Ärzteschaft

KBV will Finanzierungs­verhandlungen reformieren

  • Freitag, 2. Dezember 2022
Die Delegierten der KBV-Vertreterversammlung bei der Abstimmung. /KBV
Die Delegierten der KBV-Vertreterversammlung bei der Abstimmung. /KBV

Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will Anpassungen der gesetzlichen Vorgaben für die Finanzierungsverhandlungen mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Einen entsprechenden Antrag hat die KBV-Vertreterversammlung heute in Berlin beschlossen. Die KBV soll nun Vorschläge entwickeln, die den politischen Entscheidungsträgern zugeleitet werden.

Der im September ausgehandelte Anstieg des Orientierungswertes um zwei Prozent auf 11,4915 Cent hat in vielen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Unmut und Frust hervorgerufen. Dieser Wert sei „in Nordrhein nicht mehr vermittelbar“, erklärte der dortige Vorstandsvorsitzende Frank Bergmann heute in Berlin.

Während die Politik Milliarden Euro für den stationären Sektor ausgebe, sei es „Strategie und ideologische Absicht“, den ambulanten Sektor kaputtzusparen. „Das Ausmaß der Respektlosigkeit aus der Politik hat ein nicht mehr tolerables Maß erreicht“, klagte er.

Es brauche nicht weniger als ein neues Grundverständnis des Verhältnisses zur Politik: „Wir müssen die Rolle der KVen und der Vertragsärzte neu aushandeln“, forderte Bergmann. Die Finanzierungsverhandlungen seien ein entscheidender Bestandteil dessen.

Im einstimmig angenommenen Antrag der KV Nordrhein stellen Bergmann und seine Vorstandskollegen Carsten König und Jens Uwe Wasserberg eine Reihe von Forderungen: So dürften die geplanten Veränderungen zur Anpassung der Morbirate auf eine ausschließlich diagnosebezogene Veränderungsrate nicht erst 2028 umgesetzt werden, sondern möglichst früh. Es sei erforderlich, dass die Leistungstiefe eine stärkere Berücksichtigung bei der Morbirate erhält.

Außerdem müssten die regionalen Vereinbarungspartner gestärkt werden. „Es muss möglich sein, auf regionaler Ebene zu besonderen Vereinbarungen zu gelangen, um den Besonderheiten vor Ort gerecht werden zu können“, heißt es im Antrag.

Es solle deshalb geprüft werden, ob der Grundsatz der strikten Einheitlichkeit, beispielsweise für förderungswürdige Leistungen mit extrabudgetärer Vergütung, aufgehoben werden sollte.

Entscheidend für ein modernes Finanzierungssystem sei darüber hinaus die Berücksichtigung aktueller Kostenentwicklungen. Man müsse sich möglichst schnell vom Jahresscheibenmodell verabschieden und an seine Stelle eine Prognose der Kostenentwicklung im Folgejahr setzen.

Hier müsse die Politik auf Bundes- und Landesebene bedeutend mehr tun, um die Kostenexplosionen durch Energiepreissteigerung und Inflation abzufedern, fordern die KVen Bremen und Niedersachsen in einem ebenfalls angenommenen Antrag. Statt auf „De-Professionalisierungsinitiativen wie Gesundheitskioske“ zu setzen erwarte er von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach „deutliche und klare Zeichen, dass der ambulante Sektor unterstützt wird“, erklärte der Bremer KV-Vorstandsvorsitzende Bernhard Rochell.

Vor allem mit Blick auf die demographische Entwicklung und den in den kommenden Jahren bevorstehenden Renteneintritt von rund 30 Prozent der Ärzteschaft seien nun Investitionen nötig, „damit wir auch in zehn Jahren noch ein Gesundheitswesen haben, das seinen Namen verdient“, betonte er.

Die Bundesregierung müsse mit Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in einen sachlichen Dialog zu weiteren Missständen, die die Praxen belasten, treten und gemeinsam Lösungen schaffen, heißt es im Antrag: „Wenn die Politik die Praxen mit der Kostenkrise und den sich weiter ergebenen Missständen alleine lässt, werden viele bewährte ambulante Versorgungsstrukturen nicht alleine weitergehen können, sondern alleingelassen sterben müssen.“

Digitalisierungsfinanzierung ebenfalls anpassen

Auch bei der Finanzierung der Komponenten für die Telematikinfrastruktur (TI) muss sich aus Sicht der Vertreterversammlung grundlegend etwas ändern: Nach dem die KBV jüngst ein Alternativkonzept zur TI-Pauschale vorgelegt hat, die die Bundesregierung plant, hat nun auch das Plenum einen dahingehenden Antrag der KVen Nordrhein und Rheinland-Pfalz verabschiedet.

Der wiederum unterstützt weitestgehend den Vorschlag des KBV-Vorstands, dass künftig der GKV-Spitzenverband und die Anbieter der TI-Komponenten die Erstattungssummen aushandeln sollen. Gleichzeitig unterstreicht er, dass die Forderung nach einer Sachkostenerstattung nach wie vor die angemessene Lösung aus Sicht der Vertragsärzteschaft sei.

Bei der Digitalisierung der ambulanten Versorgung ging es der Vertreterversammlung aber nicht nur ums Geld, sondern auch um die Patientinnen und Patienten: Die müssten sich auf die Wahrung ihrer persönlichen Geheimnisse verlassen können und jederzeit das Recht haben, einer Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten zu widersprechen, heißt es in einem ebenfalls angenommenen Antrag der KVen Hessen, Bayern und Westfalen-Lippe.

Dabei bezieht sich die Forderung insbesondere auf die elektronische Patientenakte (ePA) und den geplanten Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS). Beides müsse zusammen gedacht werden und die Politik Sorge tragen, „dass der EHDS nicht zu einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in Deutschland führt und etablierte unverzichtbare Datenschutzstandards zu Lasten des Einzelnen abgesenkt werden“.

Konkret dürfe die Verwendung gesundheitsbezogener Daten für Gesundheitsforschung und -politik, also die Sekundärnutzung, nur mit Widerspruchsrecht der betroffenen Person erfolgen – und zwar ohne Genehmigungsfiktion bei der Datenfreigabe. Datenlieferungspflichten für Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten müssten rechtssicher gestaltet und angemessen vergütet werden.

Regelungen wie die Genehmigungsfiktion sind derzeit im Rahmen des geplanten Opt-out-Verfahrens im Gespräch. KBV-Vorstandsmitglied Thomas Kriedel betonte jedoch, dass „für uns alle noch im Nebel liegt, was genau das BMG da plant“. Er warnte davor, dass eine Überfrachtung der ePA drohe, wenn alle Daten dort automatisch eingespeist würden.

Vor allem aber, forderte Kriedel, müsse das sogenannte feingranulare Zugriffsmanagement erhalten bleiben, Patienten also die Möglichkeit haben, detailliert zu entscheiden, welcher Leistungserbringer welche Dokumente in der ePA einsehen kann. „Wir werden uns ganz aktiv da einbringen“, kündigte Kriedel mit Blick auf die angedachte Erarbeitung einer Opt-out-Regelung an.

Anders sieht es beim E-Rezept aus: Nach dem Ausstieg der KV Westfalen-Lippe und bis zur Einführung eines neuen Authentifizierungsverfahrens zur Rezepteinlösung mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die für Mitte 2023 geplant ist, werde da nicht mehr viel passieren, räumte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen ein.

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung