mittlerweile hat die EU die Vereinbarung um eine Option auf weitere 100 Millionen Impfdosen erweitert.
„Die Vertragsverhandlungen mit den Impfstoffherstellern sind von der EU-Kommission übernommen worden und dauern noch an“, bestätigte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Anfrage. Zu etwaigen Inhalten könnten noch keine näheren Auskünfte erteilt werden.
Impfkommission veröffentlicht erste Empfehlung zu Schutzimpfung
Impfstrategien, die festlegen, welche Schutzimpfungen die gesamte Bevölkerung oder bestimmte Risikogruppen zu welchem Zeitpunkt und in welchen Intervallen erhalten sollen, sollen jedoch in nationaler Verantwortung bleiben. Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) hat dazu heute eine erste Stellungnahme vorgelegt.
Seit Mai war eine Arbeitsgruppe damit beschäftigt, Studien und andere empirische Daten zu sichten, nachdem das BMG die STIKO mit der Priorisierung der zu impfenden Gruppen beauftragt hatte.
Demnach sei damit zu rechnen, dass Anfang 2021 ein oder mehrere Impfstoffe zum Schutz vor COVID-19 in der EU zugelassen werden könnten. Es sei aber anzunehmen, dass nicht von Anfang an genügend Impfstoff zur Verfügung stehe, um der gesamten Bevölkerung eine Impfung anbieten zu können.
Ziel sei es, mithilfe einer Priorisierung auch unter diesen Umständen schwere Erkrankungen und Todesfälle bestmöglich zu vermeiden. So solle etwa das medizinische und pflegerische Versorgungssystem geschützt sowie der Schutzbedarf von Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit mit vielen Menschen in Kontakt kommen oder besonders exponiert sind, berücksichtigt werden.
Angesichts der limitierten Datenlage zu den Impfstoffen, müssten die ersten Empfehlungen zu einer Priorisierung auch auf Grundlage von Annahmen getroffen werden, heißt es in der Stellungnahme. Diese würden aber unter Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse laufend aktualisiert.
Verteilungsschlüssel nach Bevölkerungszahl
Vor diesem Hintergrund ist die von der EU geplante Verteilung von Impfstoffen besonders interessant. Die Aufteilung des Zugangs zu Impfstoffdosen zwischen den Mitgliedstaaten würde nach einem Verteilungsschlüssel anhand der Bevölkerungszahl erfolgen, heißt es in einer Mitteilung der Kommission an den europäischen Rat und das Parlament.
Dazu, welche Mengen an Impfstoff sich die EU im Rahmen der Verhandlungen insgesamt sichern will, gibt es bisher keine offizielle Aussage. „Wir besprechen den jeweiligen Bedarf mit den Mitgliedstaaten und identifizieren auf dieser Basis ein Beschaffungsziel“, erklärte ein Kommissionssprecher auf Anfrage.
Bezahlen müssen die Nationalstaaten die ihnen durch die Abkommen zustehenden Impfstoffmengen selbst. Die geschlossenen Vereinbarungen sind keine Kaufverträge, sondern es handelt sich dabei um Garantien auf das Recht, „innerhalb eines bestimmten Zeitraums und zu einem bestimmten Preis eine bestimmte Anzahl von Impfstoffdosen kaufen zu können“, heißt es in der Kommissionsmitteilung.
Für diese Abnahmegarantien übernehme die EU einen Teil der Vorlaufkosten der Impfstoffhersteller. Finanziert werden diese aus dem sogenannten Emergency Support Instrument (ESI), den die EU im Rahmen der Coronakrise bereitgestellt und mit derzeit 2,7 Milliarden Euro ausgestattet hat.
Produktion in Europa ist Voraussetzung
Ein „erheblicher Teil“ dieser Summe soll für die Abnahmegarantien bereitstehen, heißt es in dem Papier weiter. Sobald sich ein Impfstoff als effektiv und sicher erweise, könnten die Mitgliedstaaten diesen dann auf Grundlage der Abkommen direkt beim Hersteller erwerben.
Neben dem Abkommen mit AstraZeneca wurde nach Angaben der EU auch mit dem französischen Pharmakonzern Sanofi, der gemeinsam mit dem britischen Unternehmen GlaxoSmith an einem Impfstoff arbeitet, über die Abnahme von 300 Millionen Dosen verhandelt sowie mit dem belgischen Unternehmen Janssen Pharmaceutica, das zum US-Pharmariesen Johnson und Johnson gehört, über die Abnahme von 200 Millionen Dosen mit der Option auf weitere 200 Millionen Dosen.
Voraussetzung für jegliche Verhandlungen sei eine ausreichende Produktionskapazität innerhalb Europas, so der Kommissionssprecher. Der Sitz des jeweiligen Unternehmens müsse dafür nicht in Europa sein. Darüber hinaus müssten sich die Hersteller dazu verpflichten, ihre Produkte auch außerhalb Europas anzubieten.
„Wir wollen eine Produktion in Europa, aber zum Nutzen für Europa und den Rest der Welt“, heißt es in dem internen Papier. Dafür habe man für die Auswahl potenzieller Partner globale Solidaritätskriterien entwickelt.
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