Politik

Lauterbach verteidigt Cannabispläne gegen Kritik

  • Donnerstag, 13. April 2023
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach /picture alliance, photothek, Janine Schmitz
/picture alliance, photothek, Janine Schmitz

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die geplante teilweise Legalisierung von Cannabis gegen Kritik verteidigt. „Mit der jetzigen Verbotspolitik haben wir keine Erfolge“, sagte er gestern den ARD-Tagesthemen.

Der Schwarzmarkt werde durch die Pläne „sehr stark zurückgehen oder sogar einbrechen“, zeigte der Minister sich überzeugt. Lauterbach hatte zuvor gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die Eckpunkte der neuen Regierungsinitiative vorgestellt.

Demnach soll der Besitz von 25 Gramm Cannabis zum Eigenbedarf künftig straffrei bleiben. Die Pläne sehen eine staatlich kontrollierte Abgabe über Vereine sowie den privaten Eigenanbau mit bis zu drei Pflanzen vor. In einem zweiten Schritt soll in Modellregionen der Verkauf über lizenzierte Fachgeschäfte getestet werden.

Die angekündigte Legalisierung rief scharfe Kritik aus der Union hervor. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kritisierte einen „Irrweg“. CDU-Generalsekretär Mario Czaja sah einen unzureichenden Kinder- und Jugendschutz. „Wir lehnen deshalb die jetzt vorgelegten Vorschläge zur Freigabe der Cannabisdroge entschie­den ab“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Lauterbach räumte in der ARD ein, dass die Abgabe von Cannabis an Unter-25-Jährige problematisch sei. Er sehe aber, „dass die bisherige Strategie nicht gewirkt hat“. Stattdessen werde die Lage „immer schlimmer“. Zu­dem kündigte der Minister Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche an, die über die Gefahren des Konsums informieren sollen.

Das Beispiel Niederlande, wo seit 1976 der Besitz, Konsum und Verkauf von bis zu fünf Gramm Cannabis in „Coffeeshops“ erlaubt ist, sei eher abschreckend, sagte Lauterbach. „Wir wollen keine neue Gelegenheit zum gemeinsamen Kiffen bieten“, betonte der SPD-Politiker. Wegen der geringen erlaubten Menge, werde es keinen Tourismus geben. Der Gesetzentwurf für Konsumliberalisierung und Cannabisclubs soll Özdemir zufolge noch im April vorgelegt werden.

Kinder- und Jugendärzte fürchten angesichts der Pläne einen erhöhten Cannabiskonsum von Minderjährigen. Die Erfahrungen mit Alkohol zeigten, dass es für Jugendliche kein Problem sei, an legalisierte Drogen zu kom­men, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Burkhard Rodeck, der Rheinischen Post. „Das ist nach der Legalisierung des Cannabiskonsums für diese suchterzeu­gende Substanz auch nicht anders zu erwarten.“

„Das Angebot für diese Altersgruppe wird durch die Freigabe ab 18 Jahren nicht limitiert, sondern im Gegen­teil eher erweitert“, sagte Rodeck. Die Gefahren des Cannabiskonsums in jugendlichem Alter seien eindeutig, wie eine vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie zeige. „Regelmäßiger Cannabiskonsum bei Jugendlichen führt zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn mit Einschränkungen von Aufmerksamkeit, Denkleistung, Intelligenz und sozialer Kompetenz.“

Der Präsident der sächsischen Landesärztekammer hat die geplante schrittweise Legalisierung scharf kriti­siert. „Die seitens des Bundesgesundheitsministers und des Landwirtschaftsministers vorgelegten Vorstellun­gen zur Legalisierung von Cannabis verkennen erstens die gesundheitlichen und bildungspolitischen Gefah­ren, wie auch die Lebenswirklichkeit“, sagte Erik Bodendieck.

Bodendieck zufolge leiste die Diskussion einer weiteren Verharmlosung der Droge Vorschub und werde kei­nesfalls zu einer Eindämmung des Gebrauchs führen. Seiner Meinung nach werde der Schwarzmarkt nicht ausreichend und nachhaltig bekämpft. Zudem sei schon jetzt der Behandlungsbedarf in Praxen und Kliniken wachsend. „Welche Strategien es dagegen gibt, ist nicht ersichtlich“, kritisierte Bodendieck.

„Der Plan, die Cannabisabgabe in Modellregionen zu testen, erweckt zudem den Anschein, die Legalisierung unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit einzuführen“, monierte Günther Matheis, Präsident der Landesärzte­kammer Rheinland-Pfalz. „Wir sind geradezu bestürzt, dass ein Bundesgesundheitsminister die Legalisierung einer Substanz aufgrund einer Koalitionsvereinbarung ausarbeiten muss, von der wir wissen, dass sie hirnor­ganische Veränderungen hervorruft, zu Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen führt sowie Abhängigkeiten und psychische Veränderungen auslösen kann“, so der Ärztekammerpräsident.

Diese bekannten Probleme werden aber in der politischen Diskussion ausgeklammert, verharmlost oder ge­gen ordnungspolitische Argumente wie zum Beispiel Entkriminalisierung der Konsumenten aufgewogen. Matheis: „Welchen Grund gibt es eigentlich, neben den beiden legalen Drogen Tabak und Alkohol eine dritte einzuführen?“

Der Apothekerverband Nordrhein sprach sich gegen eine Rolle der Apotheken in der Cannabisabgabe im Rahmen von Modellprojekten aus. „Wenn Cannabis in Modellregionen erprobt wird, wird dies über die Apo­the­ken laufen müssen, um die wissenschaftliche Begleitung abzusichern. Auf diese zusätzliche Aufgabe legen die Apotheken allerdings keinen Wert“, sagte der Chef des Apothekerverbands, Thomas Preis, der Rheinischen Post. Er warnte vor den Gefahren der Cannabislegalisierung für Jugendliche. „Auch die abgespeckte Version der Cannabislegalisierung ist medizinisch und pharmazeutisch nicht vertretbar.“

Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), forderte derweil weitere Schritte zur Suchtbekämpfung. „Besonders wichtig ist mir die verpflichtende Kooperation der Clubs und der Projekte mit der lokalen Suchtpräventions- beziehungsweise Suchthilfeträgern“, sagte er den Zeitungen der Funke Medien­gruppe. Dies setze voraus, dass die örtliche Prävention und Suchthilfe gestärkt und mit ausreichend Mitteln ausgestattet werde. Insbesondere brauche es Präventionsangebote an jeder Schule.

Die Ärztekammer Hamburg sieht die vorgestellten Eckpunkte ebenfalls kritisch. „Wir sollten uns vor allem um eine wirkungsvolle Prävention und um ausreichende Behandlungsmöglichkeiten für Suchterkrankungen küm­mern. Die aktuellen Diskussionen drehen sich viel zu sehr um die juristischen Aspekte und viel zu wenig um die realen Versorgungsaspekte und -probleme“, sagte Kammerpräsident Pedram Emami.

Auch mit Blick auf die Folgen des Konsums von Alkohol und Nikotin, insbesondere bei jungen Menschen, sollte nach Ansicht Emamis viel mehr in Prävention und Intervention investiert werden. „Insgesamt werden die Folgen des Konsums dieser Substanzen in der öffentlichen Debatte nach wie vor unterbewertet“, so Emami.

Die Vizepräsidentin der Ärztekammer Hamburg, Birgt Wulff, bezweifelt, dass die Regelung hilft, den Konsum einzudämmen. „Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass Legalisierung eher zu mehr Konsum führt und auch den Schwarzmarkt nicht zuverlässig verhindert“, sagte sie.

Deshalb müsse der Schutz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch viel besser berücksichtigt werden. „Denn wir wissen schon lange, dass der Konsum von Cannabis bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu ernsten psychischen Erkrankungen und sogar zu dauerhaften Hirnschäden führen kann. Das ist eben gerade kein harmloses Genussmittel, wie gern behauptet wird“, so Wulff.

Der Rechtsprofessor und Europaabgeordnete René Repasi (SPD) hat die Bundesregierung aufgerufen, in ganz Europa für die geplante Legalisierung von Cannabis zu werben. „Weitreichende Änderungen in der Drogenpo­li­tik der Mitgliedstaaten lassen sich nicht mit heißer Nadel stricken“, sagte Repasi in Brüssel.

„Der größte Wi­derstand kommt aus Nordeuropa, vor allem Dänemark sieht die Cannabislegalisierung sehr kritisch“, betonte er. Dänemark befürchte einen massiven Drogentourismus, wenn Deutschland Cannabis liberalisiere. Bei Suchtstoffen seien insbesondere die skandinavischen Länder „hart unterwegs“. In Osteuropa sei das Bild dagegen eher gemischt. „Tschechien hat beispielsweise eine sehr liberale Drogenpolitik.“

Wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Europa mittelfristig eine nach seinen Worten „pro­gressive Cannabispolitik“ anstrebe, dürfe er damit nicht warten, sagte Repasi weiter. „Europäische Gesetzge­bungsprozesse brauchen ihre Zeit. Deshalb würde ich der Bundesregierung empfehlen, jetzt am Ball zu bleiben, um die Grundlagen für eine künftige Europarechtsänderung zu legen.“

Verbotsregeln zwischen Litauen und Malta

Cannabisverbote sind in der EU nicht einheitlich geregelt. Im Unterschied zu Fragen des Drogenschmuggels ist die Gesetzgebung zu Konsum, Besitz und Verkauf illegaler Rauschmittel im Wesentlichen Sache der Mit­glied­staaten.

Für geringfügigere Vergehen in Zusammenhang mit dem privaten Cannabiskonsum setzen nach einer Über­sicht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht Belgien, Irland, Luxemburg, Malta und Tschechien niedrigere Strafmaße an als bei anderen Drogen; in Dänemark, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden sind Polizei und Justiz angehalten, milde Sanktionen anzuwenden.

Für den Handel mit Cannabis reicht die mögliche Höchststrafe von zwei oder drei Jahren Gefängnis in einigen nordischen Ländern bis hin zu lebenslanger Haft in Irland, Malta und Zypern. Auch die Schwelle, ab der der Besitz von Cannabis eine strafrechtliche Verfolgung auslöst, schwankt – beginnend mit 0,25 Gramm Cannabisharz in Litauen.

Wer in Belgien eine einzelne Cannabispflanze zieht, kommt mit einem Bußgeld davon; in den Niederlanden dürfen es bis zu fünf sein. Dänemark bemisst die Gewächse nach Gewicht: bis 100 Gramm gelten als Deckung des persönlichen Bedarfs – während auf Zypern drei Hanfgewächse den Tatbestand der Drogenproduktion erfüllen.

In den Niederlanden werden in Coffeeshops Konsum und Abgabe von Cannabis innerhalb bestimmter Grenzen und Regeln geduldet; grundsätzlich aber bleiben nach niederländischem Recht Anbau, Verkauf und Besitz illegal. Ein eigenes Modell stellen Cannabis Socialclubs dar, in denen sich Nutzer zu einer Anbaukooperative für den Eigenbedarf zusammenschließen.

In Malta ermöglicht ein Gesetz vom Dezember 2021 die Gründung solcher Cannabisvereine mit behördlicher Lizenz. In einigen Regionen Spaniens gibt es ebenfalls derartige Clubs, jedoch eher auf der Basis von Duldung und in einer rechtlichen Grauzone.

In der Meinung der Bevölkerung hebt sich Cannabis von sogenannten „harten“ Drogen ab. Während neun von zehn EU-Bürgern für das derzeitige Verbot von Heroin, Ecstasy und Kokain sind, stimmt nach einer im Februar 2022 veröffentlichten Eurobarometerumfrage nur ein Drittel (35 Prozent) dem Verkaufsverbot von Cannabis zu.

62 Prozent sprechen sich für eine Regulierung aus – vor allem Männer, jüngere Befragte, solche mit höherem Bildungsniveau und Befragte, die in städtischen Regionen leben. 70 Prozent sind dafür, dass Cannabis für den medizinischen Gebrauch verfügbar sein sollte; sechs Prozent sind für ein striktes Verbot.

EU-weit 23 Prozent würden die Droge auch für den Freizeitgebrauch erlauben; unter niederländischen Be­frag­ten liegt dieser Anteil bei 41 Prozent, in Deutschland und Malta bei 30 Prozent – der zweithöchste Wert in Europa.

afp/dpa/kna

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