EU-Kommission legt Vorschläge für große Arzneimittelreform vor

Brüssel – Das Arzneimittelrecht der Europäischen Union (EU) soll umfassend überarbeitet werden. Einen entsprechenden Vorschlag hat heute die EU-Kommission vorgelegt. Ziel soll es etwa sein, den Rechtsrahmen dynamischer und flexibler zu gestalten und so die Versorgung mit Arzneimitteln zu verbessern.
Darüber hinaus geht es darum, die Innovationstätigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie zu steigern sowie gleichzeitig höhere Umweltstandards zu fördern.
Zusätzlich zu dieser Reform schlägt die Kommission eine Empfehlung des Rates für eine intensivierte Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (AMR) vor. Die Legislativvorschläge werden nun an das Europäische Parlament und den Rat weitergeleitet.
„Es handelt sich um eine Reform, mit der gewährleistet wird, dass Europa für Unternehmen attraktiv und unsere Arzneimittelindustrie ein weltweiter Innovationsmotor bleibt. Die Schaffung eines Binnenmarktes für Arzneimittel ist sowohl für unsere Bürgerinnen und Bürger als auch für unsere Unternehmen eine Notwendigkeit“, sagte Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Der EU-Kommission zufolge sind die Herausforderungen, die mit der Reform angegangen werden sollen, von „grundlegender Bedeutung“. In einer entsprechenden Bestandsaufnahme wird unter anderem darauf verwiesen, dass in der EU zugelassene Arzneimittel derzeit nicht schnell genug und nicht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zugänglich gemacht würden.
Zudem bestünden erhebliche Lücken bei der Bewältigung ungedeckter medizinischer Bedarfe, seltenen Krankheiten und antimikrobiellen Resistenzen (AMR). Auch das in jüngster Zeit zunehmend ins öffentliche Bewusstsein getretene Problem der Arzneimittelengpässe sollen die Vorschläge adressieren.
Kernelemente des Vorschlags im Überblick
Der Zugang zu Arzneimitteln für Patienten beziehungsweise für die nationalen Gesundheitssysteme soll durch neue Anreize für die Pharmaunternehmen verbessert werden.
Der Ansatz sieht vor, diejenigen Unternehmen mit einem verlängerten Schutz vor Konkurrenz durch Nachahmerprodukte zu belohnen, die ihre Arzneimittel der Patientenschaft in sämtlichen EU-Ländern zur Verfügung stellen und/oder Mittel zur Befriedigung ungedeckter medizinischer Bedarfe entwickeln. Angestrebt wird auch eine frühzeitigere Verfügbarkeit von Generika und Biosimilararzneimitteln.
Darüber hinaus soll der Rechtsrahmen im Allgemeinen – und die Zulassungsverfahren auf EU-Ebene im Besonderen – vereinfacht werden. Unter anderem soll die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Arzneimittelentwicklern frühzeitig eine bessere regulatorische und wissenschaftliche Unterstützung bieten.
Im Zusammenspiel aus vereinfachten Verfahren und Nutzung digitaler Möglichkeiten soll erreicht werden, dass EMA-Zulassungsprozesse künftig nur noch 180 Tage dauern – der EU-Schnitt liegt derzeit bei etwa 400 Tagen, in den USA bei rund 240.
Mit der Reform sollen auch neue Anforderungen an die Überwachung von Arzneimittelengpässen durch die nationalen Behörden und die EMA sowie eine stärkere Koordinierungsrolle für die EMA umgesetzt werden.
Geplant ist eine EU-weite Liste kritischer Arzneimittel – auf dieser Basis sollen Schwachstellen in der Lieferkette bewertet und entsprechende Empfehlungen zu Maßnahmen für Unternehmen und andere Akteure der Lieferketten erarbeitet werden.
Die EU-Kommission selbst soll beispielsweise Notvorräte bereithalten können, um die Versorgungssicherheit bei bestimmten kritischen Arzneimitteln zu erhöhen. Unternehmen wiederum sollen noch frühzeitiger Engpässe und Arzneimittelrücknahmen melden müssen, sowie die Entwicklung und Pflege von Engpasspräventionsplänen angehen.
„Weil Medikamentenlieferengpässe ein globales Problem sind, ist das EU-Pharmapaket die richtige Antwort“, kommentierte Paula Piechotta (Grüne), Berichterstatterin ihrer Fraktion für Arzneimittel, die Pläne. Nationale Gesetzgebung wie das deutsche Arzneimittellieferkettengesetz könne nicht die gleiche Wirkung entfalten und müsse vor diesem Hintergrund an die europäische Gesetzgebung angepasst und mit ihr harmonisiert werden.
Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen
Dringenden Handlungsbedarf sieht die Kommission auch beim Thema antimikrobielle Resistenzen. Diese würden zu den drei größten Gesundheitsgefahren in der EU zählen. Die geplante Reform soll Pharmaunternehmen, die in die Entwicklung neuartiger antimikrobieller Mittel investieren, durch übertragbare Gutscheine (Voucher) Anreize bieten, das derzeitige „Marktversagen“ zu beheben.
Für das Gutscheinsystem sollen strikte Rahmenbedingungen gelten – etwa volle Transparenz zur Forschungsfinanzierung, eine Limitierung auf zehn Voucher in 15 Jahren sowie eine Evaluation des neuen Instrumentes.
Um auch in Zukunft die Wirksamkeit antimikrobieller Wirkstoffe zu gewährleisten, sollen zudem verstärkt Maßnahmen und Ziele – einschließlich angepasster Verpackungs- und Verschreibungsanforderungen – für ihre umsichtige Verwendung etabliert werden. Begleitend sollen die EU-Maßnahmen im Rahmen des One-Health-Konzepts in den Bereichen menschliche Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt intensiviert werden.
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) zeigte sich mit dem vorgelegten Maßnahmenpaket wenig zufrieden. BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz sieht „viel Schatten, wenig Licht“. Dem Grunde nach begrüßenswerte administrative Erleichterungen würden durch neue Auflagen zunichte gemacht.
Auch strengere Verpflichtungen hinsichtlich der Lieferfähigkeit von Arzneimitteln und der Meldungen von Engpässen sieht er kritisch. Diese würden die Versorgungssicherheit nicht erhöhen. „Dafür sind umfassende Lösungsansätze und eine Änderung der Vergütungsstrukturen notwendig.“
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