Gentherapie kuriert Sichelzellanämie bei Teenager

Paris – Französische Forscher haben erstmals einen Patienten mit Sichelzellanämie erfolgreich mit einer Gentherapie behandelt. Der heute 15-jährige Junge, der in der Vergangenheit mehrere Sichelzellkrisen erlebt hat, ist laut einem Bericht im New England Journal of Medicine (2017; 376: 848-855) seit 15 Monaten ohne weitere Attacken geblieben.
Die Sichelzellanämie ist die erste Erbkrankheit, deren molekulargenetische Ursache ermittelt werden konnte. Bereits 1957 beschrieb Vernon Martin Ingram in Nature, warum das Hämoglobin bei Sauerstoffmangel verklumpt und den Erythrozyten dadurch ihre charakteristische Form aufzwingt, die ihre Passage durch die engen Kapillaren so weit erschwert, dass es zu Thrombosen und einer hämolytischen Anämie kommt. Schuld ist eine Punktmutation an Position sechs des Gens für die Beta-Globin-Protein-Untereinheit.
Der Austausch der Aminosäure Glutaminsäure durch Valin bedeutet für Menschen mit der homozygoten Form der Sichelzellanämie, dass sie von anfallsartigen schmerzhaften Durchblutungsstörungen bedroht sind. Der heute 15 Jahre alte Patient hatte vor seiner Behandlung jedes Jahr 1,6 vaso-okklusive Krisen durchlebt. In beiden Hüften ist es zu Osteonekrosen gekommen, Milz und Gallenblase mussten entfernt werden. Im Gehirn wurden Zeichen einer Vaskulopathie gefunden, auf deren Boden sich jederzeit ein Hirninfarkt entwickeln könnte, den der Teenager möglicherweise nicht überlebt hätte. Zwei Behandlungen mit Hydroxyharnstoff waren ergebnislos verlaufen und ein geeigneter Knochenmarkspender wurde nicht gefunden.
Die betreuenden Ärzte am Hôpital Necker-Enfants malades in Paris nahmen den Patienten deshalb in eine Studie auf, die seit einigen Jahren eine neue Variante der Gentherapie erprobt, die bei der Thalassämie, einer weiteren genetischen Hämoglobinopathie bereits erfolgreich eingesetzt wurde.
Die Ärzte entnahmen dem Patienten zweimal Knochenmark. Sie infizierten die darin enthaltenen hämatopoetischen Stammzellen dann mit einem Virus, das die genetische Information für eine korrekte Version des Gens in den Zellen ablegte. Bei dem Patienten wurde inzwischen mit Busulfan das Knochenmark zerstört, um es neu mit den genetisch modizifierten Zellen besiedeln zu können. Die Behandlung war riskant. Der Patient war während der Chemotherapie der Toxizität des starken Alkylans Busulfan ausgesetzt. Er besaß in den ersten Wochen darauf kein funktionierendes Immunsystem zur Abwehr von Infektionen. Außerdem war er auf regelmäßige Transfusionen von Thrombozyten und Erythrozyten angewiesen.
Diese Phase überstand der Patient, und nach 50 Tagen konnte er die Klinik verlassen. Heute ist etwa die Hälfte seines Hämoglobins ohne Genfehler. Er befindet sich damit in der gleichen Situation wie seine Eltern, von denen er jeweils ein Exemplar des defekten Gens geerbt hatte. Die heterogene Variante der Sichelzellanämie ist in der Regel nicht mit lebensgefährlichen Sichelkrisen verbunden und sie verleiht den Patienten auch eine gewisse Resistenz gegen die Malaria.
Bei einem Hämoglobinwert von bis zu 12 g/dl ist der Patient auch nicht mehr auf Bluttransfusionen angewiesen, berichtet das Team um Philippe Leboulch, das den Patienten seit der Behandlung im Oktober 2014 betreut. Seither sei bei dem Patienten keine einzige Sichelzellkrise mehr aufgetreten und auch von den Folgen der Busulfan-Behandlung habe er sich erholt.
Die Forscher hoffen, dass ihr Patient in Zukunft vor den Leukämien verschont bleibt, die vor einem Jahrzehnt nach den ersten hämatopoetischen Gentherapien aufgetreten waren. Damals hatten die Forscher Gamma-Retroviren als Genfähren benutzt. Diese hatten die Gene teilweise in der Nähe von Onkogenen im Erbgut platziert.
Mehrere Patienten waren nach der erfolgreichen Korrektur des Gendefekts (einer angeborenen Immunschwäche) an einer Leukämie erkrankt. Inzwischen verwenden die Forscher Lentiviren – eine andere Variante der Retroviren, die ihre Fracht an sicheren Orten auf dem Genom abladen. Die neue Virusfähre wurde bereits bei 18 Patienten mit Thalassämie eingesetzt, ohne dass es zu einer Leukämie gekommen ist.
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