Ärzteschaft

Ärztlicher Appell für weniger Ökonomie im Gesundheitswesen

  • Donnerstag, 5. September 2019

Berlin/Hamburg – Ärzte und medizinische Gesellschaften machen sich für eine grund­le­gende Reform der Krankenhäuser in Deutschland stark. In einem heute im Stern ver­öffent­lichten Appell kritisieren mehr als 215 Mediziner und 19 medizinische Fachorga­nisa­tionen einen hohen wirtschaftlichen Druck in den Kliniken und Fehlsteuerungen im Krankenhaussystem. Es sei fahrlässig, die Kliniken und damit auch die Patienten den Gesetzes des freien Marktes zu überlassen.

„Der starke Appell der Ärzte zeigt, dass eine Reform der Krankenhausfinanzierung über­fällig ist“, sagten Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen, und Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Gesundheitsförderung und Obfrau im Ge­sund­heitsausschuss des Bundestages der Partei in einer ersten Reaktion. „Die Gesund­heits­versorgung muss sich nach dem Bedarf der Patienten und nicht nach betriebs­wirt­schaftlichen Anreizen richten“, betonten sie.

In dem Appell „Rettet die Medizin“ fordern die Unterzeichner insbesondere eine Ab­schaffung oder komplette Reform des vor 16 Jahren eingeführten Systems der diagnose­be­zogenen Fallpauschalen. Vor der Einführung im Jahr 2003 wurden die Behandlungskos­ten vor allem nach der Dauer des Krankenhausaufenthalts des Patienten berechnet.

Nach Auffassung der Kritiker bietet das Fallpauschalensystem viele Anreize, um mit über­flüssigem Aktionismus Rendite zum Schaden von Patienten zu erwirtschaften. Es belohne etwa Herzkatheteruntersuchungen, Rückenoperationen oder invasive Beatmungen auf Intensivstationen, bestrafe aber zugleich den sparsamen Einsatz von invasiven Maßnah­men und die sprechende Medizin.

Bessere Krankenhausplanung nötig

Die Unterzeichner fordern darüber hinaus vom Staat, die Krankenhäuser dort zu planen und gut auszustatten, wo sie wirklich notwendig seien. „Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen“, heißt es.

Unterzeichnet haben den Appell unter anderem mehrere Landesärztekammern und medi­zi­­nische Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, für Innere Medi­zin oder für Kinder- und Jugendmedizin.

Zu den Einzelpersönlichkeiten, die den Appell unterstützen, gehören der Vorsitzende des Vorstandes des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, die Vorsitzende des Europäi­schen Ethikrats, Christiane Woopen, der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio und die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), Christiane Groß.

„Die zunehmende Erlösorientierung in Krankenhäusern, bedingt durch die Fallpauscha­len, hat das Gesundheitssystem in eine falsche Richtung getrieben. Die aktuellen Zustän­de schaden den Patienten. Sie belasten auch Ärzte, deren Anspruch ja darin besteht, zum Wohle kranker Menschen zu arbeiten“, sagte sie. Der DÄB fordere außerdem mehr Zeit für Gespräche und Zuwendung und einen stärkeren Fokus auf die ganzheitliche Betrachtung der Situation des Patienten, so die DÄB-Vorsitzende.

Kritik an dem Aufruf übte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). „Der Wunsch, die Krankenbehandlung von der Finanzierung des Krankenbehandlungssystems zu entkop­peln, mag sozial ethisch ehrenwert sein, er führt in der Realität, wie viele staatsfinanzier­ten Gesundheitssysteme zeigen, aber zu keiner besseren Versorgung“, sagte DKG-Haupt­ge­schäftsführer Georg Baum.

Die Gesundheitswesen der sozialistischen Länder und das englische Gesundheitssystem machten dies „mehr als deutlich“. „Die Konsequenzen sind Warteschlangen, Versorgungs­ratio­nierungen und grundsätzlich schlechtere Ausstattungen“, so Baum. Er gestand aber  zugleich zu, dass das Fallpauschalensystem ergänzt werden müsse – etwa, weil Personal­kosten und Investitionen nicht ausreichend berücksichtigt würden.

hil/kna

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