Mangelndes Vertrauen: Thun kritisiert ePA aus Kassenhand

Berlin – Die elektronische Patientenakte (ePA) gehört nicht in die Hand der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), da dieser das notwendige Vertrauen der Patienten fehle. Mit dieser Kritik wendet sich Sylvia Thun, Direktorin für E-Health und Interoperabilität am Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité und Vorsitzende des InterOp-Council, gegen die Pläne der Bundesregierung. Widerspruch erhielt sie postwendend.
„Wir gehen gerade mit Sieben-Meilen-Stiefeln in die falsche Richtung und es gibt von uns Ärzten kaum Widerstand dagegen. Keiner wehrt sich und ich wundere mich, warum“, erklärte Thun gestern beim Europatag der Bundeszahnärztekammer (BZÄK).
Unter anderem als Vorsitzende des InterOp-Council bei der Gematik ist Thun eine der höchsten Verantwortlichen für die Standardisierung von Gesundheitsdaten und allgemein eine der einflussreichsten Personen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.
Sie sei „sehr unzufrieden“ mit dem geplanten Digitalgesetz (DigiG), dessen Referentenentwurf sich dem Vernehmen nach derzeit in der Abstimmung zwischen Ressorts und Ländern befindet. Insbesondere störe sie, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) darauf setze, dass Versicherte ihre ePA aus der Hand ihrer Krankenkassen erhalten sollen.
Sie hätte „gerne eine Bürger-ePA und keine Krankenkassen-ePA“, erklärte Thun, „weil ich gesehen habe, dass das Ding in den Ländern fliegt, wo es nicht von den Kassen angeboten wird“. In den Ländern wiederum, in denen eine erfolgreiche ePA von Kassenseite in den Verkehr gebracht worden sei, sei die Ausgangslage grundlegend anders als in Deutschland.
Es handele sich dort nämlich weniger um Krankenkassen nach deutscher Definition als vielmehr um sogenannte Health Maintenance Organizations (HMOs), bei denen Krankenversicherung und Versorgung zusammenlaufen. Diese würden in den jeweiligen Ländern ein sehr großes Vertrauen ihrer Versicherten genießen.
Davon könne in Deutschland keine Rede sein. „Das Vertrauen, das man dazu braucht, diese Daten den Kassen zu überlassen, ist hierzulande nicht gegeben“, sagte Thun. Die Versicherten hätten im Schnitt ein sehr schlechtes Bild ihrer Krankenkassen, was nicht zuletzt auch mit verweigerten Leistungen zu tun hätte – jeder kenne solche Streitigkeiten mit der Kasse über die Zahlung von Behandlungen.
Auch seien zu viele eigene Interessen mit jenen Gesundheitsdaten verbunden, die Kassen würden schon heute „schlimme Dinge“ mit den Daten ihrer Versicherten machen.
Susanne Ozegowski, Leiterin der BMG-Abteilung „Digitalisierung und Innovation“, ist nicht nur maßgeblich mitverantwortlich für die von Thun kritisierten Sachverhalte. Noch bis zu ihrer Berufung ins BMG im Frühjahr 2022 war sie als Digitalisierungschefin der Techniker Krankenkasse für die dortige ePA mit zuständig.
Vorsichtigen Widerspruch aus dem BMG erhielt Thun noch vor Ort: Nick Schneider vom Referat „Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung“ verteidigte die Entscheidung seines Ministeriums.
Es gebe zwar Punkte, die tatsächlich gegen eine Bereitstellung der ePA durch die Kassen sprächen, sagte er, ohne zu erläutern, welche genauen Punkte er meint. Allerdings seien die Kassen die Instanz, die am nächsten an den Versicherten ist.
„Entscheidend ist dabei aber, dass wir es sind, die die Aufsicht über die Kassen haben und die Verwaltung der Daten kontrollieren“, betonte er. Außerdem dürften die Kassen die ePA-Inhalte ja nicht einmal direkt einsehen.
Der GKV-Spitzenverband wiederum will sich nicht zu Thuns Einlassungen äußern. Ein Sprecher betont jedoch, dass das Vertrauen der gesetzlich Versicherten ins GKV-System durch zahlreiche Befragungen belegt sei, und verteidigt die Entscheidung des BMG ebenfalls: „Wir halten die Bereitstellung der elektronischen Patientenakte durch die Krankenkassen für sehr sinnvoll, weil die Kassen den direkten Draht zu ihren Versicherten haben.“
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Anm. d. Red.: Sylvia Thun stellt klar, sich mit der Formulierung „schlimme Dinge“ speziell auf private Krankenversicherungsunternehmen bezogen zu haben, die Inhalte aus der GKV-ePA anfordern, sowie um weitere intransparente Datenweitergaben und -verarbeitungen seitens der Krankenversicherungen.
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