ECDC: Sexuell übertragbare Infektionen nehmen in Europa zu

Stockholm – In Europa nehmen Fälle von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) weiter zu. Vor einem erstaunlichen und zugleich besorgniserregenden Anstieg von Syphilis und Chlamydien, vor allem aber von Gonorrhöe warnte heute Andrea Ammon, Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) basierend auf neuen Daten aus dem Epidemiologischen Jahresbericht.
Im Jahr 2022 sind die Zahlen gemeldeter Fälle in Ländern der Europäischen Union/des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EWR) im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen: Gonorrhöefälle nahmen um 48 Prozent zu (2021: 46.728; 2022: 70.881 bestätigte Fälle).
Syphilisfälle nahmen um 34 Prozent (2022: 35.391) zu und die der Chlamydien um 16 Prozent (2022: 216.508). Außerdem haben die Fälle von Lymphogranuloma venereum (LGV) und kongenitaler Syphilis (Übertragung von der Mutter auf den Fötus) ebenfalls erheblich zugenommen.
Auch im Vergleich zu Jahren vor der Pandemie, in der die Zahlen zunächst sanken, ist ein Anstieg zu verzeichnen. Bei Gonorrhöe waren es 59 Prozent mehr im Vergleich zu 2018, bei Syphilis 41 Prozent und bei Chlamydien 15 Prozent.
Der Trend lässt sich vor allem auf einen Anstieg der gleichgeschlechtlichen Sexualkontakte zwischen Männern (MSM) zurückführen. Doch 2022 war das erste Jahr in den vergangenen zehn Jahren, in dem auch ein spürbarer Anstieg der Syphilisfälle bei heterosexuellen Männern und Frauen zu verzeichnen war.
Junge Menschen sind am häufigsten betroffen
Bei Gonorrhöe fielen zudem die altersspezifischen Raten auf, die über den zu erwarteten Fallzahlen lagen, erklärte Lina Nerlander, STI-Expertin der ECDC: Sie waren bei 20- bis 24-Jährigen am höchsten, sowohl bei Männern (99,6 Fälle pro 100.000) als auch bei Frauen (48,1 Fälle pro 100.000 Einwohner). Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren hatten mit 63 Prozent den höchsten Anstieg der Melderate im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021.
Bei Chlamydieninfektionen offenbarte der Jahresbericht der ECDC ebenfalls einen Peak bei der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen. Bei jungen Frauen war der Anstieg am größten: 20 Prozent in der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre (von 199 auf 238 Fälle pro 100.000 Einwohner), gefolgt von einem Anstieg um 18 Prozent in der Altersgruppe 20 bis 24 Jahre (von 821 auf 968 Fälle pro 100.000 Einwohner).
Im Fall von Syphilis ist die Altersverteilung leicht verschoben: Die Fallzahlen waren bei den 25- bis 44-Jährigen am höchsten. Den größten Anstieg verzeichnete zwischen 2013 und 2022 die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen (+87 Prozent) und die Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen (+85 Prozent).
Die Ursache für den Anstieg der STIs in Europa vermutet die ECDC unter anderem aufgrund von mehr Tests und häufigerem Screening von Risikogruppen. Eine andere Ursache könnte die bessere Therapierbarkeit und HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) sein, die die Entscheidung für die Benutzung von Kondomen beeinflusse, sagte Nerlander.
„Nach der Coronapandemie hat sich etwas im Sexualverhalten der Menschen verändert“, ist die ECDC-Expertin überzeugt. Das könnte die Zahl der Sexualpartner betreffen, die Art des Sex sowie das Netzwerk der Menschen. „Bisher sehen wir keine Anzeichen dafür, dass der Anstieg etwa auf eine Zunahme der antimikrobiellen Resistenzen von Neisseria gonorrhoeae zurückzuführen sind“, so Nerlander.
Diese Trends unterstreichen den dringenden Bedarf an Sofortmaßnahmen, um eine weitere Übertragung zu verhindern und die Auswirkungen von Geschlechtskrankheiten auf die öffentliche Gesundheit abzuschwächen.
Die Direktorin des ECDC, Andrea Ammon betonte die Relevanz für Prävention, Tests und Therapie. „Wir müssen der sexuellen Gesundheitserziehung Vorrang einräumen, den Zugang zu Test- und Behandlungsangeboten ausweiten und das mit STI verbundene Stigma bekämpfen“, so Ammon.
Zwar sind sexuell übertragbare Infektionen wie Chlamydien, Gonorrhöe und Syphilis behandelbar. Sie können aber zu ernsten gesundheitlichen Komplikationen führen, wenn sie unbehandelt bleiben. Dazu gehören unter anderem entzündliche Erkrankungen oder chronische Schmerzen.
Außerdem können Chlamydien und Gonorrhöe zu Unfruchtbarkeit führen, während Syphilis neurologische und kardiovaskuläre Probleme verursachen kann. Eine unbehandelte Syphilisinfektion während der Schwangerschaft kann zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen bei Kindern führen.
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