Experten kritisierten Verordnungsermächtigungen des BMG und fehlende Steuermittel für Tests

Berlin − Bei einer Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Bundestages zum zweiten Pandemiegesetz wurde gestern Vormittag deutliche Kritik an der geplanten Finanzierung von zusätzlichen Tests sowie den weitreichenden Verordnungsermächtigungen für das Bundesgesundheitsministerium (BMG) deutlich.
So mahnten mehrere Rechtswissenschaftler die Parlamentarier, nicht erneut der Regierung so weitreichende Möglichkeiten einzuräumen. „Es ist keine Sache von Opposition oder Regierung, es ist eine Sache des Selbstachtungsrechts des Bundestages“, erklärte beispielsweise Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg zu den weiteren geplanten Rechtsverordnungen, die das BMG selbstständig ausgestalten kann.
Ähnlich wie Sebastian Kluckeert von der Bergischen Universität Wuppertal sieht Kingreen es kritisch, dass die Rechtsverordnungen wie im Grundgesetz vorgesehen beim ersten wie nun dem zweiten Gesetz zur pandemischen Lage massiv ausgeweitet werden.
Rechtsverordnung nicht als eigenständige Handlung der Exekutive vorgesehen
Eigentlich sei das Instrument der Rechtsverordnung als Ergänzung und zur Konkretisierung von Gesetzen gedacht, nicht als komplett eigenständiges Handeln der Exekutive. Mit den geplanten Regelungen könne es sein, dass der Bundestag ein Gesetz beschließt und einen Tag später das BMG diese Beschlüsse kassiert, warnte Kingreen.
Auch Ferdinand Wollenschläger von der Uni Augsburg sieht die zeitliche Ermächtigung der Exekutive auf Dauer als ein Problem für die parlamentarische Demokratie an.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Anhörung waren die finanziellen Mittel für eine Ausweitung der Teststrategie sowie für eine bessere digitale Ausstattung der Gesundheitsämter. So berichtete Ute Teichert für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), dass die geplanten Finanzmittel zweckgebunden seien und somit gut eingesetzt werden könnten. „Sie sind aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Teichert und forderte eine längerfristige Finanzierungsperspektive für den ÖGD.
Der Städte- und Gemeindebund hatte sich in einer schriftlichen Stellungnahme dagegen gewehrt, dass der Bund hier Finanzierungsaufgaben für die technische Ausgestaltung übernimmt.
Mitarbeiter im Öffentlichen Gesundheitsdienst besser bezahlen
Auch mit den Berichten über die derzeitigen Kommunikationsformen des ÖGD wollte Teichert aufräumen. „Es ist ein Mythos, dass wir nur über Fax kommunizieren. Es sind oft eher die anderen Beteiligten, als Arztpraxen, Kitas oder Schulen, die uns Faxe schicken. Und natürlich bearbeiten wir auch Faxe so, wie Meldungen auf anderen Kommunikationswegen“, so Teichert.
Susanne Johna vom Marburger Bund (MB) forderte, die Mitarbeiter im ÖGD besser zu bezahlen. Derzeit trete es besonders deutlich zu Tage, dass ÖGD-Ärzte schlechter bezahlt seien als beispielsweise Fachärzte, die für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) arbeiteten, so die MB-Vorsitzende. Derzeit helfen viele MDK-Ärzte beim ÖGD aus, berichtete Johna. Sie rechnete vor, dass Ärzte beim MDK bis zu 1.600 Euro mehr verdienten und eine geringere Wochenarbeitszeit hätten.
Krankenkassenvertreter wiesen vor allem auf die Probleme bei der Kostenübername von prophylaktischen Coronatests hin. Hier würden der GKV Kosten für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auferlegt, die aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes aus Steuergeldern finanziert werden müssten.
Hier hatte der Verband gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bereits im Vorfeld in einem Brief an die Abgeordneten appelliert, auf zusätzliche Steuergelder zu drängen. Einen Konflikt bei Weisungsbefugnissen zwischen KBV und ÖGD, wie es einige Abgeordneten erfragt hatten, sieht der KBV-Vorsitzende Gassen nicht. Der ÖGD stünde nicht in Konkurrenz zu den Vertragsärzten.
Die Interessenvertretung pflegender Angehöriger forderte mehr Unterstützung. Die Familien seien im Wesentlichen sich selbst überlassen und versuchten verzweifelt, die Pflege anders zu organisieren und mit dem Beruf in Einklang zu bringen. Die Situation erfordere ganzheitliche Lösungen für Menschen, die den physischen und psychischen Zenit ihrer Kräfte längst überschritten hätten.
Der Gesetzentwurf sei vor diesem Hintergrund eine Enttäuschung, hieß es. Auch die geplanten Prämien für Pflegekräfte wurden kritisiert – vor allem, weil es keine nachhaltigen Lösungen für die Beschäftigten gebe. Auch die Prämien müssten aus Steuermitteln und nicht aus der Pflegeversicherung finanziert werden.
Kritik an der mangelnden Finanzierung zur Aufklärung
Ebenso kritisierte Rolf Rosenbrock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband als Einzelsachverständiger die geplante Regelung, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihr Budget für Präventionsmaßnahmen im Jahr 2020 nicht vom GKV-Spitzenverband wie gesetzlich vorgeschrieben erhalten soll.
„Es ist nicht selbstverständlich, was in dieser Pandemie an Verhalten eingeübt werden muss. Dafür muss es große Kampagnen geben.“ Mit „Kopfschütteln“ betrachte er hier die Regierungspläne.
Diese 90. Sitzung des Gesundheitsausschusses in dieser Wahlperiode gestaltete sich insgesamt als „Experiment“: „Eine Form von Präsenzsitzung und Onlinemeeting“ nannte es der Ausschussvorsitzende Erwin Rüddel (CDU). Dabei kam es zu rund 28 Minuten Verzögerung, bis die Sitzung beginnen konnte, da die Experten für die Anhörung nicht digital zugeschaltet werden konnten. Auch konnten einige Fragen der Abgeordneten nicht beantwortet werden, weil Experten nicht hörbar waren.
In der „experimentellen Anhörung“ habe man „technisch wie inhaltlich dazugelernt“, sagte Rüddel nach rund eineinhalb Stunden Anhörung. Das Gesetz soll übermorgen früh final im Bundestag beraten werden.
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