Ärzteschaft

Zweifel an Umsetzbarkeit der Notfallreform

  • Mittwoch, 17. Januar 2024
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Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat für seine Pläne zur Reform der medizinischen Notfallversorgung Lob und Kritik bei Opposition und Ärzteverbänden geerntet. Im Fokus steht die Skepsis, dass sich die Pläne wirklich in die Realität umsetzen lassen.

„Zu beachten ist, dass wir in Zeiten eines dramatischen und zunehmenden Fachkräftemangels und einer schwierigen Haushaltslage unsere Ressourcen sorgsam einsetzen müssen“, sagte der Präsident der Bundes­ärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt. In diesem Licht müssen aus seiner Sicht auch die in den Eckpunkten enthaltenen Versprechungen betrachtet werden.

Eine telemedizinische Versorgung an allen Tagen der Woche für 24 Stunden, eine zusätzliche aufsuchende Versorgung ebenfalls rund um die Uhr, der Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern mit telemedizinischer Anbindung, gesetzliche Mindestöffnungszeiten an allen Standorten mit Integrierten Notfallzentren und der Einsatz von Pflege und Sozialdiensten durch die Leitstellen würden den Einsatz erheblicher finanzieller und personeller Ressourcen erfordern, gibt der BÄK-Präsident zu bedenken.

„Wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Reform der Akut- und Notfallversorgung ist zunächst die Stärkung der ambulanten und stationären Versorgung, damit die Notaufnahmen der Krankenhäuser sich auf Fälle konzentrieren können, die wirklich deren Infrastruktur benötigen“, so Reinhardt.

Wichtig ist der BÄK außerdem eine bessere Patientensteuerung. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Patienten aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit reguläre Angebote umgehen. „Grundsätzlich wird es personell nicht möglich sein, alle gesundheitlichen Anliegen der Bevölkerung als Akut- und Notfälle zu bedienen“, hieß es aus der BÄK. Unbedingt erforderlich sei daher, in der Bevölkerung „auf ein Verständnis für die Strukturen der Akut- und Notfallversorgung hinzuwirken und Informationen zu deren sachgerechter Inanspruchnahme zu ver­mitteln“.

Eine „qualifizierte Patientensteuerung“ fordert auch die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein. Sie sieht dafür aber Ansätze in den Eckpunkten: „Sie wird mit der geplanten digitalen Vernetzung zwischen dem am­bu­lanten Bereitschaftsdienst (116117) und den Rettungsleitstellen (112) sowie der Ermöglichung einer klaren und rechtssicheren Überleitung von Hilfesuchenden mit standardisierter Ersteinschätzung gestärkt“, hieß es aus der KV.

Kritik übt die KV an den Plänen für eine aufsuchende Versorgung 24/7 – also an allen Tagen der Woche zu allen Zeiten. Dies sei personell nicht leistbar, da die Niedergelassenen in ihren Praxen gebraucht würden. „Zum anderen würden so ein weiteres Mal unwirtschaftliche Parallelstrukturen aufgebaut. Die ambulante Versorgung findet nach wie vor hauptsächlich in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte statt“, betont der Vorstand der KV, Frank Bergmann und sein Stellvertreter Carsten König.

Der Vorstand der KV Rheinland-Pfalz (KV RLP) begrüßte, dass sich Karl Lauterbach in seinem Eckpunktepapier für eine bedarfsgerechte Steuerung der Patienten in die richtige Versorgungsebene aus­spricht. Ein Problem sei aber, dass Ärzte fehlten.

Sollte an allen 76 rheinland-pfälzischen Krankenhausstandorten mit Notaufnahmestruktur ein INZ errichtet werden, bedeute das eine enorme Ausweitung der derzeit bestehenden Ärztlichen Bereitschaftspraxen. „Dies ist aufgrund des immer weiter zunehmenden Ärztemangels so nicht machbar“, sagte der Vorsitzende des Vorstands der KV RLP, Peter Heinz. Daher müssten sich die Partner im Erweiterten Landesausschuss entspre­chend realisierbare Lösungen überlegen.

Die Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes (HÄV), Nicola Buhlinger-Göpfarth, kritisierte Lauterbachs Pläne für ein Rund-um-die-Uhr-Angebot für Telemedizin im Rahmen der Notfallreform. Zwar gebe es im Reformpapier einige positive Ansätze.

„Insgesamt schwebt aber über allem die Frage: Wo sollen die Ärztinnen und Ärzte und die nicht-ärztlichen Fachkräfte herkommen, die in Zeiten des Fachkräftemangels das alles stemmen?“, sagte Buhlinger-Göpfarth der Rheinischen Post. Es stelle sich die Frage, ob Hausärztinnen und Hausärzte jetzt ihre Sprechstundenzeiten einschränken sollten, um stattdessen Notfalltelemedizin zu machen?“

Viele gute Ansätze, aber auch noch einigen Klärungsbedarf attestierten die Kassenärztliche Vereinigung Bay­erns (KVB), die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) und der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) dem Eck­punktepapier.

Demnach sind darin aus Sicht der Bayern zahlreiche Vorschläge zu einer besser koordinier­ten Notfallversor­gung enthal­ten. Kritisch gesehen wird die zusätzliche Belastung der niedergelassenen Ärzte, wenn es um Hausbesuche rund um die Uhr geht. „Hier sind gerade in ländlich geprägten Regionen massive Umsetzungs­schwierigkeiten zu erwarten“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung.

Der Vorstand der KVB, Christian Pfeiffer, Peter Heinz und Claudia Ritter-Rupp, betonten, es sei wichtig, dass die Reform sich nicht nur auf Großstädte wie Berlin beziehe, sondern auch auf die ländlich geprägten Regio­nen in einem Bundesland wie Bayern. „Hier gelten andere Bedingungen, die zu berücksichtigen sind, um die Praxen vor Ort nicht zu überlasten.“

Die Mehrbelastungen durch Hausbesuche 24/7 und die telemedizinische Betreuung von Notfallpatienten, die vor allem auf Hausärztinnen und Hausärzte zukämen, würden die ambulante hausärztliche Versorgung aus Sicht von Wolfgang Ritter, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, vor Herausforderungen stellen. „Schon jetzt ist der Versorgungsdruck in den Hausarztpraxen hoch“, sagte er.

Die Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) mahnt bei zentralen Punk­ten eine weitere Konkretisierung an. So fordert die Fachgesellschaft unter anderem, dass bei der Patienten­steue­rung am Telefon die Notrufnummern stets erreichbar sein müsste. Die DGINA drängt auch auf festge­legte Reaktionszeiten und eine Qualitätsicherung des telefonischen Angebots.

„Eines der größten Probleme ist und bleibt der Ärztemangel“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, der Ärzte Zeitung. „Die Personalausstattung und die Finanzierung der geplanten Strukturen“ lasse der Minister völlig offen.

Lauterbach hatte gestern Eckpunkte für eine Reform vorgestellt. Die sehen unter anderem die flächen­de­ckende Errichtung Integrierter Notfallzentren (INZ) an Krankenhäusern vor. Geplant ist auch eine engere Verbindung der Notrufnummern 112 und 116117 und der Ausbau der notdienstlichen Leistungen durch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bewertete die Pläne vorsichtig optimistisch. Es stelle sich aber alleine schon bei den Öffnungszeiten für die Notdienstpraxen der Kassenärzte die Frage, ob „ab 21 Uhr dieses Modell regelhaft die Krankenhäuser in der Verantwortung sieht“, sagte DKG-Chef Gerald Gaß der Rheinischen Post. Offen bleibe auch, ob die Krankenkassen für die ambulante Notfallversorgung nach 21 Uhr zusätzliche Finanzmittel bereitstellten.

hil/kna/may

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