Medizin

Interessenkonflikte: Finanzielle Verbindungen führen zu positiveren Ergebnissen

  • Mittwoch, 18. Januar 2017
Uploaded: 28.10.2015 13:56:48 by intern01
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San Francisco – Die Ergebnisse randomisierter klinischer Medikamentenstudien, die wichtigste Grundlage für eine evidenzbasierte Therapie, fallen dreimal häufiger positiv aus, wenn der Hauptautor einen Interessenkonflikt mit dem Hersteller angegeben hat. Dies ist das Ergebnis einer Studie im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2017; 356: i6770). Eine Artikelserie in JAMA Internal Medicine untersucht Interessenkonflikte in Leitlinien, bei Selbsthilfegruppen und bei Twitter.

Viele klinische Forscher, die Medikamentenstudien durchführen, haben finanzielle Beziehungen zu den Herstellern. Sie erhalten Reisekosten zu Kongressen erstattet, Honorare für ihre Vorträge oder für Beratungsleistungen. Auch der Besitz eines Aktienpaketes oder ein Patent für die Entwicklung des Wirkstoffs können dazu führen, dass die Forscher mehr als nur ein wissenschaftliches Interesse am Ausgang einer Studie haben.

Einfluss der Pharmahersteller zeigt Wirkung
Dass dies zu Manipulationen führen kann, ist lange bekannt. So gaben 2002 in einer Umfrage 15,5 Prozent der bei den US-National Institutes of Health beschäftigten Forscher an, dass sie auf Druck eines Herstellers schon einmal Design, Methoden oder Ergebnisse einer Studie verändert hätten (Nature 2005; 435: 737-8). Eine Analyse des Nordic Cochrane Centre fand heraus, dass industriegesponserte Studien häufiger zu positiven Ergebnissen kommen als unabhängige Studien (Cochrane Database Syst Rev. 2012; 12: MR000033). 

Diese Bedenken haben zu Forderungen nach mehr Transparenz in klinischen Studien geführt. Seit einigen Jahren müssen die Studienleiter ihre finanziellen Interessen­konflikte offen legen. Die Hersteller werden verpflichtet, ihre Studien vor Beginn öffentlich zu registrieren. Dies soll die Unterschlagung von negativen Studiener­gebnissen verhindern, da es sonst in späteren Meta-Analysen zu einer verzerrten Bewertung kommen könnte.

Knapp 60 Prozent der Autoren geben Interessenkonflikte an
Ob Transparenz allein Manipulationen verhindert, ist umstritten. Ein Team um Salomeh Keyhani von der Universität von Kalifornien in San Francisco hat jetzt in einer Stichprobe von 195 Studien aus dem Jahr 2013 den möglichen Einfluss von Interessenkonflikten auf die Studienergebnisse untersucht. 58 Prozent der Leitautoren hatten einen Interessenkonflikt angegeben. Dieser bestand zu 39 Prozent aus Zahlungen für Beratertätigkeiten, zu 20 Prozent aus bezahlten Vorträgen, zu 20 Prozent aus nicht näher spezifizierten finanziellen Verbindungen und zu 13 Prozent aus Honoraren. 

Dreizehn Prozent der Studienleiter standen in einem Anstellungsverhältnis zum Hersteller, 13 Prozent hatten Reisekosten erstattet bekommen, 10 Prozent gaben einen Aktienbesitz an und 5 Prozent waren Besitzer von Patenten zu dem untersuchten Wirkstoff. Die meisten Autoren hatten die Interessenkonflikte wie vorgesehen in der Publikation der Studien erwähnt, bei einigen haben die Forscher die finanzielle Beziehung in einer Online-Recherche ermittelt.

Die Analyse ergab, dass Studien, deren Leitautoren finanzielle Verbindungen zum Hersteller angegeben hatten, deutlich häufiger zu günstigen Ergebnissen für das Medikament geführt haben. Keyhani ermittelt eine Odds Ratio von 2,94 mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,4 bis 6,1) für die Interessenkonflikte, die in der Publikation erwähnt werden. Wurden die von den Autoren recherchierten Beziehungen hinzugenommen, stieg die Odds Ratio auf 3,57 (1,7-7,7). Die Assoziation bestand nicht nur für von der Industrie finanzierte Studien (Odds Ratio 3,36; 1,2-9,8) sondern auch für nicht von der Industrie finanzierte Studien (Odds Ratio 2,53; 0,42-15). 

Forderung: Klinischen Prüfprotokolle der Studien öffentlich machen
Trotz der hohen Odds Ratios kann die Studie nicht belegen, dass die finanziellen Beziehungen für die positiven Ergebnisse verantwortlich sind, was zwangsläufig zum Vorwurf von Manipulationen führt. Es bleibt möglich, dass die Industrie bei vielversprechenden Medikamenten, bei denen ein Erfolg abzusehen ist, spendabler ist und vermehrt auf erfahrene Studienleiter zurückgreift, zu denen sie bereits (finanzielle) Beziehungen hat. Dennoch wirft die Untersuchung Fragen auf, zumal die Odds Ratios sehr hoch ausgefallen sind – allerdings bei relativ breiten Konfidenzintervallen.

Eine Forderung, die im Raum steht, geht dahin, die klinischen Prüfprotokolle der Studien öffentlich zugänglich zu machen. Dies würde auch Meta-Analytikern die Arbeit erleichtern, die später die Ergebnisse unterschiedlicher Studien zusammenfassen. Eine radikalere Lösung würde darin bestehen, Ärzte mit finanziellen Interessenkonflikten ganz von der Teilnahme an klinischen Studien auszuschließen. In anderen Berufs­zweigen wie der Ingenieurwissenschaft, der Architektur, dem Rechnungswesen und der Rechtswissenschaft ist dies üblich, wie das Institute of Medicine 2009 in einem Dossier erwähnte.

Die Verbindungen zwischen Industrie und Ärzten sind jedoch so eng, dass sich in vielen Bereichen kaum unabhängige Experten finden lassen. Das zeigte sich auch bei der Besetzung der Autoren für zwei der vermutlich einflussreichsten Leitlinien der letzten Jahre.

Die erste betrifft die Behandlung der Hypercholesterinämie. Das American College of Cardiology hatte zusammen mit der American Heart Association 2013 Empfehlungen veröffentlicht, die die Indikation für Statine und andere Cholesterinsenker deutlich ausweiten. Die andere Leitlinie betrifft die Behandlung der Hepatitis C. Die American Association for the Study of Liver Diseases und die Infectious Diseases Society of America haben sich 2014 in einer gemeinsamen Leitlinie für eine Ausweitung der Behandlungen mit neuen, aber kostspieligen direkt antiviral wirkenden Substanzen (DAA) ausgesprochen.

Wie Steven Pearson von den National Institutes of Health, Bethesda, in einer Analyse in JAMA Internal Medicine (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.8439) nachweist, hatte die Mehrheit der Leitlinien-Autoren Interessenkonflikte, die im Widerspruch zu den vom Institute of Medicine veröffentlichten Standards stehen.

Bei der Neufassung einer Leitlinie der Centers for Disease Control and Prevention zur Schmerzbehandlung, die den Einsatz von Opioiden begrenzen soll, kamen laut G. Caleb Alexander vom Johns Hopkins Medicine, Baltimore, Einwände deutlich häufiger von Organisationen, die von den Medikamentenherstellern gesponsert wurden (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.8471).

Interessenkonflikte in sozialen Netzwerken
Interessenkonflikte gibt es auch bei den sozialen Medien. In den Tweets, die Ärzte verbreiten, werden nicht selten kommerzielle Produkte erwähnt. Wie Vinay Prasad von der Oregon Health & Science University in Portland in einer Analyse zeigt, hatten fast 80 Prozent aller Hämatologen und Onkologen, die 2014 bei Twitter aktiv waren, einen Interessenkonflikt. Nur wenige hatten dies in ihrer Profil-Biographie erwähnt (2017: doi: 10.1001/jamainternmed.2016.8467).

Die Summen, die von der Industrie an medizinische Entscheidungsträger fließen, sind nicht unerheblich. So erhielt die Mehrheit der Vorstandsmitglieder der US-National Osteoporosis Foundation im Jahr 2015 über 450.000 US-Dollar von der Industrie (einschließlich Forschungsprojekten). Geradezu bescheiden sind dagegen die Zuwendungen an Patienten-Selbsthilfe-Gruppen (PAO). Susannah Rose ermittelte in einer Umfrage in JAMA Internal Medicine (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.8443) eine mediane Fördersumme von jährlich 299.140 US-Dollar (für die gesamte PAO). 

Dies hat bereits zu Vorwürfen der Bestechlichkeit geführt. Lisa Bero von der Universität Sydney wundert sich in einem Editorial (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.9179) über die fehlenden Empörungen der PAO im EpiPen-Skandal – der Hersteller des Notfal-Sets für Allergiker hatte als Monopolist die Preise drastisch erhöht. Die Kommentatorin erinnert auch daran, dass es der vom Hersteller gesponserten PAO „Even the Score“ im letzten Jahr gelungen ist, die Zulassung des Libido-Medikaments Flibanserin durchzusetzen, die zuvor dreimal von der FDA angelehnt worden war.

rme

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