Politik

Grüne rudern zurück: Bereitschaft zu Schwangerschafts­abbrüchen wird kein Einstellungs­kriterium

  • Montag, 13. Juli 2020
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Berlin – Die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, könnte eine Ein­stellungsvoraussetzung für Ärzte an Universitätskliniken werden. Diese Idee hatte die baden-württembergische Grünen-Politikerin Bärbl Mielich in der vergangenen Woche in einem taz-Interview ins Spiel gebracht und dafür vor allem vom Koalitionspartner CDU heftige Kritik geerntet. Nun ruderte sie zurück.

Es ginge ausdrücklich nicht darum, Druck auf einzelne Ärzte auszuüben, sondern viel­mehr darum, diese schon während der Ausbildung für das schwierige Spannungsfeld des Themas zu sensibilisieren. Hier spielten Universitätskliniken eine zentrale Rolle, wird Mielich in einer gemeinsamen mit Parteikollegin und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer herausgegebenen Mitteilung zitiert. Auch Bauer hatte Mielichs Vorstoß zuvor in einem Schreiben aus dem die Welt zitiert als „grundlegend falsch“ kritisiert.

Auslöser für Mielichs ursprüngliche Äußerung war die Tatsache, dass es in Deutschland immer weniger Mediziner gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. So ist die Zahl der Ärzte, die Abbrüche vornehmen, zwischen 2003 und 2018 laut Statistischem Bundesamt um rund 40 Prozent gesunken, die Zahl der Abtreibungen im gleichen Zeit­raum aber nur um 21 Prozent.

Wie groß das Problem auf Landesebene ist, lässt sich häufig gar nicht beziffern. Denn ob­wohl diese dazu verpflichtet sind, Daten über die Versorgungsdichte zu erfassen, liegen diese Angaben nur für etwa die Hälfte der 16 Bundesländer vor. Auch Baden-Württem­berg erfasst die Daten nicht.

Auf der freiwilligen Liste der Bundesärztekammer trugen sich laut Mielich bis Oktober nur zehn Ärzte aus dem gesamten Bundesland ein. In diesem Zusammenhang sehe sie Handlungsbedarf, denn das Land habe einen Sicherstellungsauftrag, hatte Mielich in dem Interview erklärt. Man würde prüfen, inwiefern man Unikliniken dazu verpflichten könne, Neueinstellungen davon abhängig zu machen, dass Ärzte dazu bereit seien, Schwanger­schaftsabbrüche durchzuführen.

Von einem „groben Foul“ sprach danach die CDU-Landtagsabgeordnete Marion Gentges. „Ich kann niemanden verpflichten etwas zu tun, was er ethisch gar nicht vertritt, und da­von auch noch seine berufliche Karriere abhängig machen“, so Gentges. „Skandalös!“ kom­mentierte auch der ehemalige Bundesgesundheitsminister und heutige Vizevorsit­zen­de der Unionsfraktion im Bundestag, Herrmann Gröhe, auf dem Kurznachrichten­dienst Twitter.

Die Grünen auf Bundesebene reagierten indes positiv. Die grüne Sprecherin für Gesund­heitsförderung, Kirsten Kappert-Gonther, sagte demnach, wenn Unikliniken bevorzugt Ärzte einstellten, „die in der Lage sind, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, kann das ein Beitrag für eine bessere Versorgungslage sein“. Es sei eine „verhältnismäßig milde Maßnahme“, aus der sich keine grundsätzliche Verpflichtung für alle Mediziner ergebe.

Für die Landesärztekammer Baden-Württemberg kein gangbarer Weg. Er halte es für schwierig, Neueinstellungen in den Universitätskliniken künftig davon abhängig zu ma­chen, dass Ärzte bereit seien, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, sagte Kammer­präsident Wolfgang Miller dem Deutschen Ärzteblatt.

„Der Entschluss zum Schwanger­schaftsabbruch ist in jedem Einzelfall eine schwerwie­gende Entscheidung, die auch die Ärztinnen und Ärzte herausfordert.“ Ein Zwang, diesen Eingriff durchzuführen, komme für ihn nicht infrage.

Auch die Mediziner sehen Probleme beim Sicherstellungsauftrag: „Die bestehenden Eng­pässe sind aktuell eine Realität, der wir uns stellen müssen“, so Miller. Die Ursachen für die zunehmende Versorgungslücke seien vielfältig. So seien etwa die sogenannten „Le­bensschützer“ zunehmend ein Problem. Diese würden Ärzten, die Schwangerschafts­ab­brüche durchführten, und ihre Patientinnen nicht selten beschimpfen und bedrängen sowie deren Praxen belagern.

Ein besserer Schutz vor diesem Druck könne ein Ansatz sein, um den Sicherstellungs­auf­trag zu unterstützen, schlägt Markus Haist, Vorstandsmitglied der Landesärztekammer Baden-Württemberg, in einem Artikel zu der Problematik vor. Das Land selbst könne zwar keine Schutzzonen einrichten, verweise aber auf die Möglichkeit einer Ermessensent­schei­dung der Kommunen. „Erste Städte − darunter Pforzheim − konnten diesbezüglich eine versammlungsrechtliche Verfügung erwirken“, so Haist.

Auch die Rahmenbedingungen für ambulante Operationen in der Frauenheilkunde seien ein Ansatzpunkt. „Das regional vor vielen Jahren ausgehandelte Honorar für die Eingriffe wurde seit Jahren nicht mehr angepasst“, so Haist. Es trage dadurch den gestiegenen Vor­gaben im Hinblick etwa auf Qualitätsmanagement und Hygiene nicht mehr Rechnung.

Ob und welche dieser Anregungen umgesetzt werden können, soll sich in einem für nach der Sommerpause anberaumten Gespräch zwischen Sozial- und Wissenschaftsministe­ri­um, der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, der Landesärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung und den Universitätskliniken zeigen.

„Das Gespräch soll dazu dienen, die im Land vorhandenen Möglichkeiten für einen Schwan­gerschaftsabbruch zu analysieren und insgesamt Optionen einer langfristigen Sicherstellung zu identifizieren“, erklären Mielich und Bauer in ihrer gemeinsamen Erklärung.

„Wir sind uns einig: Es geht dabei ausdrücklich nicht darum, auf einzelne Ärztinnen oder Ärzte Druck auszuüben oder deren individuelle Bereitschaft zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zum Einstellungskriterium an einer Universitätsklinik zu machen“, heißt es dort weiter. Dennoch sei es richtig und nötig, diese Debatte in der Gesellschaft jetzt zu führen und dem Sicherstellungsauftrag nachzukommen.

alir/dpa

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