Kassengutachten: Rabattverträge sind nicht mitverantwortlich für Lieferengpässe

Berlin – Lieferengpässe bei Arzneimitteln nehmen weltweit zu. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um staatliche oder, wie in Deutschland, um Sozialversicherungssysteme handelt. Außerdem lässt sich kein Zusammenhang zwischen Lieferengpässen und Rabattverträgen erkennen.
Das sind die Hauptergebnisse eines Gutachtens des Instituts der Gesundheit Österreich. Den Auftrag dazu hatte der GKV-Spitzenverband erteilt, der die Ergebnisse heute in Berlin veröffentlichte.
Die Experten des Instituts untersuchten für ihr Gutachten, ob in Deutschland und den ähnlich wirtschaftsstarken EU-Ländern Finnland, Italien, Niederlande und Schweden Lieferengpässe für eine Auswahl von sieben Wirkstoffen vorlagen.
Dabei zeigte sich, dass zwar alle Lieferengpässe zu verzeichnen hatten, es aber deutliche Unterschiede zwischen den Ländern gab. So standen 1.700 Meldungen in Finnland für das vergangene Jahr 320 in Deutschland gegenüber. Zum Teil könnten diese Unterschiede der Meldemoral geschuldet sein, vermuten die Autoren.
Die Gutachter betonen zugleich, dass nur ein geringer Anteil der Lieferengpässe zu Versorgungsengpässen führe. Aus Finnland lägen Daten vor, dass dies ein Prozent der gemeldeten Engpässe betreffe.
Produktionsausfälle wirken sich weltweit aus
Als Hauptgrund für Lieferengpässe in den untersuchten Ländern wurden Probleme mit der Produktion und Qualitätsmängel genannt. Weil die Produktion von Wirkstoffen häufig an wenigen Standorten in Billiglohnländern angesiedelt sei, wirkten sich Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme dort weltweit aus, heißt es in dem Gutachten.
Von den sieben untersuchten Wirkstoffen, darunter Antiepileptika und Opioide, bestanden demnach Lieferengpässe bei fünf Wirkstoffen in Deutschland, bei jeweils vier Wirkstoffen in Finnland, den Niederlanden und Schweden und bei fünf in Italien.
Allerdings seien nicht immer alle Produkte eines Wirkstoffs betroffen gewesen. Außerdem waren in den untersuchten Ländern jeweils andere Wirkstoffe und Produkte von Lieferengpässen betroffen.
Da insbesondere Pharmaunternehmen einen Zusammenhang zwischen den in Deutschland üblichen Rabattverträgen für Generika und Lieferengpässen sehen, untersuchten die Gutachter auch diesen Aspekt. Demnach traten bei den ausgewählten rabattierten Wirkstoffen Lieferengpässe nicht häufiger auf als bei nicht rabattierten. Das Gegenteil sei der Fall, schreiben die Experten.
In Deutschland seien zum Beispiel Präparate, die einem Rabattvertrag unterlagen, nicht von einem Lieferengpass betroffen gewesen, während andere Produkte mit demselben Wirkstoff, die von einem anderen Hersteller angeboten wurden und nicht rabattiert waren, nicht lieferfähig gewesen seien.
Dieses Bild habe sich auch in den Niederlanden und Schweden gezeigt, die ähnliche Elemente der Kostensteuerung nutzen wie Deutschland.
Rabattverträge können Lieferengpässen entgegenwirken
Die Gutachter halten die Rabattverträge für Generika sogar für eine Chance, Lieferengpässen entgegenzuwirken. Denn die Verträge verpflichteten die Arzneimittelhersteller, die Lieferfähigkeit ihrer Produkte sicherzustellen. Außerdem sähen sie Sanktionen für den Fall vor, dass die Pharmaunternehmen ihrer Pflicht nicht nachkommen könnten.
Als zentrales Instrument zum besseren Management von Lieferengpässen empfehlen die Gutachter verpflichtende Melderegister. Damit Behörden, Ärzte und Apotheker angemessen auf drohende oder bestehende Engpässe reagieren könnten, müssten diese rechtzeitig angekündigt werden. Außerdem sollten die Register Informationen über noch vorhandene Bestände oder Importe sowie über Alternativprodukte und deren Verfügbarkeit enthalten.
In allen untersuchten Ländern würden von den jeweiligen Arzneimittelbehörden bereits Melderegister geführt. Allerdings seien diese in der Praxis oft nur eingeschränkt von Nutzen, weil Meldungen entweder, wie in Deutschland, nicht verpflichtend seien oder trotz Meldeverpflichtung Informationen nicht oder nur unvollständig weitergegeben würden.
In der Regel würden zudem nur Informationen aus der Industrie und aus dem Großhandel in die Register eingespielt. Wichtige Informationen aus den Apotheken fehlten dagegen.
„Das Gutachten bestätigt unsere Forderung, Lieferengpässe bei Arzneimitteln verpflichtend zu melden“, erklärte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. „Mit einem obligatorischen Melderegister hätten wir endlich die notwendige Transparenz, um Lieferengpässe bewältigen oder sogar verhindern zu können.“
Stoff-Ahnis betonte zugleich, dass die Sicht der Gutachter auf die Rabattverträge die Position des GKV-Spitzenverbandes bekräftige. Diese seien ein wichtiges Instrument der Versorgung. Mit Rabattverträgen generieren die Kassen nach eigenen Angaben jährlich Einsparungen von rund vier Milliarden Euro.
Die Industrie fordert, die Anbietervielfalt zu stärken
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) nahm das Kassengutachten dagegen zum Anlass, erneut zu bekräftigen, dass Rabattverträge sehr wohl für Lieferengpässe mitverantwortlich seien.
„Nach der Scharfschaltung der Arzneimittel-Rabattverträge im Jahr 2007 ist im rabatt-vertragsgeregelten Markt eine Marktkonzentration eingetreten, die die Arzneimittelversorgung massiv beeinträchtigt“, erklärte BPI-Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen heute in Berlin.
Der ohnehin starke globale Kostendruck durch regulatorische Auflagen sowie deutlich gestiegene Rohstoff-, Energie- und Personalkosten werde durch ausufernde und zunehmend exklusive Rabattverträge der Krankenkassen noch zusätzlich verstärkt.
„Im Ergebnis sinkt die Vielfalt und Zahl der Hersteller, welche im Falle von Lieferengpässen die fehlenden Kapazitäten ausgleichen könnten“, sagte Joachimsen. Verschärfte Melde- oder Lagerpflichten seien gut gemeint, verhinderten aber keinen Lieferengpass. Es sei viel nachhaltiger, die Anbietervielfalt zu stärken und Produktion in Europa zu fördern.
Bundestag stimmt über Regelungen zur Vermeidung von Engpässen ab
Am kommenden Donnerstag (13. Februar) will der Bundestag abschließend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung für einen fairen Kassenwettbewerb beraten. Dieser enthält unter anderem Regelungen zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln.
Das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz sieht vor, den bereits seit 2016 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelten „Jour fixe Lieferengpässe“ gesetzlich zu verankern. Die Vertreter aus Behörden, Medizin, Forschung, Industrie und Politik sollen die Versorgungslage mit Arzneimitteln kontinuierlich beobachten und bewerten.
Das BfArM kann künftig im Falle eines drohenden oder eingetretenen Lieferengpasses Maßnahmen zur Gegensteuerung ergreifen. Dazu gehört die Anordnung einer erweiterten Lagerhaltung oder die Kontingentierung von Arzneimitteln.
Arzneimittelhersteller und Großhändler müssen dem BfArM künftig Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion und Absatzmenge und drohenden Lieferengpässen versorgungsrelevanter Arzneimittel liefern. Außerdem soll den Apothekern der Austausch nicht verfügbarer Rabattarzneimittel erleichtert werden.
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