Klaus Reinhardt zur Novellierung der GOÄ: „Wir stehen vor einer wichtigen Weichenstellung“

Berlin – In den vergangenen Woche gab es Kritik einiger Fachverbände am Entwurf einer neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, erläutert im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt, wie der Entwurf erarbeitet worden ist und welche Optionen die Ärzteschaft jetzt hat.
Warum drängt die Ärzteschaft eigentlich so stark auf eine neue GOÄ?
Die GOÄ ist viel mehr als ein Gebührenverzeichnis, nach dem Privatbehandlungen abgerechnet werden. Die Honorarordnung ist ein Wesensmerkmal unseres freien Berufes. Sie ist wesentlich für die Unterscheidung zwischen der freiberuflichen Tätigkeit und dem Gewerbe. Wichtig ist auch: Ohne den Benchmark der GOÄ wäre es politisch viel leichter, das Leistungsniveau im GKV-Bereich herabzusetzen.
Je mehr die GOÄ veraltet und damit an innerer Legitimität verliert, desto weniger kann sie ihrer strukturellen Rolle für die Ärzteschaft und die Patientenversorgung gerecht werden. Das spielt dann denen in die Hände, die ein anderes System wollen, sei es eine Einheitsgebührenordnung oder gleich eine Bürgerversicherung. Deswegen müssen wir die politischen Blockaden auf dem Weg zu einer neuen GOÄ auflösen.
Warum braucht es dazu eine Einigung zwischen Bundesärztekammer (BÄK) und Privater Krankenversicherung (PKV)?
Die Ärzteschaft kämpft inzwischen seit Jahrzehnten für eine neue GOÄ. Dabei sind wir parteiübergreifend mit einem Junktim konfrontiert: Die Politik macht eine Einigung zwischen Ärzteschaft und PKV zur Vorbedingung für eine Novelle. Das ist im Grunde systemfremd, denn die GOÄ ist eine staatliche Verordnung. Trotzdem ist dieses Junktim eine politische Realität. Und zur vollen Wahrheit gehört, dass ein solches Junktim in früheren Jahren auch aus der Ärzteschaft heraus thematisiert wurde.
Es wird inzwischen mehrfach gefordert, man hätte zunächst einen arzteigenen Vorschlag ohne die PKV und Beihilfe an die Politik geben sollen.
Genau diesen Weg sind wir gegangen. Zum Beginn des Jahres 2023 habe ich unsere komplette arzteigene GOÄ dem Bundesgesundheitsminister persönlich übergeben. Wir haben seitdem intensiv gegenüber dem Minister und auch den weiteren politischen Verantwortungsträgern Druck gemacht. Trotzdem ist es dabei geblieben, dass die Politik die Novelle nicht angehen will, solange BÄK und PKV sich nicht einigen. Das gilt ausdrücklich parteiübergreifend. Deswegen haben wir nun mit der PKV ausgelotet, wo eine Kompromisslinie liegen kann. Auch die Beihilfe ist dabei eingebunden worden. Dazu muss die Ärzteschaft sich nun eine Meinung bilden.
Andere kritisieren, das Verfahren sei nicht transparent genug.
Das Leistungsverzeichnis und die arzteigenen Bewertungen, mit denen wir in die Gespräche mit der PKV gegangen sind, wurden gemeinsam mit 165 ärztlichen Verbänden erarbeitet. Auf dieser Basis haben wir intensive monatelange Gespräche mit der PKV geführt. Dass man an solchen Gesprächen nicht 165 Verbände beteiligen kann, liegt auf der Hand. Das wäre weder mit einem realistischen Zeitplan noch mit dem Charakter solcher Gespräche vereinbar gewesen. Nun liegt ein Ergebnis vor, das wir als Angebot für eine Einigung sehen. Wir haben uns zweimal ausführlich mit den ärztlichen Verbänden zum Rahmen dieses Entwurfs ausgetauscht. Anschließend haben wir den Verbänden den Entwurf übermittelt. Entschieden wird erst, wenn die Rückmeldungen der Verbände vorliegen. Für die Durchsicht war von mehreren Verbänden im Vorfeld ein Zeitraum von 14 Tagen vorgeschlagen worden. Einige Verbände benötigen nun aber mehr Zeit. Diese Zeit werden wir uns nehmen und auch noch einmal zu einem Verbändegespräch zusammenkommen. Eine Veröffentlichung des Entwurfs ist geplant, wenn die Veränderungen eingearbeitet werden konnten, die sich aus den Rückmeldungen der Verbände ergeben. Das ist aus meiner Sicht ein geordnetes und sehr transparentes Verfahren.
Wenn die neue GOÄ so in Kraft träte, wie sie nun den Verbänden zugeschickt wurde – was käme dann für die Ärzteschaft dabei heraus?
Um das einzuordnen, muss man wissen, dass sich die Ärzteschaft im Jahr 2017 schon einmal dem Grunde nach für die ersten drei Jahre nach Einführung einer neuen GOÄ auf einen Preiseffekt von circa 6% eingelassen hatte. Die PKV-Ausgaben für die ärztliche Behandlung sind seitdem – trotz unveränderter GOÄ – stetig weiter gestiegen, und zwar deutlich über das aufgrund von Alterung und Morbidität zu erwartende Maß hinaus. Trotzdem ist es uns nun gelungen, den 2017 vereinbarten Rahmen zu erweitern und zu öffnen. Nun akzeptiert die PKV einen höheren Preiseffekt und beide Seiten gehen von einem Anstieg des Gesamtvolumens der PKV-Ausgaben von 13,2% aus, das sind rund 1,9 Mrd. Euro. Wohlgemerkt: Das ist kein Budget, sondern eine Prognose.
Genauso bedeutsam ist, dass wir alle Versuche abwehren konnten, den grundlegend neuen Charakter der von uns entwickelten GOÄ zu verändern: Aus einer von Abrechnungsausschlüssen sowie einem überholten und begrenzten Gebührenverzeichnis geprägten GOÄ wird nun eine GOÄ mit einem hochdifferenzierten, ärztlich entwickelten Gebührenverzeichnis. Auf Abrechnungsausschlüsse wird in einem Maße verzichtet, das viel Verantwortungsbewusstsein bei der Anwendung der neuen GOÄ erfordern wird.
Bei der Veranstaltung für die Verbände war das Stimmungsbild weit überwiegend positiv. Hat Sie die teilweise deutliche Kritik einzelner Verbände im Nachgang überrascht?
Wir haben immer klar gemacht, dass es im Verbändegespräch nur um ein unverbindliches Stimmungsbild mit Blick auf die grundsätzlichen Rahmenbedingungen gehen konnte. Seit dem 12. September bewerten die Verbände den Entwurf nun anhand der schriftlichen Unterlagen. Damit tritt neben das Grundsätzliche auch der Blick auf die einzelnen Bewertungen. Seitdem haben wir ein gemischtes Echo erhalten: Es gibt Kritik, die zum Teil sehr laut und öffentlichkeitswirksam artikuliert wird. Es gibt aber auch – meist weniger laut vorgetragen - Zustimmung von anderen Verbänden, die ebenfalls für große Teile der Ärzteschaft stehen. Es ist nicht überraschend, dass ein so wichtiges Projekt in unserem vielfältigen Berufsstand kontrovers diskutiert wird. Mein Wunsch ist, dass wir das Für und Wider innerärztlich fair und sachlich abwägen.
Ein Hauptkritikpunkt bezieht sich auf die Abwertung technischer Leistungen im Gegenzug zur Aufwertung der sprechenden Medizin.
Die Aufwertung der ärztlichen Zuwendung im Gespräch und in der Untersuchung war immer eines der Hauptziele für eine neue GOÄ. Es ist gut, dass die PKV nun bereit ist, darauf einzugehen. Dies kommt nicht nur den „sprechenden Fächern“ zugute. Es kommt allen Ärztinnen und Ärzten zugute, die mit ihren Patienten reden und sie untersuchen. Endlich sollen auch die ärztlichen Koordinationsleistungen in der GOÄ eigenständig vergütet werden.
Wir haben in den Gesprächen mit der PKV mit großem Nachdruck auch für die Bewertungen in allen anderen Bereichen der GOÄ gestritten. Es kann aber niemanden überraschen, dass am Ende ein Kompromiss stehen musste. Die PKV hat natürlich die Auswirkungen auf ihre ohnehin steigenden Versichertenbeiträge im Blick. Deshalb wollte sie zunächst überhaupt keine Mehrkosten durch eine neue GOÄ. Sie hat weitgehende Abwertungen und Abrechnungsausschlüsse gegenüber der arzteigenen Version verlangt. Es musste allen Beteiligten auch klar sein, dass die PKV die Zeitangaben hinterfragen würde, die den arzteigenen Bewertungen zugrunde liegen.
Wir haben jedoch in allen Bereichen – auch bei den sogenannten „technischen“ Fächern – in der Folgenabschätzung darauf geachtet, dass eine angemessene Honorierung erfolgt. Einige Verbände befürchten Abwertungen, die darüber hinausgehen. Mit diesen Verbänden werden wir die Auswirkungen noch einmal in Ruhe analysieren. Bei 5.500 Gebührenpositionen kann man nie ausschließen, dass irgendwo noch Verwerfungen bestehen. Wir haben mit der PKV besprochen, dass sachlich gut begründete Korrekturen möglich sind, solange sie den Gesamtrahmen nicht infrage stellen.
Andere üben Kritik an den Veränderungen im Paragrafenteil der GOÄ, insbesondere am Wegfall des „Steigerns“
Darüber haben wir schon vor Jahren in der Ärzteschaft ausführlich debattiert und schließlich auf dem 120. Deutschen Ärztetag 2017 in Freiburg unter der Vorbedingung ordnungspolitischer Stabilität mit überwältigender Mehrheit den Rahmenbedingungen zugestimmt, die wir nun den Gesprächen mit der PKV zugrunde gelegt haben. Ich kann nur davon abraten, diese Debatte nun wieder von vorne zu führen. Bei dem streitbehafteten Steigern wissen wir, dass breite Teile der Ärzteschaft davon kaum Gebrauch machen. An die Stelle des Steigerns tritt nun eine große Zahl von konkret benannten Erschwerniszuschlägen, mit denen ein erhöhter Aufwand rechtssicher geltend gemacht werden kann. Ich halte das nach wie vor für eine gute Lösung. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Die Möglichkeit zu Analogbewertungen und zu abweichenden Honorarvereinbarungen bleibt erhalten.
Welche Optionen hat die Ärzteschaft jetzt? Manche fordern einen „Neustart“ der Verhandlungen.
Die Verhandlungen mit der PKV sind über mehr als zehn Jahre mit unterschiedlichen Verhandlungsteams und Strategien geführt worden. Jetzt gibt es erstmals die Option für einen Kompromiss. Wir haben mit der PKV vereinbart, dass wir in dem vereinbarten Rahmen natürlich noch sachlich begründete Korrekturen vornehmen können.
Jenseits dessen aber hat die PKV deutlich signalisiert, dass es keinen weiteren Verhandlungsspielraum geben kann. Und ob ein „Neustart“ der Gespräche mit der PKV möglich wäre, daran habe nicht nur ich erhebliche Zweifel.
Das politische Junktim steht. Mit einer Einigung hätten wir allerdings nun die Möglichkeit, endlich wieder Bewegung in den politischen Prozess für eine GOÄ-Novellierung zu bringen.
Zuletzt ist die parteiübergreifende Erkenntnis gewachsen, dass nach jahrzehntelangem Stillstand Handlungsbedarf besteht. An einem gemeinsamen Vorschlag von BÄK und PKV kommt die Politik nicht leicht vorbei. Dies gilt umso mehr, als auch die Beihilfe eingebunden wurde. Und alle Sachargumente ohnehin auf unserer Seite liegen.
Ein solcher Vorschlag muss jedoch von der Breite der Ärzteschaft getragen werden können. Vor dieser Frage stehen wir nun. Es ist nichts entschieden. Wir stehen vor einer wichtigen Weichenstellung, am Ende heißt es immer irgendwann Ja oder Nein. Ich rate dazu, sorgfältig abzuwägen.
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