Ärzteschaft

Fachgesellschaften und STIKO geben Handlungs­empfehlungen zum Umgang mit Affenpocken

  • Freitag, 27. Mai 2022
/picture alliance, CHROMORANGE, Michael Bihlmayer
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Berlin – Auf derzeit mindestens vier Kontineten treten immer mehr Fälle der seltenen Viruserkrankung Affenpocken auf. In einer gemeinsamen Stellungnahme geben mehrere medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften in Abstimmung mit der Ständigen Impfkommission (STIKO) jetzt Handlungsempfehlun­gen. Diese betreffen das Ausbruchsmanagement, die Impfung und therapeutische Optionen.

Besonders wichtig seien zunächst eine zielgruppenspezifische Aufklärung und Information, eine Isolation von 21 Tagen im Falle einer Infektion sowie die Quarantäne für enge Kontaktpersonen und Verdachtsfälle wäh­rend der Inkubationszeit beziehungsweise bis zum sicheren Ausschluss der Infektion.

Medizinischem Personal empfehlen die Fachgesellschaften diese Risikogruppen nur mit Schutzkleidung (Maske, Handschuhe, Kittel) zu behandeln.

Um das Risiko insbesondere für nicht pockengeimpfte Personen ohne Impfbescheinigung oder Impfnarben zu mindern, sollten diese nicht nur Kontakte zu wechselnden Sexualpartnern meiden. Auch das Bett und Klei­dung sollte nicht mit anderen Menschen geteilt werden, heißt es in den Handlungsempfehlungen.

Empfehlung zur Impfung soll folgen

Bezüglich dem in der EU zugelassenen abgeschwächten, nicht replikativen Pockenimpfstoff der dritten Generation Imvanex (Modified-Vaccinia-Ankara-Virus MVA-BN) geben die Autoren keine finale Empfehlung. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die STIKO sollen den Einsatz prüfen.

Sie gehen jedoch davon aus, dass die Imfpung für die nicht pockengeimpften Geburtsjahrgänge (etwa ab den frühen 1970er Jahren) einen relevanten Beitrag zur Erhöhung des Schutzes vor Infektion und Erkrankung leisten könnte.

Insbesondere im Umfeld bekannter Infektionscluster könnte eine Impfung Infektionen vermeiden und Krank­heitsverläufe abmildern und das Ausbruchsgeschehen erheblich begrenzen, schreiben die Fachgesellschaften in ihrer Stellungnahme. In den USA und in Kanada ist der Pockenimpfstoff auf Basis tierexperimenteller Daten bereits für die Prävention von Affenpocken zugelassen.

Eine erste Prognose zur Impfempfehlung wagte heute Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig bei einer Pressekonferenz des Science Media Centers: „Die STIKO wird die Pockenimpfung nicht generell empfehlen und in der Breite anbieten.“

Die Impfung werde laut Krause in Deutschland – soweit derzeit absehbar – immer nur eine Einzelfallent­scheidung sein, die vom Gesundheitsamt in Abklärung mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) entschieden wird.

„Das wird ein fokussiertes Instrument für besondere Situationen sein, in denen die exponierten Risikoperso­nen definiert sind.“ In dieser begrenzten Population könne zusätzlich die Impfung eingesetzt werden, ist Krause überzeugt.

Einen Vorrat von 100 Millionen Dosen des klassischen Pockenlebendimpfstoffs ACAM2000 hat die Bundes­regierung eingelagert für den Zivilschutz im Fall eines Ausbruchs der Menschenpocken. Für die aktuelle Situation hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) 40.000 Impfdosen des besser verträglichen Imvanex bestellt.

Damit könnte man 20.000 Betroffenen in einem definierten Setting (Ringimpfung) in der Postexposition be­ziehungsweise in der frühen Phase der Inkubationszeit helfen, sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infekti­ologie und Tropenmedizin, München Klinik Schwabing. Die Impfdosen stünden derzeit aber noch nicht zur Verfügung, ergänzte der Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen.

Zwei Therapieoptionen sind möglich

Für potenziell schwere Krankheitsverläufe vulnerabler Patientenpopulationen, etwa bei einer relevanten Immundefizienz, sollten zugelassene Therapeutika verfügbar gemacht werden, heißt es darüber hinaus in der Stellungnahme der Fachgesellschaften in Abstimmung mit der STIKO. In der EU sei mit Tecovirimat ein anti­vi­rales Medikament für die Behandlung der Affenpockeninfektion zugelassen, eine Alternative stellt das nicht zugelassene Virostatikum Brincidofovir dar.

Auch Wendter sieht Tecovirimat als Option im therapeutischen Setting – auch wenn sich die Zulassung auf die klassischen Pocken fokussiere und die Indikationsstellung noch nicht durch die STAKOB (Ständiger Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger) fixiert sei. Die breite Erfahrung fehle aber derzeit noch, sowohl zu Tecovirimat als auch zu Imvanex bei Affenpocken.

Kontaktnachverfolgung im Fokus

Für Krause steht die Kontaktnachverfolgung jetzt im Vordergrund. Daraus könnten die Risikioprofile und Ver­breitungswege abgeleitet werden, aus denen sich die Hygieneempfehlungen ergeben. Zudem könne die Kon­taktnachverfolgung Informationen über die Zahl der Sekundärfälle pro Infiziertem geben, ergänzte Mirjam Kretzschmar von der Universitätsmedizin Utrecht.

Noch liege keine Schätzung zur Reproduktionszahl (R-Wert) vor. Bei Schätzungen aus den vergangenen Jahr­zehnten in Afrika lag der R-Wert immer unter 1. Der immer geringere Pockenimmunschutz in der Bevölkerung könnte sich aber auch auf den R-Wert auswirken, gab Kretzschmar bei der SMC-Pressekonferenz zu Bedenken.

In einer völlig unimmunisierten Population für Affenpocken, könnte der R-Wert zwischen 1 und 2,5 liegen, so das Resultat einer Studie (2020; DOI: 10.2471/BLT.19.242347). Ob sich Affenpocken in einer Population, die ihren Pockenschutz vollständig verloren hat, tatsächlich ausbreiten würden sei dennoch nicht klar.

Denkbar wäre auch eine Ausbreitung ausschließlich in Risikogruppen, sagte die Expertin für mathematische Krankheitsmodellierung, Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM), Bilthoven, Niederlande.

Krause bekräftigte dieses Szenario: Er gehe davon aus, dass der Ausbruch nicht die allgemeine Bevölkerung gleichmäßig betreffen werde. Stattdessen werden vermutlich Risikogruppen klar identifiziert werden, auf die man die Maßnahmen fokussieren könnte.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betonte heute die Nachverfolgung und Isolation von Erkrank­ten, sieht aber keinen Grund für eine Alarmstimmung. „Das ist keine Krankheit, die die Öffentlichkeit besorgt machen sollte. Es handelt sich nicht um COVID“, sagte die WHO-Expertin Sylvie Briand in Genf bei einem Briefing für WHO-Mitgliedsländer.

Die WHO geht davon aus, dass die meisten Fälle mild verlaufen. Allerdings hätten Schwangere, Kinder und Menschen mit schwachem Immunsystem ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf.

gie

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