Ärztlicher Appell für weniger Ökonomie im Gesundheitswesen
Berlin/Hamburg – Ärzte und medizinische Gesellschaften machen sich für eine grundlegende Reform der Krankenhäuser in Deutschland stark. In einem heute im Stern veröffentlichten Appell kritisieren mehr als 215 Mediziner und 19 medizinische Fachorganisationen einen hohen wirtschaftlichen Druck in den Kliniken und Fehlsteuerungen im Krankenhaussystem. Es sei fahrlässig, die Kliniken und damit auch die Patienten den Gesetzes des freien Marktes zu überlassen.
„Der starke Appell der Ärzte zeigt, dass eine Reform der Krankenhausfinanzierung überfällig ist“, sagten Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen, und Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Gesundheitsförderung und Obfrau im Gesundheitsausschuss des Bundestages der Partei in einer ersten Reaktion. „Die Gesundheitsversorgung muss sich nach dem Bedarf der Patienten und nicht nach betriebswirtschaftlichen Anreizen richten“, betonten sie.
In dem Appell „Rettet die Medizin“ fordern die Unterzeichner insbesondere eine Abschaffung oder komplette Reform des vor 16 Jahren eingeführten Systems der diagnosebezogenen Fallpauschalen. Vor der Einführung im Jahr 2003 wurden die Behandlungskosten vor allem nach der Dauer des Krankenhausaufenthalts des Patienten berechnet.
Nach Auffassung der Kritiker bietet das Fallpauschalensystem viele Anreize, um mit überflüssigem Aktionismus Rendite zum Schaden von Patienten zu erwirtschaften. Es belohne etwa Herzkatheteruntersuchungen, Rückenoperationen oder invasive Beatmungen auf Intensivstationen, bestrafe aber zugleich den sparsamen Einsatz von invasiven Maßnahmen und die sprechende Medizin.
Bessere Krankenhausplanung nötig
Die Unterzeichner fordern darüber hinaus vom Staat, die Krankenhäuser dort zu planen und gut auszustatten, wo sie wirklich notwendig seien. „Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen“, heißt es.
Unterzeichnet haben den Appell unter anderem mehrere Landesärztekammern und medizinische Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, für Innere Medizin oder für Kinder- und Jugendmedizin.
Zu den Einzelpersönlichkeiten, die den Appell unterstützen, gehören der Vorsitzende des Vorstandes des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio und die Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), Christiane Groß.
„Die zunehmende Erlösorientierung in Krankenhäusern, bedingt durch die Fallpauschalen, hat das Gesundheitssystem in eine falsche Richtung getrieben. Die aktuellen Zustände schaden den Patienten. Sie belasten auch Ärzte, deren Anspruch ja darin besteht, zum Wohle kranker Menschen zu arbeiten“, sagte sie. Der DÄB fordere außerdem mehr Zeit für Gespräche und Zuwendung und einen stärkeren Fokus auf die ganzheitliche Betrachtung der Situation des Patienten, so die DÄB-Vorsitzende.
Kritik an dem Aufruf übte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). „Der Wunsch, die Krankenbehandlung von der Finanzierung des Krankenbehandlungssystems zu entkoppeln, mag sozial ethisch ehrenwert sein, er führt in der Realität, wie viele staatsfinanzierten Gesundheitssysteme zeigen, aber zu keiner besseren Versorgung“, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum.
Die Gesundheitswesen der sozialistischen Länder und das englische Gesundheitssystem machten dies „mehr als deutlich“. „Die Konsequenzen sind Warteschlangen, Versorgungsrationierungen und grundsätzlich schlechtere Ausstattungen“, so Baum. Er gestand aber zugleich zu, dass das Fallpauschalensystem ergänzt werden müsse – etwa, weil Personalkosten und Investitionen nicht ausreichend berücksichtigt würden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: