Politik

Bundeskabinett beschließt Eckpunkte für Legalisierung von Cannabis

  • Mittwoch, 26. Oktober 2022
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, kam mit etwas Verspätung zur Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt. /picture alliance, Christoph Soeder
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, kam mit etwas Verspätung zur Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt. /picture alliance, Christoph Soeder

Berlin – Das Bundeskabinett hat heute Eckpunkte für eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland be­schlossen. Nach den Plänen der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sollen Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydro­cannabinol (THC) künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.

Der Erwerb und Besitz von maximal 20 bis 30 Gramm „Genusscannabis“ zum Eigenkonsum sollen straffrei sein – unabhängig vom konkreten THC-Gehalt. Auf eine THC-Grenze soll wegen zu großen Aufwands bei möglicher Strafverfolgung verzichtet werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte, man wolle zugleich eine „Entkriminalisierung“ des Cannabiskonsums und einen verbesserten Jugend- und Gesundheitsschutz erreichen. Die Drogenpolitik im Cannabisbereich habe diesbezüglich in den vergangenen Jahren keine Erfolge vorzuweisen – deshalb wolle und müsse man „etwas Neues probieren“.

Ob es wirklich dazu kommt, ist aber noch offen. Internationale und europarechtliche Regeln zum Umgang mit Cannabis könnten der Legalisierung in Deutschland entgegenstehen. Der rechtliche Rahmen biete „begrenzte Optionen, das Koalitionsvorhaben umzusetzen“, heißt es in dem vom Kabinett beschlossenen Eckpunktepa­pier.

Genannt wird in dem Zusammenhang unter anderem das Schengener Durchführungsübereinkommen. Ein konkreter Gesetzentwurf soll deshalb erst vorgelegt werden, wenn sich abzeichnet, dass es von der EU gegen die geplante Cannabisfreigabe keine rechtlichen Einwände gibt. Lauterbach betonte, er sei diesbezüglich „zuversichtlich“. Man interpretiere die EU-Regeln so, dass die gesetzten Ziele mit denen der nun vorgelegten Eckpunkte übereinstimmen.

Die geplante Kombination aus liberalisierter Cannabisnutzung bei zugleich streng reguliertem Markt könne ein „Modell für Europa“ werden, so Lauterbach. Auch in anderen europäischen Ländern habe man derzeit Prob­leme mit Themen wie Jugendschutz und Schwarzmarkt – hierfür lege man „ein Angebot“ vor.

Sollte die EU-Kommission grünes Licht geben, sei man in der Lage, bereits im ersten Quartal des kommenden Jahres einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen. Eine Umsetzung der Cannabislegalisierung könne dann ab 2024 greifen, sagte Lauterbach. Einen „Plan B“ für den Fall grundsätzlicher Einwände der EU verfolge er nicht. Eine Entkriminalisierung ohne weitergehende Regulation stelle „derzeit“ keine Option dar.

SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, „die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Die von Lauterbach vorgelegten Eck­punkte sehen bereits eine ganze Reihe von Details vor.

So soll der private Eigenanbau in begrenztem Umfang erlaubt werden. „Drei weibliche blühende Pflanzen pro volljähriger Person“ sollen gestattet sein. Diese müssen vor dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen ge­schützt werden.

Der Verkauf soll in „lizenzierten Fachgeschäften“ – Zutritt erst ab 18 Jahren – und eventuell Apotheken er­mög­licht werden. Werbung für Cannabisprodukte wird untersagt. Die Menge, die pro Kunde verkauft werden darf, wird begrenzt. Einen Versandhandel soll es zunächst nicht geben. Der Handel ohne Lizenz bleibt strafbar. Wegen des erhöhten Risikos für cannabisbedingte Gehirnschädigungen in der Adoleszenz soll geprüft werden, ob es für unter 21-jährige Käufer eine THC-Obergrenze geben soll.

Neben der Umsatzsteuer auf Verkäufe ist eine gesonderte „Cannabissteuer“ geplant, die sich nach dem THC-Gehalt richtet. Ziel ist ein Endverbraucherpreis, „welcher dem Schwarzmarktpreis nahekommt“. Lauterbach ver­wies darauf, dass die Steuermittel unter anderem für die vorgesehenen Präventions- und Jugendschutz­maßnahmen verwendet werden sollten.

Cannabisprodukte zum Rauchen und Inhalieren oder zur Aufnahme in Form von Kapseln, Sprays oder Tropfen sollen zum Verkauf zugelassen werden. Sogenannte Edibles, also etwa Kekse oder Süßigkeiten mit Cannabis, hingegen zunächst nicht.

Aufklärung, Prävention, Beratung und Behandlungsangebote sollen ausgebaut werden. Es sei insbesondere notwendig, niedrigschwellige und flächendeckende Frühinterventionsprogramme zur Konsumreflexion für konsumierende Jugendliche einzuführen, heißt es in den Eckpunkten.

Begleitend sollen Daten erhoben und analysiert werden zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Canna­bisfreigabe. Nach vier Jahren sollen die Regelungen bewertet und gegebenenfalls angepasst werden, vor allem mit Blick auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sowie mit Blick auf die Straßenverkehrs­sicherheit.

Die Eckpunkte sind nur ein Zwischenschritt. Im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens, wenn es denn dazu kommt, können sich viele Details noch ändern. Darauf verwies auch Lauterbach: Sollte beispielsweise die EU-Kommission Punkte kritisch sehen, werde man reagieren und Anpassungen vornehmen.

Lob und Kritik

Die bayerische Landesregierung bekräftigte ihre Kritik an dem Vorhaben. Das Konzept sei „keine geeignete Grundlage, um den Gefahren durch eine Cannabisfreigabe zu begegnen“, sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Im Gegenteil bedeute das Vorhaben weiterhin große gesundheitliche Risiken insbesondere für junge Leute. Er forderte erneut einen Stopp der Cannabispläne der Bundesregierung.

„Cannabis ist offenbar der Kitt, der die Ampelkoalition zusammenhält“, sagte der gesundheitspolitische Spre­cher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge. Während die Unterstützung für Krankenhäuser und Reha­kliniken weiter auf sich warten lasse, mache die Bundesregierung bei der Legalisierung von Cannabis Tempo. „Diese Prioritätensetzung ist falsch und gefährlich.“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spiele mit der Gesundheit der Kinder, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. „Mit dieser Debatte wird vor allem jungen Menschen der Eindruck vermittelt, es handele sich um eine harmlose Droge. Das Gegenteil ist der Fall.“ Der frühe Konsum habe erheblich negativen Einfluss auf das Wachstum und die Entwicklung des Gehirns. „Wir appellieren an die Ampelkoalition, das Vorhaben fallen zu lassen“, sagte Czaja. Statt sich mit Drogenfreigabe zu beschäftigen, solle der Gesundheitsminister den Kranken­häusern und Pflegeeinrichtungen in einer ihrer schwersten Krisen helfen.

Der Apothekerverband Nordrhein warnte ebenfalls. „Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker hat sich eindeutig gegen die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ausgesprochen und vor den gesund­heitlichen Gefahren des Cannabiskonsums gewarnt“, sagte Verbandschef Thomas Preis der Rheinischen Post.

Die Apotheken sähen sich in einem beruflichen Konflikt, sagte Preis. Zwar seien sie aufgrund ihrer fachlichen Expertise bestens geeignet, die notwendigen hohen Qualitätsstandards bei der Abgabe und Beratung zu erfüllen. „Andererseits sind Apothekerinnen und Apotheker Heilberufler“, betonte der Verbandschef. Besonders kritisch wird demnach eine „mögliche Wettbewerbssituation mit rein kommerziellen Anbietern gesehen“.

Preis geht ohnehin nicht davon aus, dass die Legalisierung von Cannabis in Deutschland bald kommen wird. „Wir rechnen nicht mit einer schnellen Umsetzung eines Gesetzgebungsverfahrens. Denn die größte Hürde bleibt nach wie vor das internationale und das EU-Recht“, sagte er.

Aus Sicht der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ist Cannabis nicht harmlos. Die bisherige Verbotspoli­tik sei jedoch gescheitert. „Ein legaler Verkauf ist besser als ein unkontrollierter Schwarzmarkt und ermöglicht erst einen ausreichenden Gesundheits- und Jugendschutz“, sagte BPtK-Präsident Dietrich Munz. Insbesondere sei ein Mindestalter von 18 Jahren „unbedingt notwendig“.

Die BPtK mahnt an, den Gesundheitsschutz weiter zu verbessern. Dazu gehörten unter anderem Aufklärungs- und Anti-Stig­ma-Kampagnen zu Suchterkrankungen, verpflichtende Aufklärungsprogramme zu Drogen an Schulen ab der sechsten Jahrgangsstufe, Screening zur besseren Früherkennung von Drogenmissbrauch und Suchtberatung als verpflichtendes Leistungsangebot der Kommunen.

Mit Nachdruck hat der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, die Pläne kritisiert. „Es ist erschütternd, dass ein Gesundheitsminister die Legalisierung einer Substanz vorstellen muss, von der wir wissen, dass sie hirn-organische Veränderungen hervorruft, zu Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen führt sowie Abhängigkeiten und psychische Veränderungen auslösen kann“, sagte er im ZDF-Mittagsmagazin.

Es gebe keinen Grund, neben den beiden legalen Drogen Tabak und Nikotin eine dritte einzuführen. „Die Vor­stellung, dass durch Regulierung, Legalisierung und Entkriminalisierung der Schaden verringert wird, ist nicht belegt – auch nicht durch Erfahrungen im Ausland“, so Reinhardt weiter. Schließlich ändere sich dadurch nichts an den gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums.

„Der Hinweis, dass durch die Legalisierung von Cannabis ein höheres Steueraufkommen entstünde, ist fast schon zynisch“, sagte Reinhardt. Ziel müsse es vielmehr sein, die Verbreitung suchtauslösender Substanzen einzuschränken. Dazu sei unter anderem mehr Aufklärungsarbeit an Schulen notwendig.

Die Bundesärztekammer hatte bereits mehrfach an die besonders schädlichen Wirkungen von Cannabis auf Jugendliche erinnert. Die Risiken für Langzeitschäden seien insbesondere bei Jugendlichen hoch, hieß es von Seiten der Ärzte. Es stelle sich die Frage, wie bei einer legalisierten Abgabe junge Leute effektiv geschützt werden könnten.

Der 126. Deutsche Ärztetag in Bremen hatte für den Fall einer Legalisierung von Cannabis die Etablierung wirksamer Präventionsmaßnahmen angemahnt. Die Anzahl und die Öffnungszeiten von Cannabis-Verkaufs­stel­l­en sei zu begrenzen und der direkte Konsum an den Verkaufsstellen zu unterbinden. Erforderlich seien zudem eine Mengenbegrenzung bei der Abgabe und die Festlegung eines maximalen Tetrahydrocannabinol-Gehalts.

„Uns als Kinder- und Jugendärzten wäre es lieber, wenn die Cannabislegalisierung nicht kommt“, sagte der Chef des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, der Rheinischen Post. Das mensch­liche Hirn sei bis zum 25. Lebensjahr noch nicht vollständig ausgereift. „Regelmäßiger Cannabiskonsum kann bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen irreparable Hirnschäden verursachen, bis hin zu einer dauerhaften Einschränkung der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der sozialen Kompetenz.“ Die Schutzmaßnahmen für unter 21-Jährige müssten deutlich strenger sein als für ältere Erwachsene, so Fischbach.

Regelungen in anderen Ländern

In Europa sind die Regelungen zu Cannabis sehr unterschiedlich, wie ein Blick in einige Länder des Konti­nents zeigt.

In den Niederlanden wird der Verkauf von Soft Drugs, also Cannabis, in Coffeeshops seit 1976 toleriert. Er­wachsene über 18 Jahre dürfen dort pro Person fünf Gramm am Tag kaufen und Joints auch rauchen. Damit sind die Niederlande weltweit Vorreiter einer Tolerierung. Allerdings ist der Anbau und Großhandel von Can­nabis – mit Ausnahme von medizinischen Zwecken und fünf Pflanzen für den privaten Konsum – verboten. Die Belieferung der Coffeeshops ist somit illegal – der Handel läuft über Kriminelle. Zurzeit läuft eine staatliche Initiative, um den Anbau von Cannabis für die Verkaufsstellen zu legalisieren.

Die neue rechte Regierung Italiens unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist gegen eine Legalisierung von Cannabis. Italiens Politik diskutierte im vergangenen Jahr im Justiz-Ausschuss des Parlaments über die Teil-Legalisierung von Cannabis. Für den privaten Gebrauch sollte es demnach erlaubt sein, bis zu vier Pflanzen zu Hause anzubauen. Befürworter sammelten im Herbst 2021 Hunderttausende Stimmen für ein Referendum zur Legalisierung des Anbaus der Droge, scheiterten damit aber vor dem Verfassungsgericht.

In Spanien wird an einer Legalisierung und Regulierung des Einsatzes von Cannabis für medizinische Zwecke gearbeitet. Der Gesundheitsausschuss des Parlaments verabschiedete im Juni eine Stellungnahme, in der die Regierung aufgefordert wurde, innerhalb von sechs Monaten entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Der Legalisierung des Konsums von Cannabis im Freizeitbereich wurde aber eine Absage erteilt.

Eine Cannabis-Legalisierung ist in Österreich derzeit ausgeschlossen. „Das halten wir für den völlig falschen Weg“, so Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Damit ist das Thema in der aktuellen ÖVP-Grünen-Koalition trotz des Drängens des grünen Juniorpartners vom Tisch. Auch die SPÖ lehnt eine völlige Liberalisierung des privaten Konsums ab. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hatte erst im Sommer die Behandlung eines Antrags eines Mannes als aussichtslos abgelehnt, der mit einem Joint von Polizisten in Zivil erwischt worden war und klagen wollte.

Die Schweiz hat ihre Cannabis-Vorschriften jüngst gelockert: Das Verbot von Cannabis zu medizinischen Zwe­cken wurde im August 2022 aufgehoben. Bei bestimmten Erkrankungen wie Multipler Sklerose oder chroni­schen Schmerzen können Ärzte Betroffenen Cannabis-Arzneimittel verschreiben. Zudem laufen seit Kurzem mehrere Pilotprojekte zur Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken. Cannabisprodukte mit weniger als einem Prozent des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) unterliegen in der Schweiz nicht dem Betäubungsmittel­gesetz und sind frei käuflich.

Anbau und Besitz von Cannabis als Rauschmittel sind in Tschechien illegal. Handelt es sich um eine geringfü­gige Menge zum Eigenkonsum, wird in der Regel von einer Strafverfolgung abgesehen. Die Entscheidung da­rüber liegt im Ermessen der Justiz. Zu medizinischen Zwecken kann Cannabis seit einigen Jahren auf Rezept verschrieben werden. Innerhalb der Regierungskoalition setzt sich die Piratenpartei für eine Legalisierung des Cannabis-Konsums ein. Sie argumentiert mit zusätzlichen Steuereinnahmen für den Staat von jährlich umge­rechnet bis zu 70 Millionen Euro. Im Kabinett in Prag gibt es darüber noch unterschiedliche Auffassungen.

aha/may/dpa/kna

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