Politik

Leopoldina fordert Umdenken bei Kranken­hausversorgung

  • Mittwoch, 27. Mai 2020
/Gorodenkoff, stockadobecom
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Berlin – Ein grundsätzliches Umdenken in der Krankenhausversorgung in Deutschland fordert die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. In der Coronakrise habe sich gezeigt, dass das Krankenhaussystem sich zuerst am Patientenwohl und der Qualität der Versorgung ausrichten müsse und nicht ein „primär gewinnorientiertes System“ sein dürfe, heißt es in der heute veröffentlichten Ad-Hoc-Stellungnahme „Medizinische Ver­sorgung und patientennahe Forschung in einem adaptiven Gesundheitssystem“.

Es ist das vierte Paper der Leopoldina zum Umgang mit der Pandemie. Die Leo­pol­dina berät als Nationale Akademie der Wissenschaften die Politik. Viel Beachtung fan­den etwa ihre Empfehlungen im April zu Lockerungen der Coronaregeln wie eine schritt­­weise Schulöffnung.

Die 31 Wissenschaftler unterstreichen in ihrer Stellungnahme, dass an das Gesundheits­system nicht die gleichen wirtschaftlichen Maßstäbe angelegt werden dürften wie in der freien, wettbewerbs­orien­tierten Wirtschaft. Kritik übt das Papier auch am Staat, der sich zu stark aus der Vorsorge für die Gesundheit herausgezogen habe. „Die Gestaltung eines adaptiven Gesundheits­sys­tems, das auch Ausnahmesituationen meistern kann, ist eine staatliche Aufgabe", heißt es.

Die Angst vor einem massiven Coronaausbruch habe in Deutschland dazu geführt, dass die Versorgung von Menschen mit anderen Erkrankungen in den Hintergrund gerückt sei, heißt es. Auch wichtige Präventionsmaßnahmen und Forschungsaktivitäten seien unter­brochen worden. Ziel müsse es nun sein, die bedarfsgerechte Prävention, Diagnostik und Behandlung aller Patienten zeitnah und vollumfänglich wiederaufzunehmen.

Für ein adaptives Gesundheitssystem

Die Autoren empfehlen ein bedarfs- und nicht primär gewinnorientiertes System. Es müsse alle Mitarbeitenden wertschätzen sowie In­no­vationen und digitale Lösungen in­te­grieren. Ziel sei ein adaptives Gesundheitssystem, in dem Öffentlicher Gesundheits­dienst, ambu­lanter sowie stationärer Sektor gut zusammenarbeiteten und eine schnelle Transla­tion von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis erfolge. Die Bereiche Pub­lic/Glo­bal Health, die klinische Infektiologie sowie die Hygiene/Krankenhaushygiene sollten ein größeres Gewicht bekommen.

Konkret fordert die Forschungsgemeinschaft kurz- und mittelfristig, die ambulante, sta­ti­o­näre und poststationäre Kapazitäten sowie personelle, räumliche und technische Reser­ven zur Versorgung von COVID-19-Erkrankten vorzuhalten. Darüber hinaus sei ein regio­nales und krankenhausinternes Frühwarnsystems für SARS-CoV-2-Infektionen aufzu­bau­en, wozu eine wissenschaftlich unterlegte, zielgerichtete Teststrategie nötig sei.

Auch muss aus Sicht der Wissenschaftler eine qualitativ hochwertige Versorgung aller Patienten durch schnelle Integration von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis ermöglicht werden. Zudem gelte es, das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine am Patien­tenwohl orientierte und sichere Behandlung zu stärken.

Um dies zu erreichen, empfehlen die Leopoldinawissenschaftler langfristig den Aufbau und Verstetigung regionaler Versorgungs- und Forschungsnetzwerke, mehr Digitalisie­rung und Vernetzung aller Krankenhäuser und ambulanten Versorger und „eine bedarfs­gerechte Ausstattung mit qualifiziertem medizinischen und pflegerischen Personal“.

Für Letzteres seien eine gesellschaftliche Wertschätzung, eine angemessene Entlohnung, attraktive und bedarfsgerechte Ausbildungsstrukturen und gute Arbeitsbedingungen für medizinisches und pflegerisches Fachpersonal nötig, so die Autoren der Stellungnahme.
Wichtig sei zudem ökonomische Fehlanreize im Gesundheitswesen zu beseitigen.

Effizienz und Wettbewerb dürfen kein Maßstab sein

Der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd) begrüßte die Stellungnahme. Die Pandemie zeige, dass das Gesundheitswesen weiter entwickelt werden müsse, er­klär­te Geschäftsführerin Bernadette Rümmelin.

„Die Krankenhausfinanzierung muss reformiert werden. Notwendig ist ein Finanzierungs­modell, das ein flächendeckendes Netz zur Grund- und Regelversorgung sichert und dafür die notwendigen Vorhaltekosten pauschal bereitstellt.“ Es sei falsch, die Strukturen und Finanzierung der Kliniken weiter einseitig auf Effizienz und Wettbewerb auszurichten.

Zu Recht weise die Akademie zudem darauf hin, dass sich die Einrichtungen in den Regio­nen schnell und flexibel vernetzt und in Krisensituation entlastet hätten. Es brauche „starke Netzwerke vor Ort, die einerseits eine wohnortnahe Krankenhaus­versorgung und andererseits Spezialversorgung auf qualitativ hohem Niveau sicherstellen“.

hil/kna

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