Fehlendes Wissen und schwieriger Zugang zur PrEP in der Sexarbeit

Berlin – Medikamentöse Möglichkeiten zum Verhindern einer HIV-Infektion scheinen einer Untersuchung zufolge bei vielen Menschen, die Sexarbeit nachgehen, noch wenig bekannt zu sein. Fast die Hälfte von rund 80 Teilnehmenden aus dieser Gruppe hatte vor der Befragung noch nie von der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gehört, ein weiterer Teil hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon.
Das geht aus der Erhebung „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI-Präventionsstrategien und -bedarfe von Sexarbeitenden“ der Deutschen Aidshilfe (DAH) hervor, die heute in Berlin vorgestellt worden ist.
Hinzu kämen viele falsche Annahmen: etwa, dass die PrEP nur für Menschen gedacht sei, die Sex ohne Kondom haben, sagte die Leiterin der Erhebung bei der DAH, Eléonore Willems. Außerdem bestünden massive Zugangshindernisse, etwa bei Menschen ohne Krankenversicherung. Wissen und Zugang zu diesen Möglichkeiten sollten hierzulande verbessert werden, so eine der Empfehlungen aus der Analyse.
In einer Schlüsselrolle sehen die Verfasser dabei den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), bei dem sich viele der Befragten anonym, kostenlos und unabhängig von einer Krankenversicherung auf sexuell übertragbare Infektionen testen ließen.
Dort solle die PrEP häufiger angeboten werden, etwa auf Privatrezept, forderte die Aidshilfe. Dabei betonte die Organisation, dass dies nicht als Alternative zum Kondom gedacht sei, sondern als zusätzlicher Schutz für die Menschen, die diesen wünschten. Im niedergelassenen Bereich outeten sich viele Sexarbeiter nicht, sagte Willems.
Die Gesundheitsämter seien in der idealen Position, um über die PrEP zu informieren und diese auch anzubieten, sagte die Ärztin Johanna Claass, die die Fachabteilung Sexuelle Gesundheit in der Sozialbehörde Hamburg leitet und die dem Projektbeirat angehörte. „Weil wir den Zugang haben zu den Menschen, für die andere Stellen nicht ausreichend oder nicht niedrigschwellig genug oder nicht akzeptierend genug arbeiten.“ Beim Anbieten der PrEP gebe es aber noch Luft nach oben.
Die PrEP sei nicht nur für schwule Männer und sie sei auch bei Sex mit Kondom sinnvoll, sagte Claass. Alle hätten das Recht, informiert zu sein. „Und dann ist das Verschreiben der PrEP einfach und ohne unnötige Hürden zu gestalten“, forderte sie. In Hamburg beispielsweise werde die PrEP auf Privatrezept verschrieben, in der Regel für Menschen ohne Krankenversicherung.
Mit ungefähr 50 Euro an monatlichen Kosten sei diese Prophylaxe inzwischen für viele Menschen bezahlbar – aber nicht für alle. Im Bericht zur Erhebung heißt es, die Ergebnisse unterstrichen „die Notwendigkeit, dass alle Menschen Zugang zur Krankenversicherung und alle Menschen mit HIV Zugang zur HIV-Therapie bekommen.“
Für das Projekt führten die Projektleiterin und zehn sogenannte Peer-Forschende – also Menschen, die selbst der Sexarbeit nachgehen – an sechs Orten in Deutschland Gruppengespräche zu verschiedenen Fragestellungen. Es ging darum, Bedarfe in Bezug auf Gesundheit besser zu verstehen, insbesondere in Hinblick auf die Prävention von HIV und sexuell übertragbaren Infektionen.
Die Arbeit wurde laut DAH vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) gefördert und lief von April 2022 bis April 2024. Die Teilnehmenden kommen aus mehr als 20 Herkunftsländern und bieten Sexarbeit in unterschiedlichen Kontexten an, etwa auf der Straße, als Escort und in Bordellen. Sie rechneten sich unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten zu. Ein Anspruch auf ein repräsentatives Bild der Sexarbeit in Deutschland wird nicht erhoben.
Dem Ergebnisbericht zufolge sprechen viele der Teilnehmenden dem Thema sexuelle Gesundheit eine hohe Bedeutung zu. Sie wünschten sich mehr Informationen zur PrEP – ebenso wie zur Notfallmaßnahme, die nach einem Übertragungsrisiko genutzt werden kann: der Postexpositionsprophylaxe (PEP). Bedenken gegenüber der PrEP und einer Medikamenteneinnahme allgemein wurden aber durchaus auch verzeichnet.
Besonders wichtig und interessant werde die PrEP vor dem Hintergrund, dass die Befragten häufig von einer zunehmenden Nachfrage der Freier nach Sex ohne Kondom berichteten, sagte Willems. Es gebe auch Beschreibungen, dass dieser Trend die Menschen aus finanziellen Gründen unter Druck setze.
Kondome seien von den Befragten auch als nicht hundertprozentig zuverlässig eingestuft worden, etwa weil sie reißen oder heimlich abgestreift werden könnten. Die PrEP hingegen wird von der DAH als Möglichkeit gesehen, damit sich Menschen autonom vor HIV schützen können.
Die wichtigeste Botschaft an Ärztinnen und Ärzte sei, Menschen ohne Vorbehalte und unvoreingenommen zu begegnen, sagte DAH-Geschäftsführerin Silke Klumb. „Es gibt ja Gründe, warum Sexarbeitende nicht vor sich hertragen, wenn sie in die ärztliche Praxis kommen, welcher Arbeit sie nachgehen – weil sie nämlich genau dort auch Stigmatisierung und Diskiminierung ausgesetzt sind.“
Ein offenes Verhältnis sei Voraussetzung für eine gute Versorgung. In den Empfehlungen heißt es außerdem, dass der Großteil der Befragten keine HIV-Schwerpunktpraxen aufsuche. Diejenigen, die gesetzlich versichert seien, sollten daher niedrigschwellig die PrEP auf Kassenrezept von ihrem Hausarzt oder Gynäkologen verschrieben bekommen, hieß es.
Allgemein zieht die DAH aus der Befragung den Schluss, dass Kriminialisierung den Menschen schade, die Sexarbeit nachgehen. Mit dem Leben im Verborgenen und wachsender Angst vor Strafe würden sie anfälliger für Gewalt und Ausbeutung und daran gehindert, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Sexarbeit ist in Deutschland zwar legal, dennoch arbeiten viele in der Illegalität, etwa wegen Sperrbezirken oder fehlenden Papieren. Präventionsmaßnahmen müssten sich zudem auch an die Kunden richten, hieß es.
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