Gewalt in Kinderpsychiatrie: Landschaftsverband entschuldigt sich
Münster – Wo heute eine moderne Kinder- und Jugendpsychiatrie steht, litten Kinder bis in die 1980er-Jahre hinein unter Gewalt und Missbrauch. Der Klinikträger Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat die dunkle Geschichte des St. Johannes-Stifts in Marsberg mit Opfer-Interviews aufgearbeitet. Anhand von zahlreichen Zeitzeugen-Interviews zeigen Historiker jahrzehntelange Gewaltexzesse und Misshandlungen in der damals größten westfälischen Kinder- und Jugendpsychiatrie auf. Die Ergebnisse der Aufarbeitung stellten die Forscher heute in Münster vor.
Die Berichte machen deutlich, dass junge Menschen zwischen 1945 und 1980 in der staatlichen Einrichtung im sauerländischen Marsberg misshandelt und brutal bestraft wurden, um den reibungslosen Ablauf der Verwahranstalt zu sichern. „Hier sollten Kinder geheilt werden. In Wirklichkeit war es eine Stätte größten Kinderleids“, sagte LWL-Direktor Matthias Löb. In dem Stift im Sauerland waren zeitweise mehr als 1.100 junge Menschen untergebracht. Gewalt sei hier zwar nicht allgegenwärtig, aber doch mehr als der Ausnahmefall gewesen, unterstrichen die Forscher.
Seit 2013 widmet sich der LWL wissenschaftlich der Aufarbeitung der Misshandlungen. Bei einer Kontaktstelle des Verbandes haben sich seither mehr als 100 ehemalige Bewohner von LWL-Einrichtungen und ihre Angehörigen gemeldet und Gewalterfahrungen geschildert.
Die für die Studie intensiver befragten Opfer berichteten etwa, wie sie ihr eigenes Erbrochenes essen mussten, mit Arzneimitteln sediert oder unter Aufsicht der Ordensschwestern zu gegenseitigen Prügeleien angestachelt wurden. Auch sexueller Missbrauch durch ältere Patienten sei geduldet gewesen. Belege für systematische Medikamententests an Kindern fanden die Historiker bislang nicht. Dies solle aber tiefergehend untersucht werden, betonte der LWL.
Auch der rheinländische Schwesterverband LVR kündigte heute an, die Aufarbeitung zu früheren Medikamententests vorantreiben zu wollen. So soll beispielhaft der Umgang mit Medikamenten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Verbandes in Viersen zwischen 1945 und 1975 untersucht werden. In der Klinik gebe es noch umfangreiche Aktenbestände aus der Zeit.
Die kommunalen Landschaftsverbände – ihrerseits Träger zahlreicher Psychiatrien im Land NRW – reagieren mit Nachforschungen zu Medikamententests auf erste Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie zu bundesweit 50 Versuchsreihen mit Medikamenten an Heimkindern. In NRW soll in mindestens fünf Einrichtungen Arznei an Kindern und Jugendlichen getestet worden sein.
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