Ärzteschaft

Ethisches Dilemma im Versorgungsalltag

  • Montag, 25. November 2019
/Rido, stockadobecom
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Hamburg – Immer mehr Ärzte sind verärgert über den steigenden ökonomischen Druck im Klinikalltag. Das zeigte eine Debatte bei einer Veranstaltung der Ärztekammer Ham­burg in der vergangenen Woche. Dabei appellierten die Teilnehmenden, gemeinsam mit allen Berufsgruppen im Gesundheitswesen nach Lösungen zu suchen.

Ausgehend von dem im September im Stern erschienenen Ärzteappell „Mensch vor Pro­fit!“ diskutierten etwa 60 Ärztinnen und Ärzte die drei Grundforderungen des Aufrufs. Da­zu gehört eine Reform des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG), die Beendi­gung von Übertherapie und Unterversorgung sowie einen Masterplan zur bedarfs­orien­tierten Krankenhausplanung.

Den Appell haben aktuell rund 2.500 namentlich erfasste Ärzte sowie 64 Ärzteverbände unterschrieben, darunter mehrere Landesärztekammern, der Marburger Bund und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschland (bvmd). Dazu kommen mehr als 100.000 öffentliche Unterschriften auf der Petitionsplattform change.org (Stand Mitte November).

Bei der Diskussion kamen Erfahrungen unterschiedlicher Ärztegenerationen zusammen. „Wem gehört das Gesundheitssystem? Und ist das demokratisch?“, fragte eine junge Ärz­tin. „Warum müssen wir Gewinne machen? Gesundheit ist keine Ware“, konstatierte ein Anderer aus dem Publikum.

Bei dem Diskurs berichtete eine junge Ärztin, schon nach kurzer Zeit im Krankenhaus­all­tag desillusioniert worden zu sein. „Es werden Steine in den Weg gelegt, wenn man ethisch korrekt handelt.“ Darin waren sich alle Generationen einig.

„Wir als Ärzteschaft haben uns jahrelang nicht damit beschäftigt, wie ein Krankenhaus zu führen ist“, sagte Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg. Daher seien Ärzte nicht unschuldig an den aktuellen komplexen Problemen. „Wenn das System außer Kon­trolle gerät, darf man sich über die Auswüchse nicht wundern“, so Emami weiter.

„Ober- und Chefärzte müssen den Assistenten bei ökonomischem Druck den Rücken frei­halten“, forderte er. Seiner Ansicht nach sei die Zeit jetzt gekommen, sich öffentlich ge­gen die Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung zu stellen.

„Gefangen im Chef sein“

Diese Aussage wurde von einer ehemaligen Chefärztin im Publikum unterstrichen: Maike Manz erzählte, Anfang des Jahres mit fünf ihrer sieben Oberärzte gemeinsam gekündigt zu haben. Unter den ökonomischen Rahmenbedingungen konnten sie ihren Ansprüchen an medizinische Versorgung ihrer Patienten und den Umgang mit Mitarbeitern nicht mehr gerecht werden.

Sie habe zunächst versucht, intern etwas zu verändern, doch mit mäßigem Erfolg. „Das Ideal, für die Patienten etwas verändern zu können, funktioniert nicht“, meinte sie. Nun sei sie auf der Suche nach einer neuen Stelle, doch fände sie keine einzige Klinik in Deutschland, bei der es wesentlich anders liefe.

Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburger Krankenhausgesellschaft, verteidigte die Position der Krankenhausbetreiber: „Krankenhäuser wurden jahrelang kaputtgespart, auf dem Rücken der Mitarbeiter.“

Die Bundesländer würden die gesetzlich zugesprochenen Mittel zurückhalten, wodurch besonders Personalkosten über das Fallpauschalensystem querfinanziert werden müssten. Hierfür bräuchten die Krankenhäuser zunehmend mehr Fälle, was wiederum mehr Personal benötige.

Der Landes- und Bundespolitik sei die Problematik der Unterfinanzierung bekannt, wes­halb ihrer Ansicht nach nachzusteuern versucht worden wäre. Doch die Krankenhäuser mit „Bürokratie zu überfluten“, sei keine Lösung, betonte Brase.

Hier pflichtete ihr Christoph Herborn, Vorstandsmitglied der Asklepios Gruppe, bei. „Das System krankt nicht an privaten Krankenhausbetreibern, sondern am DRG-System“, sagte der Klinikmanager, der auch im Publikum anwesend war.

Brase stimmte dem Schwerpunkt der Diskussion aber zu: „Wir brauchen einen System­wechsel“. Sie beklagte außerdem, dass es „weniger Akzeptanz für Geldprobleme bei Krankenhäusern als bei den Niedergelassenen“ gebe.

„Das System neu denken“

„Genau diese Diskussion – wem geht es schlechter – bringt uns nicht weiter“, konterte Katharina Thiede, Vorstandsmitglied von Twankenhaus. Der Name dieses Vereins setzt sich aus den Worten Twitter und Krankenhaus zusammen und versteht sich als gesundheits­poli­ti­scher Thinktank der neuen Generation. Sie stünden hauptsächlich auf der Plattform Twitter in ständigem Ideenaustausch über die Krankenversorgung der Zukunft, sagte die Fachärztin für Allgemeinmedizin.

Ihrer Meinung nach wirkten unterschiedlichen Mechanismen auf stationäre und ambulan­te Versorger und beide müssten sich verändern. Sie plädierte dafür, das System als Gan­zes neu zu denken. Thiede forderte alle Berufsgruppen des Gesundheitssystems zum ge­meinsamen öffentlichen Diskurs auf, insbesondere bei Twitter. Das schaffe Transparenz und könne bessere Ergebnisse hervorbringen, als reine politische Gremien- und Vereins­dis­kussionen, so Thiede.

„Unterschiedliche Berufsgruppen mit unterschiedlichen Perspektiven berichten alle über dieselben Probleme“, berichtete sie, „die Symptome einer fehlgeleiteten Kommerzialisie­rung des Gesundheitssystems“.

„Man braucht jetzt Whistleblower“

Initiator und Verfasser des Ärzteappells Bernhard Albrecht forderte, dass es jetzt keinen Stillstand geben dürfe. „Der nächste Schritt ist, den Appell an die Politik heranzutragen“, sagte er. Es würden mittlerweile Gespräche mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses stattfinden und Albrecht plane, auch an den Gesundheitsminister heranzutreten. Kritisch äußerte sich der Journalist mehrfach zur Finanzpolitik der Klinikbetreiber.

„Man braucht jetzt Whistleblower um klarzumachen, was passiert“, hieß es aus dem Pub­li­kum. Weitere Ärzte meinten, die Missstände zu beweisen erfordere aufgrund des Ge­schäftsgeheimnisses jedoch illegales Handeln, wie das Kopieren von Akten oder der Ver­letzung des Datenschutzes. „Der schwarze Peter ist beim individuellen Arzt, der sich mel­den muss“, sagte auch Thiede. Das benötige viel Mut, räumte sie ein.

Die Berufsgruppen müssten sich gemeinsame Lösungen überlegen, lautete ein Fazit der Abschlussrunde der Diskutanten. Es brauche eine DRG-Reform, die es ermögliche, dass ärztliche Entscheidungen von ökonomischen Zwängen unangetastet blieben.

jff

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