Medizin

COVID-19: Zunahme schwerer Erkrankungen infolge der Impfmüdigkeit

  • Dienstag, 16. Januar 2024
/Melinda Nagy, stock.adobe.com
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Edinburgh – Der Verzicht auf eine Auffrischung des Impfschutzes erhöht vor allem bei älteren Menschen das Risiko auf eine schwere Erkrankung an COVID-19. Dies zeigt eine umfassende Analyse des National Health Service (NHS) der 4 britischen Länder im Lancet (2024; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)02467-4), der zufolge im Sommer 2022 fast ein Fünftel der Hospitalisierungen auf die zunehmende Impfmüdigkeit in der Bevölkerung zurückzuführen war.

Großbritannien gehörte im Dezember 2020 zu den ersten Ländern, die mit einer Impfkampagne gegen COVID-19 begannen. Angesichts der steigenden Fallzahlen in der ersten Alpha-Welle der Epidemie war der Zuspruch groß.

Mehr als 90 % der Bevölkerung ließen sich impfen – sobald der Impfstoff zur Verfügung stand. Schon bei der 2. Dosis ließ das Interesse vor allem bei älteren Menschen, Menschen mit afrikanischen Wurzeln und solchen aus den ärmeren Stadtteilen der Metropolen nach. Dabei hatten erste Daten aus Israel gezeigt, dass die 2. Dosis das Risiko auf eine Hospitalisierung und einen tödlichen Verlauf weiter senkt.

Die Impfmüdigkeit nahm in der Folge weiter zu. Anfang Juni 2022 hatten in England 45,8 % und in Nordirland 48,8 % der Erwachsenen nicht an allen empfohlenen Impfungen teilgenommen. In Schottland waren es 34,2 % und in Wales 32,8 %, die auf den für sie kostenlosen Schutz teilweise verzichtet hatten.

Da in allen 4 Ländern praktisch alle Einwohner vom National Health Service medizinisch versorgt werden, konnte ein Team um Sir Aziz Sheikh, dem Leiter des Usher Institute an der Universität Edinburgh, relativ leicht ermitteln, dass 14.156 der 40.393 Briten im impffähigen Alter (über 5 Jahre), die in den Monaten Juni bis September 2022 wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten, keinen vollständigen Impfschutz hatten.

Einige von ihnen wären natürlich auch nach einer Impfung erkrankt, da es damals bereits Durch­bruchinfektionen gab. Die meisten Fälle wären jedoch verhindert worden.

Nach den Berechnungen des „HDR UK COALESCE Consortium“ um Sheikh hätten in den 4 Monaten 210 weniger Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren (95-%-Konfidenzintervall 94 bis 326), 1.544 weniger Jugendliche und Erwachsene (1.399-1.689) im Alter von 16 bis 74 Jahren und 5.426 weniger Senioren ab 75 Jahren (5.340-5.512) im Krankenhaus behandelt werden müssen, wenn sie einen kompletten Impfschutz gehabt hätten. Zusammen sind das 7.180 aller 40.393 Hospitalisierungen, also fast ein Fünftel (17,7 %).

Besonders riskant war der Verzicht auf die regelmäßigen Impfungen für ältere Menschen. Schon ein ausgelasse­ner Impftermin steigerte in der Altersgruppe ab 75 Jahre das Risiko auf einen schweren Verlauf mit Hospitalisie­rung und eventuellem Tod (Odds Ratio 2,70; 2,61-2,78). Bei 2 versäumten Impfungen stieg die Odds Ratio auf 3,13 (2,93-3,34), bei 3 versäumten Dosen auf 3,61 (3,13-4,17) und bei 4 versäumten Dosierungen auf 3,08 (2,89-3,29).

In der Altersgruppe von 16 bis 74 Jahren betrugen die Odds Ratios 1,26 (1,19-1,32) bei einem Impfdefizit von einer Dosis, 1,88 (1,71-2,06) bei 2 verpassten Impfdosen und 1,50 (1,42-1,57) bei 3 versäumten Impfdosen.

Auch in der Gruppe der 5- bis 15-Jährigen war bei einem Defizit von 2 Dosierungen ein signifikanter Anstieg der schweren Erkrankungen (Odds Ratio 2,41; 1,76-3,30) nachweisbar, auch wenn die absolute Zahl der Erkrankun­gen (135) in dieser Gruppe gering war. Für eine einzelne unterlassene Impfung war das Risiko bei den Kindern nur leicht und nicht signifikant erhöht (Odds Ratio 1,28; 0,98-1,67).

rme

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