Mann mit 217 SARS-CoV-2-Impfungen: Immunreaktion weiterhin vorhanden

Erlangen – Mehr als 200 Impfungen gegen COVID-19 haben bei einem Mann keine negativen Folgen für dessen Immunsystem gehabt. Forschende der Universität und des Uniklinikums Erlangen hatten Blutproben des Viel-Impfers aus verschiedenen Jahren untersucht und die Ergebnisse heute in The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht (DOI: 10.1016/S1473-3099(24)00134-8).
Die Forschenden stellten fest, dass das Immunsystem des 62-Jährigen völlig normal arbeitete. Zusätzlich zeigte er erhöhte Anti-Spike-IgG-Spiegel im Vergleich zu einer Vergleichskohorte von 29 Geimpften mit 3-maliger mRNA-Impfung. Auch im Speichel hatte der Proband nachweisbares Anti-Spike-IgG. Selbst die 217. Impfung erhöhte die Antikörperantwort. Zusätzlich waren die CD8+ T-Zellen erhöht.
Das hatte laut Forschungsteam allerdings keine starken positiven oder negativen Auswirkungen auf die Qualität der adaptiven Immunantwort. „Insgesamt fanden wir also keine Anzeichen für eine schwächere Immunantwort – eher im Gegenteil,“ sagte Katharina Kocher, eine der beiden Erstautorinnen der Studie vom Mikrobiologischen Institut – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene. Die Funktion des Immunsystems gegen andere Erreger war ebenfalls unverändert, wie weitere Tests zeigten.
Für die Untersuchung nutzten die Forschenden Bluttests, die zwischen November 2019 und Oktober 2023 durchgeführt worden waren – teils auf Veranlassung des Probanden selbst. Theoretisch kann der zu häufige Kontakt mit einem Antigen Auswirkungen auf das Immunsystem haben.
„Das kann etwa bei einer chronischen Infektion wie HIV oder Hepatitis B der Fall sein, die immer wieder aufflackert“, sagte Letztautor Kilian Schober vom Mikrobiologischen Institut – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene. Es gebe Hinweise darauf, dass die T-Zellen dann ermüden. „Sie schütten dann beispielsweise weniger entzündungsfördernde Botenstoffe aus“, so Schober.
Auch der Infektiologe Julian Schulze zur Wiesch vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf erklärt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, dass „die schiere Quantität, nicht aber die Qualität (Avidität) eine höhere Neutralisierungsaktivität gegen SARS-CoV-2-Wildtyp und die Omikron Variante“ hervorgerufen habe. Schulze zur Wiesch vermutet, dass sich „das Immunsystem gut an weitere Impfungen adaptiert und es eher kein „zu viel gibt“.
So kann dem Infektiologen zufolge die These des Immune Imprinting, auch Antigenerbsünde genannt, mit diesem Fallbericht weder bestätigt noch widerlegt werden. Denn auch für das Immune Imprinting spielt Schulze zur Wiesch zufolge die Quantität der Immunantwort, also die erhöhte Zahl der Antikörper, vermutlich eine Rolle.
Die Theorie des Immune Imprinting bezeichnet die Tendenz des Immunsystems, schwächer auf neue Virusvarianten zu reagieren, nachdem ein Primärkontakt mit einer anderen Virusvariante bestand. Das wurde für die SARS-CoV-2-Impfung diskutiert, und auch im Deutschen Ärzteblatt hat neben Schulze zur Wiesch auch Andreas Radbruch vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin eine Einschätzung dazu abgegeben.
Radbruch erklärt heute auf Nachfrage zu dem Fall, dass die Einzelfallbeschreibung zwar statistisch keine Signifikanz habe, jedoch bestätige, dass „beim Impfen nicht gilt ,viel hilft viel', sondern ,blindes boostern bringt nichts'“.
Denn die Topresponder unter den dreifach Geimpften hätten eine ähnlich hohe Antikörperantwort wie der hypervakzinierte Proband gehabt. Radbruch spricht von einer möglichen Sättigung des Immunsystems, allerdings ließe sich durch die Studie keine Aussage darüber treffen, ab wie vielen Boostern diese einsetze.
Obwohl bei dem Hyperimmunisierten keine Verarmung an T-Zellen festzustellen gewesen ist, sieht Radbruch die mögliche Gefahr einer solchen Infektion ebenfalls als Grund, von zu vielen Boostern abzuraten.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Personen, die 18 Jahre alt oder älter oder schwanger sind und die keine Grunderkrankung haben, eine Basisimmunität für einen Schutz vor schweren COVID-19-Verläufen. Diese ist dann erreicht, wenn drei SARS-CoV-2-Antigenkontakte erfolgt sind. Davon sollte nach Einschätzung der STIKO mindestens ein Kontakt durch eine COVID-19-Impfung erfolgt sein.
Personen mit erhöhtem Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf oder einem erhöhtem Infektionsrisiko sollten nach Einschätzung der STIKO auch künftig eine Auffrischimpfung erhalten.
Über Zeitungsberichte waren die Erlanger Forschenden auf den Mann aufmerksam geworden. Dieser hatte sich nach eigenen Angaben aus persönlichen Gründen 217 Mal gegen Corona impfen lassen, 134 Impfungen sind offiziell bestätigt.
Dabei seien 8 verschiedene Vakzine geimpft worden, darunter auch unterschiedliche mRNA-Impfstoffe, erläuterte Schober. Welche Gründe den Mann zu den zahlreichen Impfungen veranlassten, konnte Schober auf Nachfrage nicht sagen.
„Die Beobachtung, dass es trotz dieser außerordentlichen Hypervakzinierung nicht zu erkennbaren Nebenwirkungen gekommen ist, steht im Einklang mit der grundsätzlich guten Verträglichkeit der Präparate“, sagte Letztautor Schober.
Allerdings handele es sich bei dem Mann um einen Einzelfall, betonten die Forschenden. Rückschlüsse auf die Allgemeinbevölkerung oder Empfehlungen ließen sich aus den Ergebnissen daher nicht ableiten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: