Diagnosekodierung: Bundesversicherungsamt appelliert an Krankenkassen

Bonn – In der Diskussion um mögliche Datenmanipulationen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat der Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA) an die Verantwortung der Krankenkassen appelliert. „Jede Krankenkasse ist mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der GKV und für das Vertrauen der Versicherten in das Versorgungssystem. Ich erwarte von den Krankenkassen, dass sie sich dieser besonderen Verantwortung bewusst sind und der rechtskonformen Erhebung und Meldung der für den Risikostrukturausgleich (RSA) maßgeblichen Daten die größtmögliche Bedeutung beimessen“, schrieb Frank Plate in einem Brief an die Kassen.
Prüfungen auch vor Ort möglich
Die Einnahmemaximierung auf Kosten anderer Krankenkassen dürfe nicht Triebfeder des Handels einer Krankenkasse sein, so der BVA-Präsident. Er kündigte an, dass er die neuen durch das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz eröffneten Möglichkeiten konsequent anwenden werde, um die Beeinflussung von Diagnosedaten im Zusammenhang mit dem RSA zu verhindern. „Ich behalte mir vor, bei allen am RSA teilnehmenden Krankenkassen zukünftig Prüfungen auch vor Ort durchführen zu lassen“, heißt es in dem Brief.
Hintergrund sind die Regelungen des RSA, die verhindern sollen, dass sich Krankenkassen nur um junge und gesunde Mitglieder bemühen. Deshalb erhalten die Krankenkassen höhere Zuwendungen aus dem RSA, je kränker und älter eine Person ist. Allerdings versuchten die Krankenkassen in der Vergangenheit deshalb, ärztliche Diagnosen so zu beeinflussen, dass sie möglichst hohe Zuweisungen aus dem System erhalten.
Zuletzt hatte ein Gutachten des IGES-Instituts in Berlin untersucht, ob Krankenkassen möglicherweise besondere Versorgungsverträge bevorzugt für Diagnosen abschließen, die im RSA relevant sind, also für jene 80 Krankheiten, die im Ausgleichssystem der Krankenkassen finanziell besonders berücksichtigt werden.
„Dabei ist natürlich zu bedenken, dass RSA-relevante Diagnosen Krankheiten mit einem intensiven Behandlungsbedarf repräsentieren. Derartige Krankheiten gibt es jedoch auch jenseits des RSA-Ausgleichs. Wenn nur solche Krankheiten vergütet werden, die im RSA enthalten sind, verdient das genauere Betrachtung“, sagte Karsten Neumann, Geschäftsführer am IGES-Institut und Studienautor.
Die IGES-Autoren haben daher mit Stand Ende 2016 35 öffentlich verfügbare Betreuungsstrukturverträge und 72 ebenfalls veröffentlichte Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) aus dem gesamten Bundesgebiet analysiert. Die Mehrzahl der Betreuungsstrukturverträge vergütet danach ausschließlich solche Diagnosen, die im Morbi-RSA zu zusätzlichen Zuweisungen führen. Bei einigen Verträgen zeigt sich eine fast 100-prozentige Übereinstimmung. Auch bei den HzV-Verträgen reichen die durchschnittlichen Anteile der vergüteten Diagnosen, die zugleich Morbi-RSA-Diagnosen sind, von 94 Prozent in Bayern bis zu 73 Prozent in Baden-Württemberg.
Der Gesetzgeber hat daher im Rahmen des zum 11. April 2017 in Kraft getretenen Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes Regelungen geschaffen, welche die Manipulationsmöglichkeiten einschränken sollen und die Krankenkassen verpflichten, bei Prüfungen des BVA aufklärend mitzuwirken. So hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die von Ärzten an die Kassenärztlichen Vereinigungen übermittelten Diagnoseschlüssel unverändert an die Krankenkassen zu übermitteln sind. Eine erneute Übermittlung in korrigierter oder ergänzter Form ist nur bei technischen oder formalen Datenfehlern zulässig. Grundsätzlich ist die nachträgliche Änderung oder Ergänzung von Diagnosedaten unzulässig.
Das BVA weist in seinem Brief darauf hin, dass auch die Beratung des Arztes oder Psychotherapeuten durch die Krankenkasse oder durch einen von der Krankenkasse beauftragten Dritten im Hinblick auf die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen unzulässig ist. „Unzulässig ist auch eine beratende Beeinflussung des Kodierverhaltens über den Einsatz von Praxissoftware“, heißt es in dem Schreiben.
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