Gutachten zu Cannabisfreigabe kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen

Berlin – Zur von der Regierungskoalition geplanten Legalisierung von Cannabis gibt es zwei neue Gutachten. Das eine kommt zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben nicht mit europäischem und internationalen Recht vereinbar ist. Das andere kommt zum gegenteiligen Schluss.
Die bayerische Landesregierung hat im Kampf gegen die Pläne der Ampelkoalition zur Legalisierung von Cannabis als Genussmittel argumentativ nachgelegt: In München stellte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) heute ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten von Bernhard Wegener, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, vor.
Wegener zufolge würden die Pläne von SPD, Grünen und FDP in der Form, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in seinem Eckpunktepapier vorgelegt hatte, sowohl gegen internationale Verträge als auch gegen EU-Recht verstoßen – und Pläne, das zu umgehen, seien wenig aussichtsreich.
Das völkerrechtliche Regelwerk besteht im Wesentlichen aus drei wichtigen internationalen Konventionen, nämlich dem sogenannten Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs), das Übereinkommen über psychotrope Stoffe von 1971 (Convention on Psychotropic Substances) und das UN-Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988 (UN Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances).
Wegener geht insbesondere beim Einheits-Übereinkommen von einer Kriminalisierungsverpflichtung aus – also, dass es den Vertragsstaaten untersagt, den nicht wissenschaftlichen und nicht medizinischen Umgang mit Drogen zu erlauben.
Darüber hinaus müssten sie alle erdenklichen Formen eines solchen Umgangs mit Drogen – mit Ausnahme des eigentlichen unmittelbaren Drogenkonsums im engeren Sinne – unter Strafe stellen.
Eine Möglichkeit, diese Verpflichtungen zu umgehen, könnte demnach in einer sogenannten Änderungskündigung der völkerrechtlichen Abkommen liegen: Deutschland träte dann aus und unter dem Vorbehalt einer Ausnahme für Cannabis wieder ein – diesen Weg hatten die Grünen bereits 2018 mit ihrem Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz ins Spiel gebracht.
Tatsächlich gibt es auch einen Fall, in dem ein Land erfolgreich so vorgegangen ist: So hat Bolivien die Freigabe der traditionell konsumierten Cocapflanze erreicht. Allerdings darf für eine erfolgreiche Umsetzung dieses Vorgehens nicht mehr als ein Drittel der anderen Vertragsstaaten innerhalb von zwölf Monaten widersprechen.
Im Fall Boliviens sei dieses Vetoquorum nicht erreicht worden, obwohl sechzehn Staaten – und unter ihnen auch Deutschland – Widerspruch einlegten. Für Deutschland – das sich kaum auf den traditionellen Konsum der Cannabispflanze berufen kann – sei dieses Verfahren mit erheblichen rechtlichen und politischen Risiken verbunden.
Hinzu komme: Nicht nur Deutschland ist Vertragspartner, sondern auch die EU als Staatenbund. Damit ist Deutschland auch bei eigenem Austritt mittelbar an das Übereinkommen gebunden und müsste die EU überreden, ebenfalls aus- und dann mit Cannabisvorbehalt wieder beizutreten. Das Szenario gilt als unwahrscheinlich.
Auch die UN-Drogenkontrollorgane würden keinen Zweifel lassen: Sie „bewerten eine umfassende Cannabislegalisierung der von der Bundesregierung geplanten Art in ständiger Entscheidungspraxis als vertragswidrigen Verstoß gegen die UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung“, schreibt Wegener.
Immerhin zeigt die Erfahrung, dass hier auch ein anderer, mutmaßlich leichterer Weg möglich sein könnte: Kanadas – den deutschen Plänen sehr ähnliches – Legalisierungsgesetz war ebenfalls nicht mit den einschlägigen UN-Konventionen vereinbar. Die Lösung war denkbar einfach: Kanada erklärte 2018 öffentlich, es erkenne an, mit seinen Gesetzen gegen die drei Konventionen zu verstoßen. Politische Folgen hatte das bisher nicht.
Innerhalb der EU wäre das aber kaum machbar – schließlich fehlt es hier, anders als in den internationalen Beziehungen, nicht an einer übergeordneten Instanz, die beispielsweise ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten kann.
Europarechtliche Grenzen der geplanten Cannabislegalisierung wiederum würden sich aus zwei Regelwerken ergeben: dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) von 1985 und dem Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates von 2004.
Ersteres ist untrennbar mit dem Schengenraum verbunden: Es dient der Bekämpfung von Gefahren, die sich aus dem Wegfall der Grenzkontrollen zwischen den Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens ergeben.
Wäre ein Betäubungsmittel in einem Land legal, in den umliegenden Staaten jedoch nicht, würden sich angesichts offener Grenzen einige Probleme ergeben. Das SDÜ verpflichtet seine Mitglieder deshalb, „alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln erforderlich sind“.
In Artikel 71 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien zudem explizit, „die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art einschließlich Cannabisprodukten sowie den Verkauf, die Verschaffung und die Abgabe dieser Mittel mit verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden“.
Besagter Rahmenbeschluss wiederum dient ausdrücklich der Schaffung eines Mindeststrafbarkeitsrahmens für den Bereich des Drogenhandels und enthält dementsprechend Mindestvorgaben für dessen notwendige Kriminalisierung.
Auch hier gelte: „Die Mitgliedstaaten sind danach gerade nicht frei darin, sich für oder gegen eine mit den Mitteln des Strafrechts operierende Drogenbekämpfungspolitik zu entscheiden“, erklärte Wegener. „So müssen insbesondere der Drogenanbau, die Drogenproduktion und der Drogenhandel in allen ihren verschiedenen Erscheinungsformen unter Strafe gestellt werden.“
Allerdings ergebe sich aus dem Wortlaut eine Einschränkung: Die Verpflichtung zur Kriminalisierung werde insoweit beschränkt, als der bloße Besitz und das Kaufen von Drogen nur dann unter Strafe gestellt werden muss, wenn er mit dem Ziel von Drogenanbau, -produktion oder -handel erfolgt.
„Ein Besitz und Kauf von Drogen, der diese Ziele nicht verfolgt, sondern allein legalen Zielen oder dem privaten Konsum dient, ist demnach von der Verpflichtung zur Kriminalisierung ausgenommen“, schreibt Wegener.
Das öffne die unionsrechtliche Grundlage für die Entkriminalisierung des privaten Konsums wie sie beispielsweise in den Niederlanden oder Portugal gilt – nicht aber für eine umfassende staatliche Kontrolle wie es die Ampelpläne vorsehen.
Realistische Möglichkeiten, eine Legalisierung über Ausnahmen für wissenschaftliche oder medizinische Zwecke oder die Deklaration von Cannabis-Produktion und -Handel als Elemente der Drogenbekämpfung zu erreichen, sieht Wegener nicht. Es würde kein Weg an einem Vertragsbruch vorbeiführen, so seine Schlussfolgerung.
Das ist die Vorlage für Holetschek: „Ein Verstoß gegen EU-Recht müsste meiner Ansicht nach immer ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen“, betonte er heute und forderte die Bundesregierung auf, ihre Pläne fallen zu lassen. „Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass es nicht zu einer Legalisierung des Kiffens kommt.“
Dort nimmt man das Gutachten demonstrativ gelassen: Das bayerische Gutachten „liefert offenbar keine neuen Erkenntnisse“, erklärte das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Vielmehr habe die Bundesregierung bereits im Eckpunktepapier im Herbst des vergangenen Jahres auf die engen völker- und europarechtlichen Risiken hingewiesen.
Ziel sei und bleibe, „den Jugend- und Gesundheitsschutz für Konsumenten zu verbessern sowie den Schwarzmarkt einzudämmen. Wir sind dazu auch weiter im Kontakt mit der EU-Kommission und werden europarechtlich konforme Lösungen vorlegen.“
Rückendeckung erhält die Bundesregierung dafür von Kollegen Wegeners: Ebenfalls heute berichtet das Fachmedium Legal Tribune Online (LTO) nämlich von einem weiteren Gutachten, das zu dem entgegengesetzten Schluss kommt.
Die Strafrechtlerin und Kriminologin Masha Fedorova sowie ihr Kollege Piet Hein van Kempen von der Universität in Nimwegen sollen demnach in der März-Ausgabe der Fachzeitschrift European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice eine Untersuchung veröffentlichen, die zum Ergebnis kommt, dass die Einführung eines staatlich kontrollierten, nationalen Lizenzsystems für Genusscannabis durch einen EU-Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen europa- und völkerrechtlich durchaus möglich ist.
Eine Legalisierung sei nämlich zu rechtfertigen, wenn der betreffende Staat „aufrichtig davon überzeugt ist und überzeugend argumentiert, dass er über dieses System die individuelle und öffentliche Gesundheit, die Sicherheit der Öffentlichkeit und/oder die Verhinderung von Gewaltverbrechen wirksamer umsetzen kann, als er dies über den prohibitiven Ansatz für Cannabis für Genusszwecke zu erreichen vermag“.
Zugleich benennen Federova und van Kempen aber auch Bedingungen, die für eine Legalisierung erfüllt sein müssten – etwa scharfe Vorkehrungen gegen einen internationalen Cannabis-Tourismus. Auch dürfe die Neuregelung die transnationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Drogenhandels nicht behindern.
Um darüber hinaus nicht gegen das SDÜ zu verstoßen, müsste das geplante Lizenzsystem zum Cannabisverkauf auch einen Beitrag zur Suchtprävention leisten und die erforderlichen verwaltungs- und strafrechtlichen Maßnahmen vorsehen, um den grenzüberschreitenden illegalen Drogenhandel zu verhindern und zu bestrafen.
Für schwieriger zu überwinden halten sie die Hürden der UN-Konventionen. Möglich sei es dennoch mit einem politisch-juristischen Kunstgriff, nämlich der Bezugnahme auf die Menschenrechte beziehungsweise die Pflichten, die sich aus den internationalen Menschenrechtsabkommen auch für Deutschland ergeben.
Denn man könne argumentieren, dass eine regulierte Erlaubnis für den Cannabisanbau und -handel Deutschland eine bessere Möglichkeit biete, „die grundlegenden Menschenrechte zu garantieren und somit seine positiven menschenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, wonach dieser Staat verpflichtet ist, Vorkehrungen zum Schutz dieser Rechte zu treffen“.
Hier könnte das Gutachten ins Spiel kommen, das das BMG im Januar an das gemeinnützige Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD Hamburg) vergeben hatte: Nach Ansicht von Federova und van Kempen könnte ein Staat nämlich sogar dazu verpflichtet sein, Anbau und Handel im Rahmen einer Regulierung zuzulassen.
Das sei dann der Fall, wenn eine solche Regulierung beispielsweise das Recht auf Gesundheit, Leben, körperliche und psychische Unversehrtheit und auf Privatsphäre besser schützt als eine prohibitive Drogenpolitik, wie sie in den internationalen Drogenkonventionen vorgesehen ist.
Genau auf diese Aspekte hebt das Gutachten ab, das das ISD Hamburg im Auftrag des BMG bis zum 31. März vorlegen soll. Muss die Bundesregierung ihr Vorhaben so rechtfertigen, wie Federova und van Kempen es beschreiben, könnte ihm eine zentrale Rolle zukommen.
„Der Konflikt zwischen den Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsabkommen und den internationalen Suchtstoffübereinkommen sollte wohl zugunsten einer Priorisierung der positiven Menschenrechtspflichten auflösbar sein“, schlussfolgern die beiden Juristen.
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