Ärzteschaft

Marburger Bund: Werteorientierte Patientenversorgung benötigt

  • Samstag, 13. Mai 2023
Susanne Johna /Jürgen Gebhardt
Susanne Johna /Gebhardt

Essen – Um die Gesundheitsversorgung in Zukunft sicherzustellen, müssen sich Ärztinnen und Ärzte verstärkt von ökonomischen Zwängen befreien. Das forderte Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), heute bei der 141. Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft.

Gleichzeitig sieht Johna den Staat in der Verantwortung für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, um die Gesundheit der Ärzte zu schützen.

„Dieser Druck, alles in hoher Taktung machen zu müssen, ist es, der uns Ärztinnen und Ärzten zu schaffen macht. Von diesem Druck müssen wir uns befreien“, sagte Johna. „Das geht am Ende nur mit einem kompletten Perspektivwechsel: weg von der Idee, Gesundheit sei eine Ware, hin zu einer werteorientierten Patientenversorgung.“

Zu diesen Werten gehöre es, Ärztinnen und Ärzte in die Lage zu versetzen, ihrer eigenen Gesundheit gerecht zu werden. Es gehe zusätzlich zum Patientenwohl auch um das Wohl derjenigen, die die Patienten versorgen, so Johna.

Das ist mittlerweile auch Teil des ärztlichen Gelöbnisses (Genfer Deklaration), betonte Johna. Dort heißt es: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können“.

Die Realität sehe aber anders aus. Es gebe eine massive Arbeitsverdichtung, regelmäßige Überschreitungen der Höchstarbeitszeitgrenzen und eine erhebliche Bürokratiebelastung. Dies gehe oftmals auf Kosten der Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte.

Die vielen bürokratischen Aufgaben raubten Ärztinnen und Ärzte zusätzlich viel Zeit, die sie für die Patientenversorgung benötigten. Bevor der Gesetzgeber neue bürokratische Vorgaben erlasse, müssten bereits bestehende Regelungen auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden, so Johna. Diese Zustände seien auch der Grund dafür, dass einer Umfrage des MB aus dem Jahr 2022 zufolge jede vierte Ärztin und jeder vierte Arzt überlegt, den Beruf aufzugeben.

Gegen diese Missstände wolle der MB auf allen Ebenen sowohl tarifpolitisch als auch gesundheitspolitisch vorgehen, kündigte Johna an. Zudem regte sie ein Verbandsklagerecht an.

„Wir brauchen Verbündete, um dieses Recht der Gewerkschaften durchsetzen zu können“, sagte sie. Ein solches Recht würde den MB in die Lage versetzen, in einem formalen Verfahren darauf hinzuwirken, dass die zuständigen Behörden Verstöße der Krankenhäuser ahnden und wirksam unterbinden würden.

Kritik zu gescheiterten Verhandlungsrunden mit den kommunalen Arbeitgebern

Diesbezüglich appellierte sie auch an die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. „Richten sie Dienstzimmer so ein, dass Sie selbst bereit wären, dort ein paar Stunden zu verbringen“, forderte Johna beispielhaft.

Zudem bekräftigte sie die Tarifforderung des MB, für die Klinikärztinnen und -ärzte an kommunalen Häusern ab 1. Januar 2023 eine lineare Erhöhung der Entgelte mit einem Inflationsausgleich sowie einer Lohn­erhöhung um 2,5 Prozent zu ermöglichen.

Diesbezüglich habe der VKA die Mediziner seit vier Verhand­lungsrunden im Regen stehen lassen. Johna freute sich aber über die engagierten Ärzte, die bei den vergangenen Kundgebungen und Warnstreiks teilgenommen hatten. „Etwa 10.000 Ärztinnen und Ärzte haben sich am letzten Dienstag am Warnstreik beteiligt“, begrüßte Johna.

Entbürokratisierung, Entökonomisierung, Entbudgetierung und damit auch bessere Arbeitsbedingungen tragen zudem zur Lösung des Fachkräftemangels bei, ist Johna überzeugt. Sie regte zudem die Einführung eines Registers an, in dem verzeichnet wäre, welche Kliniken in welchem Bereich vonseiten des Medizinischen Dienstes (MD) bereits überprüft worden sind.

Wenn Kliniken entsprechende Änderungen nicht melden würden, müsste es Strafen geben, aber dieses Register könnte doppelte und dreifache Überprüfungen des MD verhindern. Zudem sei ein weiterer Schlüssel im Kampf gegen den Fachkräftemangel eine verstärkte Kooperation mit neuen Gesundheitsfachberufen. Das Arbeiten im Team wird in Zukunft wichtiger, so Johna.

Die knapp 200 Delegierten der Hauptversammlung diskutierten heute insbesondere Probleme und Lösungsmöglichkeiten rund um den Fachkräftemangel und verabschiedeten einen entsprechenden Antrag, der den Gesetzgeber auffordert, diesem mit adäquaten Maßnahmen zu begegnen.

Darin heißt es unter anderem: „Erforderlich ist eine umfassende Fachkräftestrategie im Gesundheitswesen mit einer Erhöhung der Studien- und Ausbildungskapazitäten. Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochene Erhöhung der Medizinstudienplätze an staatlichen medizinischen Fakultäten ist dringend umzusetzen.“

Weiterbildung und ausreichende Finanzierung bei Krankenhausreform wichtig

Hinsichtlich der geplanten Krankenhausreform pochte Johna in ihrem Bericht auf eine ausreichende Finanzierung der Investitionskosten durch Bund und Länder. „Eine Krankenhausreform zum Nulltarif ist gescheitert, bevor sie angefangen hat“, sagte Johna. Es brauche mehr Kooperation und Koordination statt Fehlversorgung und Verdrängungswettbewerb.

Wichtig sei, Abteilungsstrukturen so zu ermöglichen, dass der Weiterbildungsauftrag auch realisiert werden könne. Hierbei sei ein funktionierender trägerübergreifender Verbund wichtig, der eine nahtlose Rotation durch alle Weiterbildungsabschnitte gewährleistet. „Krankenhäuser, an denen ärztliche Weiterbildung erfolgt, sind bei der Krankenhausplanung zu bevorzugen“, betonte Johna.

Die Delegierten verabschiedeten zudem einen Antrag zur Abschaffung des Systems der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG). Einen ähnlichen Antrag hatte bereits die 140. Hauptversammlung im vergangenen November gefordert. Damals forderten die rund 235 Delegierten, dass die ärztlichen Personalkosten aus den DRG herausgenommen werden sollten. Dies würde den Personalengpässen in den Krankenhäusern entgegenwirken.

Die Hauptversammlung forderte heute den Gesetzgeber per Antrag weiter dazu auf, die geplante Vorhaltefinanzierung als erlösunabhängige Vergütungskomponente zu gestalten. Damit soll vermieden werden, dass ein zusätzliches zweites Fallpauschalensystem in reduzierter Form neben den DRG-Pauschalen etabliert wird. Außerdem setzten sich die Delegierten dafür ein, dass die Weiterbildung bei der Krankenhausreform stärker berücksichtigt wird.

Medikamentenmangel zeige „erschreckende Ausmaße“

Johna rief die Bunderegierung zudem dazu auf, den Medikamentenmangel mit entsprechenden Maßnahmen effektiv zu bekämpfen. Dieser habe „teilweise erschreckende Ausmaße“ angenommen.

Es brauche mehr Maßnahmen, um die gesamte pharmazeutische Leistungskette abzusichern, beispielsweise durch mehr europäische Zusammenarbeit im Pharmasektor. Hersteller müssten zudem verpflichtet werden, ihre Herstellungs- und Lieferprobleme frühzeitig zu melden.

Darüber hinaus brauche es zudem größere Lagerkapazitäten und Ärzte müssten entscheiden, welche Medikamente unverzichtbar seien. Sie forderte die medizinischen Fachgesellschaften auf, entsprechende Shortlists mit unverzichtbaren Medikamenten aus ihren Bereichen zu erstellen.

Hinsichtlich ihrer Kandidatur für das Amt der Präsidentin der Bundesärztekammer (BÄK) sagte Johna heute, dass die Bundesärztekammer ihre Rolle als integrative Kraft und Taktgeber der verfassten Ärzteschaft noch besser ausfüllen könne.

„Wenn wir es nicht schaffen, das Sektorendenken zu überwinden und die vor uns liegenden Gestaltungs­aufgaben gemeinsam und mit ganzer Kraft anzupacken, dann werden andere die Initiative übernehmen und in unsere ureigenen Angelegenheiten hineinregieren. Und das müssen wir verhindern“, sagte Johna.

cmk

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