Politik

Gematik-Chef will neue Strukturen und Arbeitsweisen

  • Freitag, 13. September 2019
Markus Leyck Dieken /dpa
Markus Leyck Dieken /dpa

Berlin – Der neue Chef der gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Ge­sund­­heitskarte, Markus Leyck Dieken, will dem Haus eine neue Struktur und Arbeitsweise geben. Man wolle statt einem Aufgaben­erfüller künf­­tig Gestalter der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden. Dieses er­klärte Leyck Dieken, der seit Juli 2019 im Amt ist, auf der Tagung der AOK-Tochter gevko sowie der Gesellschaft für Recht und Politik (GRPG) in Berlin.

Das neue Selbstverständnis der gematik solle künftig „Motor und Forum der digitalen Aufholjagd“ sein, sagte er. Das Haus wolle zwar auch künftig die Expertise der bisherigen Hauptgesellschafter einbeziehen, „aber wir werden auch selbst denken und entscheiden.“ Seit Mai 2019 ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit 51 Pro­zent Hauptgesellschafter der gematik.

Das hatte Proteste von Krankenkassen und der Ärzteschaft, die sich bisher die Anteile auf­­geteilt hatten, ausgelöst. Ein weiterer Wandel, den der bisherige Pharmamanager im Haus einführen möchte, ist der offene Dialog mit allen Gesundheitsberufen und Soft­ware­­anbietern. Er erwarte auch von den gematik-Mitarbeitern, dass viel mehr mit den künftigen Nutzern über die Produkte gesprochen werde.

Da der Zeitplan bis zur Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) bis Anfang Januar 2021 sehr knapp ist, werde sich die gematik in den kommenden 15 Mona­ten auf drei Schlüsselprojekte konzentrieren: die Einführung der ePa, die Gestaltung des elektronischen Rezeptes sowie Kommunikationssoftware für die Leistungserbringer.

Bei der ePA warb Leyck Dieken bei den anwesenden Vertreten von Krankenkassen sowie Softwareunternehmen, dass sie Ärzte bei der Entwicklung besser integrieren müssen. „Die Krankenkassen rollen die ePA aus, die Ärzte müssen sie aber umarmen.“ Er zeigte sich über­zeugt, dass ohne „die Liebe der Ärzte zum Produkt“ die ePA keinen Erfolg haben werde.

Lastenhefte verlieren Bedeutung

„Wir brauchen positive Erfahrungen mit den digitalen Lösungen, damit es zum Erfolg wird. Ärzte werden diejenigen sein, die den Erfolg der ePA bringen.“ Daher plane Leyck Dieken mit den Mitarbeitern der gematik, viel mehr mit späteren Anwendern und nicht nur Ärzte­funktionären in Kontakt zu kommen, um Interessen und Wünsche der künftigen Nutzer kennenzulernen. Er mahnte auch, dass Ärzte ohne viele Hürden in den derzeitigen PVS-Systemen mit der ePA arbeiten können müssen.

Bei der Fortentwicklung des elektronischen Rezeptes kündigte der neue gematik-Chef an, andere Arbeitsweisen für die Programmierer vorzugeben. „Die Lastenhefte, in denen bis ins tiefste Detail Vorgaben für technische Entwicklungen aufgeschrieben wurden, werden wir aus unseren Arbeitsabläufen ausschließen.“ Auch aus der Politik sollten keine klein­teiligen Vorgaben per Gesetz kommen.

„Wir werden uns dagegen wehren, dass am Tisch des Gesetzgebers uns digitale Designs vorgeschrieben werden.“ Oftmals werden dabei Standards vorgegeben, die nicht mehr aktuell seien. „Dies ist jetzt eine Chance für eine neue Visitenkarte für die gematik“, so Leyck Dieken. Bis zum Juni 2020 wolle man erste Definitionen für das eRezept vorlegen.

Er verlangte vom Gesetzgeber, die Voraussetzungen zu schaffen, dass das elektronische Rezept (eRezept) auch Teil der künftigen ePA ist. Es sei den Nutzern, Ärzten wie Patien­ten nicht zu vermitteln, warum dies zwei getrennte Anwendungen seien.

Sichere Kommunikation

Ein drittes Schwerpunktprojekt sei die „sichere Kommunikation zwischen Leistungserbrin­gern“, kurz KOM-LE, mit dem Ärzte und andere Gesundheitsberufe untereinander Daten und Dokumente austauschen können. Die gematik-Entwicklung steht allerdings in Kon­kur­­renz mit dem bereits verfügbaren Service KV-Connect, das von der KV Telematik entwi­ckelt wurde.

Leyck Dieken erklärte bei der Tagung sowie in einem Tweet, dass man gemeinsam mit KV-Telematik-Chef Florian Fuhrmann eine Lösung finden würde, damit beide Produkte künf­tig nicht in Konkurrenz stehen würden. Genauere Angaben machte er aber nicht.

Die Entwicklung einer künftigen E-Health-Strategie habe auch einen europapolitischen Rahmen: Da Deutschland ab Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, könne man sich nicht weiter auf einem deutschen Sonderweg ausruhen, sondern müsse sich bei technischen Standards und anderen Themen deutlich positionieren, erklärte Leyck Die­ken. „Wir müssen eine Strategie entwickeln, damit künftig Rezepte auch in Spanien einge­löst werden können.“

Kritik an fehlendem Nutzen

In einer anschließenden Diskussionsrunde erklärte Axel Wehmeier, Vorstandsvorsitzender der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG), dass bisher viel Geld in die Digitalisie­rung des Gesundheitssystems investiert wurde, aber kaum Ergebnisse davon bei den Ärz­ten oder Patienten angekommen seien.

„Fragen Sie einmal in einer Arztpraxis, was passiert, wenn Sie denen das Faxgerät weg­neh­men“, sagte Wehmeier zu Leyck Dieken, der zuvor dafür geworben hatte, „die Fax-Fieberkurve in Arztpraxen zu senken.“

Noch seien viele Prozesse in der ambulanten Medizin auf das Faxgerät abgestimmt, warnte Wehmeier, der vor seinem Engagement bei der HÄVG für die Telekom gearbeitet hat. Auch gäbe es keine Strategie, wie der Krankenhaussektor künftig digitalisiert werden solle.

Wehmeier zeigte sich überzeugt, dass je mehr Apps auf dem Markt sind, es auch mehr Arztbesuche gebe – da immer mehr Menschen dann Nachfragen hätten. Er mahnte auch an, dass Ärzteverbände, Patienten und Politik viel deutlichere Vorgaben an die Industrie geben müssen, um Gesundheitsanwendungen zu konzipieren. „Das Geschäftsmodell der Industrie sieht ganz anders aus, als das, was in der Praxis gebraucht wird.“

bee

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