Politik

Lauterbach verteidigt Pflegereform, viel Kritik im Bundestag

  • Donnerstag, 27. April 2023
/picture alliance, Jörg Carstensen
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Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die geplante Pflegereform mit Entlastungen für Pflegebedürftige und Beitragsanhebungen verteidigt. Die Pflegeversicherung brauche mehr Geld und da­mit würden nun 6,6 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt, sagte der SPD-Politiker bei der Einbringung des Entwurfs heute im Bundestag.

Zudem gehe es um eine „maßvolle Erhöhung“ des Beitrags, die von Arbeitgebern und Beschäftigten getragen werde. Wenn in den weiteren Debatten herauskomme, dass noch andere Mittel hineinkämen, auch Steuer­mittel, dann sei „alles gut“. Der Entwurf sei aber eine Basis, auf der man sprechen könne. Es gelte, nicht den Fehler zu machen, „dass wir alles zerreden“.

SPD und Grüne haben angekündigt, in den parlamentarischen Beratungen noch weitere Verbesserungen vor allem für Pflegebedürftige zuhause durchsetzen zu wollen, die über den vom Kabinett gebilligten Entwurf hinausgehen. Redner der Opposition kritisierten ihn als unzureichend.

Der CSU-Abgeordnete Erich Irlstorfer kritisierte Lauterbachs Gesetzentwurf als bloßes „Diskussionspapier“. Nötig sei eine „Strukturreform“. Er forderte gleichzeitig eine „Priorisierung“ der Politik auf pflegende Ange­hörige. Denn 80 Prozent der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen würden zuhause versorgt. Die im Ge­setzentwurf geplante Erhöhung des Pflegegelds um fünf Prozent decke aber nicht einmal die Inflationsent­wicklung des laufenden Jahres ab.

Auch die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink forderte „weitreichende Änderungen im weiteren Ver­fahren“. Wenn nicht dafür gesorgt werde, dass die Angehörigen die Versorgung weiter zuhause stemmen könnten, stehe die Gesellschaft „vor einem riesigen Problem“.

Die FDP-Abgeordnete Nicole Westig sagte, den Liberalen sei die Zustimmung im Kabinett schwer gefallen. Ihre Partei sehe die Lage der Pflegeversicherung „mit großer Sorge“, den Pflegekassen drohe in immer kürze­ren zeitlichen Abständen „die Zahlungsunfähigkeit“. Höhere Haushaltsbeiträge oder Steueranhebungen zur Finanzierung lehnt die FDP demnach ab. Westig forderte stattdessen eine Diskussion über eine verpflichtende Zusatzvorsorge.

Der AfD-Abgeordnete Martin Sichert kritisierte wegen der Beitragserhöhung ab dem Sommer ein „Pflege­be­lastungsgesetz“. Er warnte zudem vor weiteren Erhöhungen am Parlament vorbei: Denn der Gesetzentwurf sehe vor, dass die Regierung im Wege einer Rechtsverordnungsermächtigung bei zusätzlichem Finanzbedarf kurzfristig höhere Beiträge beschließen könne.

Der Linken-Abgeordnete Ates Gürpinar kritisierte das bisherige Pflegesystem als „Garantie für Armut“ – sowohl für pflegende Angehörige wie auch Pflegebeschäftigte. Lauterbachs Pläne seien „Stillstand“, nicht Fortschritt. Gürpinar forderte den Ausstieg aus einem „unsozialen“ Finanzierungskonzept, bei dem der reichere Teil der Gesellschaft sich privat versichern könne. Nötig sei eine Pflicht für alle, in die Pflegeversicherung einzu­zah­len.

Die Bundesregierung reagiert mit dem Gesetz auf die stark steigenden Kosten und ein Defizit der Pflegeversi­cherung. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber beauftragt, Eltern mit mehreren Kindern bei den Beiträgen im Vergleich zu Kinderlosen deutlicher zu bevorzugen als heute. Lauterbach bezifferte die Mehreinnahmen auf rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr. Vier Milliarden Euro sollen in Leistungsverbesserungen fließen.

Bereits zum 1. Juli soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben werden. Kinderlose zahlen künftig vier Prozent. Gemäß dem Urteil des Bun­des­verfassungsgerichts wird der Beitrag bei Eltern mit zwei Kindern während der Erziehungsphase bis zum 25. Lebensjahr um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt.

Um die häusliche Pflege zu stärken, sollen das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungsbeträge zum 1. Januar 2024 um jeweils fünf Prozent erhöht werden. 2025 und 2028 werden die Geld- und Sachleistungen automatisch dynamisiert. Der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld soll künftig wiederkehrend pro Kalen­derjahr bestehen.

Berufstätige pflegende Angehörige können sich künftig nicht mehr nur einmalig, sondern jedes Jahr bis zu zehn Arbeitstage bei akuter Notlage für die Pflege freistellen lassen. Zum 1. Januar werden außerdem die Zuschläge erhöht, die die Pflegekasse an Bewohner stationärer Einrichtungen zahlt. Damit soll verhindert werden, dass immer mehr Heimbewohner in die Sozialhilfe abrutschen.

Wohlfahrtsverbände und Krankenkassen äußerten heftige Kritik an dem Entwurf. Der Sozialverband VdK erklärte, das Gesetz sei eine Mogelpackung. Die Bundesregierung mache den pflegenden Angehörigen das Leben unnötig schwer, anstatt ihnen die Steine aus dem Weg zu räumen.

„Immerhin 84 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, und mit diesem Gesetz gehen sie komplett leer aus“, erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Ein Entlastungsbudget wäre das Mindeste gewesen.“ Pflegebedürftige und ihre Angehörigen hätten das Recht, unbürokratisch an die Leistungen zu kommen, auf die sie einen Anspruch hätten.

Auch der Deutsche Caritasverband hatte im Vorfeld erklärt, unverständlich sei vor allem, dass das Entlas­tungs­budget für pflegende Angehörige aus dem Gesetzentwurf herausgenommen worden sei.

kna/dpa/afp

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