Digitalisierung laut KBV in einer „Sackgasse“

Berlin – Die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei „weit entfernt von positiven Superlativen“, sagte heute Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Dies liege aber nicht an den Praxen, betonte er auf der heutigen KBV-Vertreterversammlung.
Wenn man die fehlende Akzeptanz in der Zielgruppe bemängele, dann müsse man die Attraktivität der Produkte überdenken, betonte Kriedel. Es spreche Bände, dass die per freier Nachfrage wählbare Digitalisierung in den Praxen seit Jahren geräuschlos und problemlos wachse – „im Gegensatz zur staatlich oktroyierten TI und allem, was da dranhängt“.
Neben der elektronischen Patientenakte (ePA) müsse man auch den elektronischen Medikationsplan, den Notfalldatensatz und das elektronische Rezept (eRezept) als „Flop“ bezeichnen. Bezüglich der Probleme mit den Konnektoren für die Telematikinfrastruktur (TI) sprach Kriedel von einem „Debakel“.
Hinzu käme die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), welche in den Praxen einen jährlichen Mehraufwand von 1,25 Millionen Stunden verursache. Kriedel warnte davor, dass zum Jahreswechsel möglicherweise ein weiteres eAU-Problem drohe. Arbeitgeber sollen ab dann die eAU elektronisch vom Kassenserver abrufen.
„Dem Vernehmen nach wissen die wenigsten Arbeitgeber davon, noch werden sie organisatorisch wie technisch in der Lage dazu sein. Gelingt der Start des Arbeitgeberverfahrens nicht, heißt das möglicherweise noch mehr Aufwand in den Praxen“, so Kriedel. Daher habe die KBV beim Bundesarbeitsministerium (BMAS) sowie dem Arbeitgeberverband (BDA) darauf gedrängt, einen reibungslosen Start sicherzustellen.
Grundsätzlich seien in den letzten Jahren bei der Digitaliserung im Gesundheitswesen „ganz schwerwiegende Anfängerfehler“ gemacht worden, resümierte Kriedel. „Die einen wurden gegängelt anstatt sie zu motivieren, die anderen hingegen nicht in die Pflicht genommen. Man hat sich erpressbar gemacht zum Vorteil der Industrie und dann geht die Politik hin und beschwert sich über die Selbstverwaltung, die blockiere.“
Letzterer Vorwurf sei „haltlos“ und müsse aufhören – angesichts gebrochener Versprechungen bezüglich einer Mehrwert-bringenden Digitalisierung sei die Stimmung bei Ärzten und Psychotherapeuten ohnehin schon „mies“. Benötigt würden „brauchbare Produkte“.
Das in der neuen Digitalisierungsstrategie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die ePA den Dreh- und Angelpunkt bilden soll, wirke „auf den ersten Blick schlüssig“. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die Gematik liefen aber in Gefahr, die TI damit zu überfordern, warnte Kriedel. „Wir wissen ja nicht einmal, ob die TI die Volllast schultern kann, wenn Rezepte und AUs komplett digital laufen.“
Aktuell bleibe der KBV nur die Option, sich „im sehr begrenzten Rahmen der zugestandenen Möglichkeiten“ einzubringen und mit der Praxis-Erfahrung möglichst konstruktiv mitzugestalten – in entscheidenden Fragen sei man in der Gesellschafterversammlung der Gematik am BMG gescheitert.
Auch die Finanzierung müsse für eine erfolgreiche Digitalisierung geklärt sein, forderte Kriedel. Hier brauche es eine neue Systematik. Er wiederholte nachdrücklich die KBV-Forderung, wonach sämtliche TI-Komponenten staatlicherseits als Infrastrukturaufgabe bereitgestellt und finanziert werden müssten.
Mit Blick auf aktuelle Gesetzesvorhaben zu einer TI-Pauschale ergänzte er, es dürfe nicht passieren, dass die Praxen „noch auf Jahre in Vorleistung gehen und mit monatlichen Stotterbeträgen abgespeist werden“. Man fordere verbindliche Preisverhandlungen zwischen Industrie und Kassen.
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