G-BA wehrt sich gegen Kritik an Mindestmengen und Qualitätsvorgaben
Berlin – Die drei unparteiischen Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wehren sich gegen die Vorwürfe, die Selbstverwaltung würde langsam und nur unzureichend seine Aufgaben abarbeiten. Das komplette Gegenteil sei der Fall, erläuterten die Unparteiischen Josef Hecken, Karin Maag und Monika Lelgemann gestern auf der jährlichen Pressekonferenz des Gremiums in Berlin.
„Es wird immer moderner, ein Selbstverwaltungsbashing zu betreiben. Das hat in den vergangenen Monaten an Intensität zugenommen, so dass man schon sehr irritiert ist", erklärte der Unparteiische Vorsitzende, Josef Hecken. Besonders Vorwürfe, der G-BA sei eine Lobbyorganisation im Gesundheitswesen oder die G-BA-Vorgaben zur Qualitätssicherung beförderten den kalten Strukturwandel bei den Krankenhäusern, verärgerten den Vorsitzenden.
„Die heutigen Strukturen der Krankenhäuser sind das Ergebnis der seit 1949 betriebenen Politik der Bundesländer. Die Krankenhausplanung ist Aufgabe der Bundesländer, das war nie ein Teil der Selbstverwaltung. Und wenn es nicht mehr klappt, heißt es plötzlich vom Bundesgesundheitsministerium und von den Ländern: Die Selbstverwaltung habe versagt“, ärgerte sich Hecken.
Nichts Neues im Reformvorschlag der Regierungskommission
Ein besonderes Ärgernis sei in dem Kontext auch das Anfang der Woche vorgestellte Notfallkonzept der Regierungskommission. Hecken bezeichnete es als „Diskussionsvorschlag“, denn er könne den Gutachten nichts Neues entnehmen. „Das, was da aufgeschrieben wurde, haben wir vor sechs Jahren im Auftrag des Gesetzgebers bereits beschlossen", so Hecken. Er spielt damit auf das 2019 bereits erarbeitete Notfallstufenkonzept an, nachdem bereits 1.071 Kliniken in Deutschland die Vorgaben entsprechend erfüllen.
In den Vorschlägen der Regierungskommission habe man nur eine unterste sowie mit den Fachkliniken eine weitere Stufe hinzugefügt, so dass es nicht mehr wie in den G-BA-Vorschlägen drei, sondern nun fünf Stufen gebe. Alles andere sei identisch, so Hecken. „Und wir haben diese Stufen ohne politischen Einfluss, gegen die Stimmen der Länder und den Willen der Deutschen Krankenhausgesellschaft hier erarbeitet.“ Er mahnte den aktuellen Gesetzgeber, Gremien wie den G-BA, nicht als Lobby zu verstehen, sondern ernsthaft in die künftigen Beratungen zu einer Strukturreform einzubeziehen.
Hecken bremste auch die Erwartungen vieler, dass sich durch eine Krankenhausreform zügig alles verbessern würde. „Wir brauchen Anpassungsprozesse über mehrere Jahre, die auch viel Geld kosten werden.“ Dies sei bereits bei der Umsetzung des G-BA-Notfallstufensystems zu beobachten gewesen. Man habe allen Standorten großzügige Übergangsregelungen und Möglichkeiten zur Anpassung der örtlichen Gegebenheiten zugestanden.
Auch verbat sich Hecken die Kritik an den Qualitätsanforderungen an medizinische Leistungen, die der G-BA entwickelt. „Wenn die Strukturanforderungen der Länder irgendwann die Qualitätsvorgaben des G-BA ablösen, dann werden wir ein Krankenhaussystem haben, das sich an der Qualität von Leistungen nicht mehr messen lassen kann.“ Der G-BA entscheide immer evidenzbasiert und orientiere sich ebenso an dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialgesetzbuches V.
Finanzielle Mittel richtig einsetzen
Aus der Sicht von Hecken müsse vor allem der Finanzrahmen im Gesundheitswesen im Blick behalten werden. „Es wird auch in dieser Legislatur nicht mehr Geld vom Bundesfinanzminister geben, das haben schon viele andere Gesundheitsminister in anderen Konstellationen ausprobiert.“
Daher müssten Gelder im Gesundheitssystem richtig eingesetzt werden – und nicht an falschen Stellen ausgegeben. So rechnet Hecken vor, dass im Gesundheitssystem durch die Nutzenbewertung des G-BA jährlich insgesamt 16 Milliarden Euro eingespart werden.
Nach Berechnungen des G-BA spare das System durch den AMNOG-Prozess rund 4,4 Milliarden Euro, durch die Festbetragsregelungen 8,2 Milliarden und durch die Rabattverträge rund 5,1 Milliarden Euro. „Diese 16 Milliarden Euro sind ein Beitragspunkt in der Gesetzlichen Krankenversicherung", so Hecken. „Es gibt Institutionen im Gesundheitswesen, die machen mehr Klamauk, bringen aber weniger Finanzmittel rein.“
Gleichzeitig behindere das AMNOG nicht die Markteinführung neuartiger Medikamente: Laut Berechnungen des G-BA dauere es in Deutschland 133 Tage zwischen Markteinführung und Erstattung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), in Österreich seien es 315 Tage, in Spanien 517 und in Frankreich 497 Tage. Ähnliches gelte auch für die Orphan Drugs und Onkologika, die oftmals bereits nach rund 100 Tagen im Markt seien, in anderen Ländern aber bis zu 600 Tage nach Zulassung erst verfügbar seien.
Debatte um Mindestmengen
Auch Karin Maag, Unparteiische Vorsitzende des Ausschusses für Qualitätssicherung, sieht die Debatte um die Mindestmengen „nicht so politisierbar, wie es oft dargestellt wird.“ So habe der G-BA derzeit neun Mindestmengen erarbeitet, die alle komplexe planbare Eingriffe darstellen und sehr systematisch erarbeitet wurden.
Damit haben die Mindestmengen nichts mit dem Strukturwandel zu tun, der oft den Entscheidungen vom G-BA zugeschrieben werden, so Maag. „Ich betone: Mindestmengen dienen der Qualitätssicherung, sie sind kein Instrument zur Strukturbereinigung, um wohlmöglich fehlgeleitete Krankenhausplanung zu ersetzen.“ In diesem Jahr will der G-BA die Beratungen zu den kathetergestützten Aortenklappenimplantationen (TAVI), für Herztransplantationen und für die kolorektale Chirurgie bei Darmkrebs fortsetzen.
Maag leitet auch den neu eingesetzten Unterausschuss Long-COVID, der im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz genannt wurde. Bis Ende 2023 soll der G-BA nun eine Richtlinie für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long-COVID erarbeiten. „Wir haben derzeit wenig Studien, wir haben aber gute Expertise. Es wird eine Herausforderung, diese Richtlinie nun zu entwickeln“, berichtete Maag. Der Unterausschuss tage daher alle zwei Wochen.
Im Geschäftsbereich der dritten Unparteiischen, Monika Lelgemann, stehe in diesem Jahr vor allem die Früherkennung bei Lungenkrebs auf der Tagesordnung, an die „große Erwartungen" geknüpft werden.
Es gebe eine Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz zum Einsatz einer Low-Dose-Computertomografie (LDCT), bei der auch das Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen Anhaltspunkt für einen Nutzen von aktiven wie ehemaligen Raucherinnen und Rauchern festgestellt hat.
„Mit der Leistung könnte erstmals eine risikoadaptierte Früherkennungsmaßnahme eingeführt werden“, erklärte Lelgemann. Allerdings benötige es zunächst eine strahlenschutzrechtliche Genehmigung, danach könnten die Ausgestaltung diskutiert werden.
Auch die Früherkennung bei Brustkrebs werde erneut behandelt, da die EU-Leitlinien eine Ausweitung der Altersgrenzen vorsehen. Derzeit können Frauen zwischen 50 und 69 Jahren an dem Programm teilnehmen.
Aus einer vom G-BA beauftragten Bewertung des IQWiG gehen Hinweise auf einen Nutzen für 45- bis 49-jährige sowie 70- bis 75-jährige Frauen hervor, berichtete Leglemann. Allerdings benötige es für die Weiterarbeit an dem Programm die strahlenschutzrechtliche Genehmigung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
Zu erwarten sei, dass noch in diesem Jahr die Ausweitung für ältere Frauen gestartet werden kann. Bei jüngeren Frauen werde es noch etwas dauern, da die Genehmigungen für diese Altersgruppe im BMUV nicht priorisiert wurde.
Die Bewertung von Medizinprodukten fällt auch in den Arbeitsbereich von Lelgemann. In dem Bereich gebe es weiterhin eine „unzureichende Datenlage bei der Einführung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“. Da die Hersteller dies oftmals nicht liefern, wurde der G-BA vom Gesetzgeber verpflichtet, diese Studien selbst durchzuführen. Die Kosten müssten die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten zahlen, so Lelgemann.
Sie forderte, dass der Gesetzgeber diesen Auftrag nun verändern müsse, damit „eine erfolgreiche und zügige Durchführung der Studien möglich wird."
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