EU-Pharmapaket: Industrie warnt vor Einbruch bei klinischer Forschung

Berlin – Die europäische Pharmaindustrie warnt vor der geplanten Reform des EU-Arzneimittelrechtsrahmens. Sie werde in ihrer jetzigen Form das Gegenteil der geplanten Ziele erreichen und zu einem Einbruch der Investitionen die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) von bis zu einem Drittel führen, erklärt der europäische Pharmaverband EFPIA.
Demnach wäre in absoluten Zahlen Deutschland der mit Abstand größte Verlierer der Reform: Hierzulande würden die F&E-Erlöse um jährlich 626 Millionen Euro sinken, wie die Unternehmensberatung Dolon im Auftrag des Verbands errechnete. Es folgen Belgien und Frankreich mit 381 und 326 Millionen Euro.
Mit Blick auf ganz Europa könnten die Pläne der EU-Kommission den Anreiz für Unternehmen, in neue Arzneimittel zu investieren, verringern und den Berechnungen zufolge die Investitionen in den kommenden 15 Jahren um 55 Prozent zurückgehen lassen.
„Die Untersuchungen zeigen, dass die Pläne der Kommission den Trend beschleunigen würden, dass Europas Position als globaler Innovator im Vergleich zu führenden Nationen wie den USA, China und Japan weiter verfällt“, warnt EFPIA. Damit würde das Pharmapaket das Gegenteil seines erklärten Ziels erreichen, die Position Europas als Pharmastandort wieder zu stärken.
Europa habe in den vergangenen 20 Jahren bereits ein Viertel seines Marktanteils an globalen F&E-Investitionen eingebüßt. Mit den jetzigen Maßnahmen werde der Anteil der EU bis zum Jahr 2040 von jetzt 32 Prozent auf 21 Prozent fallen, so die Prognose.
Die Sorgen der Pharmaindustrie beziehen sich dabei primär auf die geplanten Anpassungen im Bereich geistiges Eigentum: So sollen der Patent- und Unterlagenschutz grundlegend verkürzt werden, aber eine Reihe von Möglichkeiten eingeführt werden, ihn zu verlängern.
Unter anderem soll das möglich sein, wenn ein neues Arzneimittel einen unerfüllten medizinischen Bedarf (unmet medical need) abdeckt. Dazu will die EU-Kommission eine einheitliche Definition des Begriffes erarbeiten.
„Politiker in der EU betonen regelmäßig, dass sie die europäische Wettbewerbsfähigkeit stärken und Europa zu einem starken globalen Player machen wollen, indem sie eine offene strategische Autonomie sicherstellen“, erklärt EFPIA-Präsident Lars Fruergaard Jorgensen. „Tatsächlich würden die derzeit erwogenen Maßnahmen in der Arzneimittelregulierung unsere gemeinsame Fähigkeit, diese Ziele zu erreichen, schwächen, statt sie zu stärken.“
Sollten diese Neuregelungen kommen, werden sie sich laut Dolon auch in der Zahl der durchgeführten Arzneimittelstudien widerspiegeln: Jede fünfte F&E-Projekt zu patentgeschützten Arzneimitteln werde dadurch unrentabel. Das könne dazu führen, dass über einen Zeitraum von 15 Jahren rund 50 von 225 zu erwartenden neuen Behandlungen nicht entwickelt werden.
Besonders hart werden das den Biotech-Sektor treffen, der sich in den vergangenen Jahren ohnehin zunehmend in die USA und nach China verlagert habe. Neun von zehn Forschungsprojekten würden demnach unrentabel werden.
„In einer Zeit, in der die USA und China die Pharmaindustrie als strategisch entscheidend betrachten, sucht Europa noch seine Rolle“, erklärte dazu Han Steutel, Präsident des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). „Das vorliegende Pharmapaket verliert sich in Details und plant auf Schlüsselfeldern wie dem Schutz geistigen Eigentums sogar Verschlechterungen beim Status quo.“
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