Schwangerschaftsabbrüche: Nachwuchsmangel ist nicht das Grundproblem
Berlin – Junge Mediziner stellen infrage, ob ein Mangel an Nachwuchs tatsächlich das Grundproblem von drohenden Versorgungslücken bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ist.
Hierarchische Strukturen an Universitätskliniken würden mitunter eine größere Rolle spielen, sagte Cecilie Helling, Bundeskoordinatorin der AG Sexualität und Prävention der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), dem Deutschen Ärzteblatt.
Hier würde die Entscheidung gegen die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ohne medizinische Indikation teils in den Chefetagen getroffen – unabhängig von der Anzahl verfügbarer Ärzte mit entsprechender Qualifikation.
Helling kommentierte damit eine Idee der Baden-Württembergischen Grünen-Politikerin Bärbl Mielich. Diese hatte in der vergangenen Woche in einem Interview erklärt, prüfen zu wollen, ob man an den Unikliniken des Bundeslandes die Neueinstellung von Ärzten von deren Bereitschaft zur Durchführung von Abbrüchen abhängig machen könnte, um sich andeutenden Versorgungsengpässen zu begegnen.
Nach deutlicher Kritik vom Koalitionspartner CDU, aber auch aus den eigenen Reihen, zog die Politikerin das Vorhaben wieder zurück. Auch die bvmd bewerte den Vorschlag als „höchst bedenklich“, so Helling. Die Freiwilligkeit der Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch sei als hohes Gut zu wahren.
Mielich hatte in dem Interview erklärt, viele Mediziner, die heute noch Abbrüche durchführten, seien 60 Jahre und älter, es würde kaum Nachwuchs folgen. Es sei unklar, ob die Nachwuchskräfte das Problem vielleicht gar nicht sähen, aus ethischen Gründen nicht wollten oder ein schlechtes Image fürchteten.
Der Bedarf, die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung durch ambulante und stationäre Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sicherzustellen, sei jungen Medizinerinnen und Medizinern durchaus bewusst, so Helling. Die möglichen Ursachen, aus denen Nachwuchs im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche fehlen könnte, sieht sie woanders.
„Schwangerschaftsabbrüche werden während der medizinischen Ausbildung standortabhängig stark unterschiedlich und teilweise klar unzureichend gelehrt“, so die bvmd-Vertreterin. So werde der Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen für zukünftiges Fachpersonal und damit indirekt auch der Zugang zu sicheren Eingriffen für Frauen stark erschwert.
„Im Studium der Medizin braucht es obligatorische, unvoreingenommene Informationsvermittlung über Schwangerschaftsabbrüche, basierend auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Dies umfasst sowohl die theoretischen Hintergründe, die ethische Debatte, als auch die Lehre zu den verschiedenen Durchführungsmethoden“, erläuterte Helling die Forderungen der bvmd.
Einen weiteren wesentlichen Grund, aus dem Nachwuchsärzte sich gegen die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden, sieht Helling in der Diffamierung durch Abtreibungsgegner. „Hier fordert die bvmd politische Unterstützung für Betroffene.“ Die öffentliche Debatte sei geprägt von Tabuisierung und Stigmatisierung.
Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, sei eine Entkriminalisierung der medizinisch professionellen Bereitstellung und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen von großer Bedeutung. Zudem müssten aus Sicht der bvmd die Sachlichkeit der Debatte gewahrt und Aufklärungskampagnen mit objektiven Informationen gestärkt werden.
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