Elektronische Patientenakte: Bertelsmann fordert Bundesinstitut

Berlin – Seit Jahren machen sich Wissenschaftler, Krankenhäuser und andere Akteure darüber Gedanken, wie eine elektronische Patientenakte (eEPA) den Weg ins Gesundheitswesen findet – und was sie leisten können muss. Innerhalb weniger Tage gibt es nun zwei neue Studien zum Thema: Die Bertelsmann Stiftung hat gestern eine Analyse von Peter Haas, Medizininformatiker an der Fachhochschule Dortmund, vorgelegt, in der unter anderem eine nationale Strategie und ein Bundesinstitut gefordert werden. Die Deutsche Hochschulmedizin hat heute Überlegungen veröffentlicht.
Haas, der in seiner 288-Seiten starken Expertise im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung nicht nur einen breiten Blick auf die Voraussetzungen für einrichtungsübergreifende Akten wirft, gibt auch konkrete Handlungsempfehlungen zur flächendeckenden Einführung einer eEPA. Wichtig ist dem Medizininformatiker zufolge vor allem eine langfristige, nationale Strategie, die „klare Zielstellungen, Zeitpläne und Verantwortlichkeiten definiert“. Haas fordert dafür eine „effektive Governance-Struktur“. Konkret schlägt er ein „Bundesinstitut für E-Patientenakten“ vor, das dem Bundesgesundheitsministerium als Fachaufsicht unterstellt sein solle.
Die Gründe, warum eine neue politische Struktur bei der E-Patientenakte notwendig ist, nennt Haas ganz offen. Eine Governance-Struktur sei aus seiner Sicht „notwendig, um die Komplexität und Vielfalt der Aufgaben zu bewältigen, sachgerecht mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas und geboten, weil sich die alleinige Steuerung durch die Selbstverwaltung und gematik als ineffizient und nicht zielführend erwiesen hat“, schreibt er. Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik) – Gesellschafter sind Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband – soll in Deutschland eine funktionierende Telematikinfrastruktur (TI) aufbauen. Das dauere der Studie zufolge nun bereits über zehn Jahre – ohne sichtbare Ergebnisse.
Steuerung durch ein Bundesinstitut
Die Aufgabe eines Bundesinstituts wäre vor allem die Steuerung. So könnte es zum Beispiel Standards, Rahmenbedingungen und zulässige Betreibermodelle festlegen. Haas wies aber zugleich darauf hin, dass ein solches Institut nicht die alleinige Expertise haben könne. Es sei „weder möglich noch sinnvoll, alles notwendige Know-how in einer zentralen Einheit wie einem Bundesinstitut aufzubauen“, schreibt er. Der Informatiker schlägt stattdessen vor, verfügbare Experten einzubinden. Es böten sich „themenspezifische Boards“, etwa ein Standardisierungs-, ein Medizin-, ein Kommunikations- und Akzeptanz-Board, an, heißt es.
Das Standardisierungs-Board würde, so die Studie, durch die Standardisierungs-Organisationen in Deutschland besetzt, das Medizin-Board durch die medizinischen Fachgesellschaften, das Kommunikations-Board etwa durch ärztliche Standesvertreter, Patientenverbände, den GKV-Spitzenverband und Kommunikationsexperten. Die Aufgaben der in den Boards vertretenen Institutionen sollten von Anfang an klar und verbindlich geregelt sein, so der Forscher.
Neuer Rechtsrahmen und detaillierte Finanzplanung
Als weitere wichtigen Bausteine fordert Haas einen speziellen Rechtsrahmen. Er empfiehlt ein eigenständiges E-Health-Kapitel im Sozialgesetzbuch V. Dies müsse neben Neuregelungen zum eEPA-Einsatz auch zahlreiche andere Regelungen zum Themenkomplex bündeln. Zudem brauche es eine „detaillierte Finanzplanung“. Das gelte sowohl für personelle und sächliche Infrastrukturen, Erstattungsregelungen für Leistungserbringer und Entscheidungen zu den Finanzierungsquellen. Auch müsse eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz hergestellt werden.
Als unabdingbar sieht Haas eine nationale Infrastruktur für den Betrieb von eEPA-Systemen. Diese sei zwar durch die Entwicklung der Telematikinfrastruktur existent, müsse aber „insbesondere den betrieblichen Anforderungen von eEPA-Systemen angepasst werden“. „Wichtige Kontextanwendungen, wie etwa ein Terminologieserver für die Semantik oder ein elektronisches Verzeichnis der Institutionen und Heilberufler, müssen gezielt geschaffen werden“, erklärte Haas, der dazu rät, die Implementierung einer bundesweiten eEPA-Infrastruktur schrittweise vorzunehmen.
„Ziel sollte von Anfang an umfassende Behandlungsmanagement-Plattformen sein. Eine möglichst frühe Umsetzung in Form einer Dokumentenakte sollte forciert werden, um Verbreitung und Akzeptanz bei den Anwendern zu fördern“, schreibt er in der Zusammenfassung der Studie. Bis tatsächlich alle Anwendungen, die sinnvoll und möglich sind, den Weg in die Patientenakte gefunden haben, dürfte es nach Schätzungen der Bertelsmann-Studie zehn Jahre dauern.
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