Studie lässt Manipulationen beim Risikostrukturausgleich vermuten

München – Hinweise darauf, dass Krankenkassen Diagnosen beeinflussen, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten, liefert eine neue Studie der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwigs-Maximilians-Universität München zusammen mit dem Center for Global Development in den USA und dem Bundesversicherungsamt (BVA). Die Autoren hatte Zugriff auf rund 1,2 Milliarden Diagnosedaten aus den Jahren 2008 bis 2013, die die Krankenkassen dem Bundesversicherungsamt im Rahmen des Risikostrukturausgleichs gemeldet haben.
In ihrer Studie weisen die Autoren systematische Änderungen der gemeldeten Diagnosen im Zeitverlauf nach. Die Ergebnisse sind als sogenanntes CESifo-Working Paper veröffentlicht. „CESifo“ ist die „Munich Society for the Promotion of Economic Research“. Dies wiederum sind das Ludwigs‐Maximilians University’s Center for Economic Studies und das Ifo-Institut.
TK brachte Debatte ins Rollen
Bereits im vergangenen Herbst sorgten Vorwürfe des Chefs der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, für Aufsehen, aber auch für Widerspruch. Im Zentrum steht der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (mRSA). Aus diesem erhalten die Krankenkassen seit dem Jahr 2009 mehr Geld für Versicherte mit Krankheiten, die besonders häufig, langwierig und teuer in der Behandlung sind.
Zu den ausgewählten 80 Krankheiten gehören unter anderen Diabetes, Hämophilie und verschiedene Krebserkrankungen. Der Solidarausgleich über den mRSA soll dafür sorgen, dass Krankenkassen, die überproportional viele kranke Mitglieder haben, im Wettbewerb finanziell nicht benachteiligt sind.
„Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich die Häufigkeit jener Diagnosen, die beim RSA eine Rolle spielen, seit der Reform verändert hat“, erläuterte Amelie Wuppermann, Juniorprofessorin für Mikroökonometrie an der LMU. Die Studie zeige, dass die Häufigkeit jener Diagnosen, die beim RSA relevant sind, seit Einführung der Reform überproportional gestiegen ist.
„Unser Studiendesign lässt den Schluss zu, dass dies eine Folge der vermehrten Aufzeichnung dieser Diagnosen durch Ärzte ist und dass nicht etwa die Verbreitung dieser Krankheiten gestiegen ist“, sagte Wuppermann. Ob und wie Krankenkassen diese Veränderungen veranlasst haben könnten, lasse sich jedoch anhand der Daten nicht sicher belegen. „Eine Möglichkeit waren die sogenannten Betreuungsstrukturverträge, die zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen geschlossen wurden und wonach Ärzte für bestimmte Diagnosen zusätzlich Geld erhielten“, erklärte Wuppermann.
BVA schickte Schreiben an Kassen und Ärzte
Erst vor wenigen Tagen hat das Bundesversicherungsamt in einem Schreiben an die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung nochmals klargestellt, dass Krankenkassen Ärzte für die Kodierung von Diagnosen nicht zusätzlich zur normalen Vergütung finanzielle Anreize bieten dürfen. Zuvor hatten die Krankenkassen einen entsprechenden Brief erhalten.
Heute stellte das BVA auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes klar, dass sich die Aufsichtsbehörden der Länder und das BVA in der gestrigen Arbeitsgruppensitzung auf ein einheitliches Vorgehen verständigt haben, um einer ungerechtfertigten Einflussnahme auf die Datengrundlagen für den Risikostrukturausgleich entgegenzuwirken.
„Sowohl das Bundesversicherungsamt als auch die Landesaufsichten haben bereits umfangreich problematische Verträge aufgegriffen und auf Anpassungen beziehungsweise Kündigungen hingewirkt“, erklärte ein BVA-Sprecher. Er kündigte an, die Aufsichtsbehörden würden die Thematik weiter beobachten und auf der nächsten Aufsichtsbehördentagung im November erörtern.
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