RKI bewertet Gefährdungslage für Risikogruppen als „sehr hoch“

Berlin – Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch das Coronavirus SARS-CoV-2 aktuell als „hoch“ – und für Risikogruppen als „sehr hoch“ – ein. Das zeigt eine überarbeitete Risikobewertung des RKI, die das Institut heute online auf seiner Internetseite veröffentlicht hat.
Im Vergleich zur bisherigen Version (29.7.2020) gebe es Anpassungen der Beschreibung der Entwicklung der epidemiologischen Lage im Abschnitt „Risikobewertung“ sowie Ergänzungen im Abschnitt „Übertragbarkeit und Krankheitsschwere“, heißt es.
Das RKI schreibt in der Bewertung, dass es sich „weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“ handelt. So nehme die Zahl der Fälle weltweit zu. In Deutschland sei die Anzahl der neu übermittelten Fälle seit etwa Mitte März bis Anfang Juli rückläufig gewesen, nehme seitdem aber stetig zu.
Der Anstieg habe sich „in den letzten Wochen deutlich beschleunigt“. Gleichzeitig nehme die Anzahl derjenigen Landkreise ab, die in den letzten sieben Tagen keine Fälle gemeldet hätten.
Dem RKI zufolge kommt es „bundesweit zu größeren und kleineren Ausbruchsgeschehen“. Diese stünden „insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis und bei Gruppenveranstaltungen“. Auch Reiserückkehrer, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen, trügen zu dem Anstieg der Fallzahlen bei.
Das RKI macht noch einmal deutlich, dass SARS-CoV-2 grundsätzlich leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Zu beachten sei unter anderem, dass die Aerosolausscheidung bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark ansteige. So steige das Risiko einer Übertragung ohne Mindestabstand von 1,5 Metern in Innenräumen deutlich.
Übertragungsrisiko auch im Freien
Aber auch im Freien bestehe ein „erhöhtes Übertragungsrisiko“, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten werde – etwa wenn Gruppen von Personen an einem Tisch säßen oder es größere Menschenansammlungen gäbe.
Die Belastung des Gesundheitssystems bewertet das RKI derzeit „in weiten Teilen“ des Landes als „noch gering“. Diese könne aber örtlich „sehr schnell zunehmen“ und dann insbesondere das öffentliche Gesundheitswesen, aber auch die Einrichtungen für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung stark belasten.
Zur Krankheitsschwere betont das RKI in der aktuellen Fassung der Risikobewertung, dass bei der überwiegenden Zahl der Fälle die Erkrankung mild verläuft und die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zunimmt.
Allerdigs könne das individuelle Risiko anhand der epidemiologischen/statistischen Daten „nicht abgeleitet werden“. So könne es auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, seien „derzeit noch nicht abschätzbar“.
Für die weitere Entwicklung in der Pandemie ist es für das RKI von „entscheidender Bedeutung“, die Zahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern. Dadurch solle Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten und Impfstoffen gewonnen werden. Auch sollten so Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden, heißt es.
Am bisherigen Strategiekurs hält das Institut fest. So blieben weiter „intensive gesamtgesellschaftlicher Gegenmaßnahmen“ nötig, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren.
Dazu zählten weiterhin Hygienemaßnahmen, Abstandhalten, Einhalten von Husten- und Niesregeln, Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung/Alltagsmaske in bestimmten Situationen (AHA-Regeln) sowie eine gute Belüftung beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen.
Themen wie Impfen, Großveranstaltungen, Fußballspiele oder auch Teststrategien sind in der überarbeiteten Risikobewertung nicht enthalten. Diese Aspekte fanden sich zuletzt in einer fälschlich vom RKI veröffentlichten Fassung eines „Positionspapiers“. Das Papier hatte das Institut noch am selben Tag wieder zurückgezogen. Wann die korrekte Fassung veröffentlicht wird, ist unklar.
RKI prüft korrigierte Corona-Studie zum Ansteckungszeitraum
Das RKI kündigte heute laut einer Sprecherin auch an, eine korrigierte Coronastudie aus China zum zeitlichen Verlauf der Ansteckungsgefahr „gründlich überprüfen“ zu wollen. Dabei geht es unter anderem darum, ab wann ein Mensch das Virus weitergeben kann.
Dieser Wert spielt bei der Kontaktverfolgung eine Rolle: Wie weit zurück sollten die Kontakte eines nachweislich Infizierten überprüft werden, wer muss eventuell in Quarantäne?
Das RKI schreibt auf seiner Seite, dass vermutlich ein beträchtlicher Anteil der Ansteckungen auf Kontakte zu Infizierten in den ein bis zwei Tagen vor deren Symptombeginn zurückgehe. Dabei beruft sich das RKI auch auf die nun korrigierte Untersuchung.
Ein Team um Gabriel Leung von der Universität Hongkong hatte bereits im April in Nature Medicine über den zeitlichen Verlauf der Ansteckungsgefahr berichtet. Nun haben diese Forscher ihre Angaben in einigen Punkten korrigiert.
Unter anderem schreiben sie nun: „Unsere Analyse legt nahe, dass die Freisetzung von Viren fünf bis sechs Tage vor dem Auftreten erster Symptome beginnen könnte.“ Zuvor war in dieser Passage von „zwei bis drei Tagen“ die Rede gewesen.
Auf seiner Seite schreibt das RKI, dass als Kontaktperson gilt, wer „ab dem zweiten Tag vor Auftreten der ersten Symptome“ mit einem Infizierten zu tun hatte. Dieser Angabe lägen „verschiedene Studien und eigene Erfahrungen“ zugrunde, teilte die RKI-Sprecherin weiter mit. Man habe bislang „mit den zwei Tagen vor Symptombeginn gute Erfahrungen gemacht“.
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