Politik

IGES-Gutachten sieht massive Ausweitung ambulanter Operationen vor

  • Freitag, 1. April 2022
/picture-alliance, Stephan Görlich
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Berlin – Die Möglichkeiten für ambulante Operationen und sonstige stationsersetzende Eingriffe in Krankenhäusern sollten Experten zufolge substanziell ausgeweitet werden. Ein heute vorgelegtes Gut­achten empfiehlt 2.476 medizinische Leistungen, die zusätzlich in den Katalog für ambulantes Operieren (AOP-Katalog) aufgenommen werden sollten.

Damit würde sich die Anzahl der derzeit möglichen ambulanten Leistungen nahezu verdoppeln – bislang zählt der AOP-Katalog 2.879 Leistungen. In dem Gutachten sind ambulant durchführbare Operationen, stationsersetzende Eingriffe und stationsersetzende Behandlungen konkret benannt sowie Maßnahmen zur Fall-Differenzierung nach dem Schweregrad analysiert.

Die im Gutachten für eine Erweiterung des AOP-Katalogs empfohlenen Operationen und Prozeduren wurden im Jahr 2019 insgesamt rund 15 Millionen Mal zur vollstationären Behandlung von Patienten durchgeführt. Das sind mehr als ein Viertel aller etwa 58 Millionen vollstationär erfolgten Leistungen.

Am häufigsten waren diagnostische Maßnahmen, die gut sieben Millionen Mal stationär vorkamen – überwiegend die Endoskopie, meist von Magen und Darm. Je nach Behandlungskontext könnten diese Leistungen zukünftig teilweise ambulant durchgeführt werden.

Vorgesehen ist zudem ein praktikables Verfahren für Krankenhäuser, mit dem je nach individueller Behand­­­­­­lungssituation ein stationärer Aufenthalt begründet werden kann. Dies soll die Patientensicher­heit erhöhen, aber auch unnötige Prüfverfahren für Kliniken verhindern.

Vorlage für die Selbstverwaltung

Erarbeitet wurden die Vorschläge vom IGES Institut in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Gesund­heitsforschungsinstitut Gesundheit Österreich. Dies erfolgte im Rahmen eines Gutachtens für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), den GKV-Spitzenverband sowie die Deutsche Krankenhaus­gesellschaft (DKG). Die drei Organisationen der Selbstverwaltung vereinbaren den AOP-Katalog sowie eine für Krankenhäuser und niedergelassene Vertragsärzte einheitliche Vergütung der darin enthaltenen Leistungen.

Mit dem Anfang 2020 in Kraft getretenen Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) hatte der Gesetzgeber festgelegt, dass der AOP-Katalog substanziell erweitert werden sollte, um die Ambulantisierung voranzutreiben.

Das IGES-Gutachten belege, wie groß und dringend der Ambulantisierungsbedarf in Deutschland sei, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Das Gutachten stellt eine wertvolle Vorarbeit für die Erweiterung des AOP-Katalogs dar.“

Der GKV-Spitzenverband werde sich in den Beratungen mit der KBV und DKG für eine substanzielle Erweiterung des AOP-Katalogs einsetzen. „Wir wollen, dass die Ambulantisierung in Deutschland Fahrt aufnimmt. Das ist ein wichtiges Signal an die Politik“, so Stoff-Ahnis.

„Wir begrüßen das Ergebnis des Gutachtens zur Anpassung und Erweiterung des AOP-Katalogs und unterstützen den Ansatz, dass deutlich über eine reine Anpassung des Katalogs hinausgegangen wurde. Wir sind überzeugt, dass die Nutzung der ambulanten Potenziale der Krankenhäuser in Zukunft ein echter Mehrwert für die Patientenversorgung sein wird“, erklärte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG.

Aus Sicht der DKG zeigt das Gutachten auch, dass die Krankenhäuser der richtige Ort für komplexe ambulante Behandlungen sind, weil „nur dort die notwendigen Strukturvoraussetzungen existieren“. Ein solcher klinisch-ambulanter Leistungsbereich an den Krankenhäusern könne ideal mit den im Koalitions­vertrag angesprochenen Hybrid-DRG (diagnosebezogene Fallpauschalen, DRG) vergütet werden, so Gaß. So könne man starke Anreize für eine Ambulantisierung bisher vollstationärer Leistungen setzen.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, hatte gestern im Rahmen des SpiFa-Fachärztetages angemahnt, die Krankenhäuser dürften bezüglich der Ambulantisierung keine „Jägerzäune“ aufbauen. Geeignete ambulante Leistungen seien – unter den gleichen strukturellen und finanziellen Bedingungen – auch von niedergelassenen Ärzten erbringbar.

Die relativ hohe Zahl von Leistungen, die Krankenhäuser gemäß den Empfehlungen zukünftig auch ambulant erbringen können, resultiert aus einem sogenannten potenzialorientierten Ansatz der Gutach­ter. Maßgeblich war, dass Möglichkeiten für eine ambulante Durchführung bestehen. Dies folgerten sie aus übergeordneten medizinischen Kriterien, aus Empfehlungen von Fachgesellschaften sowie aus AOP-Erfahrungen im Ausland.

Die Experten berücksichtigten dabei zudem Leistungen, die derzeit in AOP-nahen Versorgungsbereichen im Krankenhaus erbracht werden, etwa bei vor- oder teilstationären Behandlungen, stationären Behand­lungsfällen mit kurzen Liegezeiten oder die im Zusammenhang mit ambulant-sensitiven Diagnosen stehen, also Erkrankungen, die in der Regel ambulant versorgt werden können.

Vor dem Hintergrund dieses offenen Ansatzes empfehlen die Gutachter daher, ergänzend ein Prüfverfah­ren zu implementieren, mit dem Kliniken fallindividuell begründen können, warum sie Patienten – wenn nötig – doch stationär behandeln. Gründe dafür können erhöhte Krankheitsschwere, altersbedingte Risiken, soziale Begleitumstände oder erhöhte Betreuungsbedarfe der Patienten sein.

Schweregrade von Behandlungsfällen besser erkennen

Zudem sieht das Gutachten eine weitergehende Abstufung der jeweiligen Krankheits- und Behandlungs­umstände vor. So könnten Patienten identifiziert werden, die einen erhöhten Versorgungsaufwand bei ambulanter Durchführung benötigen.

Wie die Gutachter betonen, ließen sich anhand dieser Faktoren auch die zu vereinbarenden sektorenein­heitlichen Vergütungen nach dem Schweregrad des Behandlungsfalles differenzieren und erhöhte Versorgungsbedarfe berücksichtigen.

Die potenzialorientierten Vorschläge zur Erweiterung des AOP-Katalogs wurden von den Experten längerfristig ausgerichtet – nicht alle der vorgeschlagenen neuen ambulanten Leistungen ließen sich sofort umsetzen.

Für bestimmte Möglichkeiten einer ambulanten Versorgung müssten vielerorts erst die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Gutachter empfehlen daher, den AOP-Katalog stufenweise und im Sinne eines „lernenden Systems“ umzusetzen und intensiv wissenschaftlich-fachlich zu begleiten.

aha

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