Vermischtes

Tödliche Erkrankung kein Grund für erleichterten Arzneimittelzugang

  • Freitag, 30. Juni 2023
/picture alliance, Andreas Gillner
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Kassel – Versicherte haben bei einer regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit keinen Anspruch auf die Versorgung mit einem Arzneimittel, das die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zur Behandlung dieser Erkrankung nicht zugelassen hat. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden (Az: B 1 KR 35/21 R).

Der 2004 geborene Kläger leidet an Duchenne-Muskeldystrophie. Die erblich bedingte Muskelerkrankung mit zunehmendem Muskelschwund führt typischer­weise im jungen Erwachsenenalter zum Tod. Der Kläger ist seit 2015 gehunfähig.

Er verlangte von seiner Krankenkasse die Kostenübernahme des Arzneimittels Translarna. Das ist in der Euro­päischen Union (EU) für die Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie zugelassen, jedoch nur für gehfähi­ge Patienten. Anträge des Herstellers im Juni und Oktober 2019 führten nicht zur Erweiterung der Arznei­mittelzulassung auf nicht mehr gehfähige Patienten.

Das Sozialgericht Mainz hatte die Klage auf Versorgung mit Translarna abgewiesen. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz verurteilte die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland hingegen, den Kläger mit dem Medikament zu versorgen. Es bestehe eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Verlauf der Erkrankung.

Dies reiche bei regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten aus, den Anspruch zu begründen, so die Richter. Die Ablehnung der Erweiterung der Zulassung auf nicht mehr gehfähige Patienten durch die EMA entfalte keine Sperrwirkung, da sie nicht auf einer aussagekräftigen Datenlage beruhe und seither neue Hinweise auf eine positive Wirkung des Arzneimittels erlangt worden seien.

Der 1. Senat des BSG hob dieses Urteil nun auf und gab der Arzneimittel­sicherheit auch bei regelmäßig töd­lich verlaufenden Erkrankungen Vorrang. Der Antrag des Klägers scheitere an der Sperrwirkung des Arznei­mittel­zu­lassungs­gesetzes, begründete der Vorsitzende Richter die Entscheidung.

Habe ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung keinen Erfolg, sei damit auch eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Verlauf der Krankheit zu verneinen.

Denn nähme man von der Sperrwirkung der fehlenden Arzneimittelzulassung zugunsten einer rein einzelfall­bezogenen Prüfung Abstand, würde die Erfordernis einer Zulassung für Arzneimittel zur Behandlung bestimm­ter besonderer und schwerer Erkrankungen faktisch ausgehebelt, so der Richter.

Die Sperrwirkung könne überwunden werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, die nach der EMA-Entscheidung veröffentlicht werden. Das sei im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.

dpa

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