Politik

Kassenverband: Arztpraxen sollen mehr Sprechzeiten anbieten

  • Mittwoch, 24. Januar 2024
/benjaminnolte, stock.adobe.com
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Berlin – Angesichts der steigenden Kosten für die medizinische Versorgung in der gesetzlichen Krankenversi­cherung (GKV) fordert der Verband der Ersatz­kassen (vdek) einen besseren und zeitnahen Zugang für Patien­ten zu Terminen in der Arztpraxis.

Der Ver­band geht davon aus, dass in diesem Jahr mit 314 Milliarden Euro ein „Rekordwert" für die Versorgung aus­gegeben werde. Dies müsse sich in einer besseren Versorgung widerspiegeln. „Die Sprechstundenzeiten für GKV-Versicherte müssen ausgebaut werden“, erklärte die Verbandsvorsitzende Ulrike Elsner bei der Jahresauf­taktpressekonferenz in Berlin.

Die derzeit 25 Stunden, die bei einem vollen Arztsitz für GKV-Versicherte zur Verfügung stünden, müssten auf 30 Stunden erweitert werden, fordert Elsner. Sie wisse, dass viele Ärztinnen und Ärzte bereits jetzt weitaus mehr Stunden für GKV-Versicherte anböten, allerdings nicht alle. Gerade bei Fachärztinnen und Fachärzten müsse es bessere Regelungen geben.

Der Deutsche Hausärztinnen- und Hausärzteverband wies diese Forderung als „unverschämt“ zurück. „Die Hausärztinnen und Hausärzte und ihre Praxisteams schieben seit Jahren Überstunde um Überstunde, um die Versorgung am Laufen zu halten“, sagten die Bundesvorsitzenden Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier.

Beide bezweifelten, dass die einzelnen Mitgliedskassen die Kritik an der Ärzteschaft in dieser Form mittragen. Im Ersatzkassenverband sind sechs Krankenkassen – darunter auch die mitgliedstarken Kassen TK, Barmer und DAK – mit insgesamt 28 Millionen Versicherten organisiert.

Die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bezeichneten die Vorschläge als „realitätsfern und kaltschnäuzig“, mehr Leistungen von Ärztinnen und Ärzten zu fordern, „obwohl schon die bisher erbrach­ten Leistungen nicht vollständig bezahlt werden“, betonten Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

„Wenn sich die Krankenkassen nicht endlich ihrer eigentlichen Aufgabe besinnen, eine adäquate Versorgung ihrer Versicherten auch adäquat zu finanzieren, werden sie sehenden Auges das bewährte System der ambu­lan­ten Versorgung vor die Wand fahren“, so die Vorstände der KBV weiter.

„Diese offensichtliche und plumpe Provokation gegen die Kolleginnen und Kollegen ist das Ende der Fahnenstan­ge, das stellt einen konstruktiven Dialog mit den Kassen über die Sicherung der ambulanten Versorgung in Deutschland bis auf Weiteres ernsthaft in Frage“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt.

Der vdek-Forderungskatalog offenbare ein Maß an Respektlosigkeit gegenüber den in den Praxen erbrachten Leistungen, die ihresgleichen suche. Mitten in einer Phase, in der den Praxen mit Blick auf anstehende Reformen ohnehin ein Höchstmaß an Belastungen zugemutet werden solle, etwa im Bereich der Notfallreform, schleudere der vdek den Ärztinnen und Ärzten in der Niederlassung „ungeniert“ seine gesammelten Vorurteile vor die Füße.

„Ein Umgang, bei dem man trotz unterschiedlicher Meinungen am Ende gemeinsam das Patientenwohl im Auge hat, sieht anders aus“, sagte der Hartmannbund-Vorsitzende. Der vdek täte nach dieser völlig unangemessenen Kampfansage gut daran, seine Haltung noch einmal zu überdenken und mit konstruktiven und pragmatischen Vorschlägen auf die Ärzte in der ambulanten Versorgung zuzukommen.

Aus Sicht des Virchowbundes sind die Ideen „einfach gruselig“ und zeugen von einer „Parallelwelt“. „Massive Einmischung in die Praxisorganisation, mehr Sprechstunden bei weiterhin zu knappen und leistungsfeind­lichen Budgets und schärfere Sanktionen gegen Ärzte. Das sind keine Visionen, wie man die ambulante Ver­sorgung für die Zukunft ausrichtet, das ist ein Schlag ins Gesicht der Ärzte und der Abschied der vdek-Kassen aus der Versorgungsverantwortung für ihre Versicherten“, erklärte der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dirk Heinrich.

Er erinnert daran, dass die Sprechstundenzeiten bereits 2019 im Rahmen der Neupatientenregelung ausge­weitet worden seien. Mit der Regelung gab es zunächst keinen Budgetdeckel für die zusätzlichen Leistungen. Die Regelung wurde allerdings 2022 wieder gekippt, die Sprechstundenzahl aber nicht angepasst.

Kassenverband will weitere Strukturreformen

Der vdek stellte heute auch noch eine Reihe weiterer Forderungen für Reformen auf. Es dürfe etwa das be­obachtete Phänomen der „Komfortsprechstunden“, bei denen GKV-Versicherte für einen schnellen Termin pri­vat zahlen müssten, nicht geben. Aus Kassensicht sind „eindeutige gesetzliche Sanktionen“ dagegen erforder­lich.

Ebenso will der Kassenverband ein verlässliches Angebot von Videosprechstunden in jeder Praxis. Dies müsse „selbstverständlich“ sein, ebenso wie die regelmäßigen Telekonsile zwischen Haus- und Fachärz­ten. Durch solche Gespräche könnten Fragen schneller geklärt und Versicherte zügiger einen Termin bekommen. „Die Rahmenbedingung für solche Angebote haben wir längst geschaffen, aber leider werden sie im Alltag viel zu selten genutzt", so der Verband.

Der vdek spricht sich auch für „verpflichtende Servicestandards" für alle Arztpraxen aus. Demnach solle jede Praxis auf der Webseite über die Leistungen informieren sowie eine Onlineterminvergabe anbieten. Auch die Möglichkeit, online Folgerezepte zu bestellen, sollte vorgehalten werden, so der vdek. Verbesserungs­möglich­keiten sieht der Verband auch bei den Terminservicestellen, kurz TSS.

„Das war eine gute Idee des Gesetzgebers“, erklärte Elsner. Allerdings sei die Bekanntheit bei den Versicherten weiterhin gering und es würden zu wenig Termine gemeldet. Aus der Sicht der Krankenkassen benötige es mehr Öffentlichkeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigungen und klare Vorgaben zur Erreichbarkeit der TSS.

Änderungsbedarf auch im Krankenhaus

Auch in der stationären Versorgung sieht der vdek zügig Notwendigkeiten zur Verbesserung. Insgesamt wür­den dafür in diesem Jahr 99 Milliarden Euro ausgegeben. Das seien Mehrausgaben von 28 Prozent seit 2018. In der Diskussion um die Krankenhausreform benötige es zügig eine Verständigung auf die künftigen Struktu­ren. Erst danach sollte man über die Finanzausstattung sprechen.

Dies gelte auch für einen Transformationsfonds, der immer wieder im Rahmen der Gesetzgebung diskutiert werde. Gegen Gedankenspiele, die Krankenkassen könnten die komplette Finanzierung übernehmen, wehrt sich der Verband. Es müsse zumindest Bund und Länder jeweils auch ein Drittel der Kosten übernehmen.

Die vdek-Vorsitzende Elsner bewertet die Diskussionen über die Krankenhausreform in den vergangenen Monaten als „Panikmache seitens einiger Krankenhausträger, die Versorgungsengpässe heraufbeschwören.“ Es dürften aus ihrer Sicht keine weiteren Zugeständnisse gemacht werden.

Es dürften keine „zusätzlichen Finanzmittel nach dem Gießkannenprinzip auf Krankenhäuser verteilt werden, die nach der Neustrukturierung durch die Klinikreform nicht mehr als stationäre Einrichtung gebraucht wer­den“, so Elsner. Sie forderte die Gesundheitspolitiker in Bund und Land auf, sich zügig auf eine Strukturreform zu einigen.

Auch die Strukturen im Notfall und Rettungsdienst müssten zügig verändert werden. Die Vorschläge und Eck­punkte für Gesetze, die kürzlich vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Notfallversorgung vorgeschlagen wurden, gingen in die richtige Richtung. Aus der Sicht des vdek fehlen in vielen Krankenhäu­sern noch die „gemeinsamen Tresen“ an denen entschieden wird, wo die Patienten am besten versorgt werden können. Das Konzept von Integrierten Notfallzentren müsse nun bundesweit ausgerollt werden.

Ähnliches gelte für die Zusammenschaltung der Telefonnummer des Rettungsdienstes (112) und des ärztli­chen Bereitschaftsdienstes (116117). Es müsse gemeinsam disponiert werden, welche Versorgung der Anru­fende benötige. Dabei müsse auch betrachtet werden, dass die Kosten für den Einsatz von Rettungswagen in den vergangenen zehn Jahren um 161 Prozent gestiegen seien.

Waren es nach Angaben des vdek 2012 noch 1,5 Milliarden Euro, sind es 2022 über vier Milliarden Euro gewesen. Der Verband schätzt, dass es in rund einem Drittel der Einsätze nicht erforderlich war, einen Rettungswagen zu schicken. Die Leitstellen, deren Zahl von derzeit 299 auf 84 deutlich reduziert werden sollte, müssten außerdem zu „Gesundheitsleitstellen" fortentwickelt werden.

Da nicht alle Patientinnen und Patienten einen Rettungswagen oder Notarzt benötigen, könnten auch andere Disziplinen der pflegerischen Notfallversorgung oder der psychosozialen Hilfe zu Einsatz kommen. Mit sol­chen „Gesundheitsleitstellen“ würde auch die flächendeckende Einrichtung von Gesundheitskiosken über­flüssig machen, so Elsner.

„Gesundheitskioske sind eine der Schnapsideen von Karl Lauterbach“, erklärte Uwe Klemens, ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen. In sozialen Brennpunkten benötige man zwar Beratungsstellen für Menschen, die im Gesundheitssystem ihre Schwierigkeiten haben. Doch dies gehe weit über die Aufgaben der Krankenkassen hinaus, die im Sozialgesetzbuch V definiert seien. Wolle der Staat diese Angebote, müsse er diese auch selbst bezahlen, so Klemens.

bee

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