Diskussion über Impfraten in Deutschland geht weiter

Berlin – Ärzte und Politiker diskutieren weiter darüber, wie mehr Menschen in Deutschland dazu gebracht werden können, sich impfen zu lassen. Als ungeeignete Maßnahme dazu hat der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, jetzt einen Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurückgewiesen. Dieser hatte erwogen, Apotheker Grippeimpfungen vornehmen zu lassen.
Impfen sei „aus gutem Grund nach den geltenden Gesetzen eine urärztliche Aufgabe“, sagte Montgomery den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung heute. Er wies daraufhin, dass zu den ärztlichen Impfleistungen auch die Impfanamnese, der Ausschluss akuter Erkrankungen und die Aufklärung zur Impfung gehörten. Wichtig seien zudem Kenntnisse über Impfungen für Schwangere oder chronisch Kranke und das Beherrschen von möglichen Impfkomplikationen. „In Tagesseminaren lassen sich diese Kenntnisse sicher nicht vermitteln“, kritisierte Montgomery.
Im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen im Augenblick insbesondere die Impfraten gegen Masern. Breite Teile der Ärzteschaft unterstützt mittlerweile eine Impfpflicht. „In den Praxen der niedergelassenen Ärzte häufen sich zurzeit Fälle von Masern. Sowohl aus medizinischer als auch ethischer Sicht ist es zwingend geboten, die Impfraten zu erhöhen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Anfang der Woche. Es sei „grob fahrlässig und töricht“, Kinder nicht impfen zu lassen.
„Bislang können wir nur immer wieder aufklären und an den gesunden Menschenverstand der Eltern appellieren. Doch notfalls muss auch eine Impfpflicht her“, betonte der KBV-Chef. So sieht es auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Masernerkrankungen seien extrem ansteckend und potenziell tödlich, hieß es von der Fachgesellschaft.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Vermeidung oder Verzögerung von Impfungen („vaccine hesitancy“) im Januar diesen Jahres zu einer von zehn globalen Gesundheitsbedrohungen erklärt. Laut WHO-Angaben werden heute jährlich durch Impfungen zwei bis drei Millionen Menschenleben gerettet, eine globale Erhöhung der Durchimpfungsraten könnte weitere 1,5 Millionen Menschenleben retten. Darauf hat der Präsident des Paul-Ehrlich-Institutes, Klaus Cichutek, im Editorial des aktuellen Bulletins zur Arzneimittelsicherheit hingewiesen.
Die Hilfsorganisation Ärzte der Welt fordert die Bundesregierung anlässlich der Diskussion um die Impfraten in Deutschland auf, den allgemeinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, inklusive Impfungen, für alle in Deutschland lebenden Menschen sicherzustellen.
„Die Politik schafft selbst eine Impflücke. Hunderttausende Menschen haben hierzulande keinen Zugang zu ausreichenden medizinischen Leistungen. Wir brauchen in Deutschland einen Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung, einschließlich Impfungen, für alle Menschen, die in Deutschland leben“, sagte Ärzte der Welt-Grundsatzreferentin Johanna Offe.
Zum Beispiel hätten Menschen, deren Leistungen aufgrund von Beitragsschulden bei der Krankenkasse ruhten, in der Regel keine Möglichkeit, sich kostenfrei impfen zu lassen – es sei denn es gebe Angebote der zuständigen Kommune. Auch diejenigen Menschen in Deutschland, die über keinen Versicherungsschutz verfügten, darunter arbeitssuchende oder prekär beschäftigte Migranten aus anderen EU-Ländern, könnten sich nicht impfen lassen.
Hinzu kämen Menschen, die ohne regulären Aufenthaltsstatus in Deutschland lebten. Sie müssten wegen der Übermittlungspflicht der Sozialämter an die Ausländerbehörde fürchten, abgeschoben zu werden, wenn sie sich oder ihre Kinder kostenfrei impfen lassen wollten, kritisierte das Hilfswerk.
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