ME/CFS: Behandlung möglichst schnell verbessern

Berlin – Menschen mit Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) benötigen schnell eine gezielte und sektorenübergreifende Versorgung. Darüber hinaus ist mehr Forschung zu Behandlungsmethoden erforderlich. Darauf haben gestern Sachverständige bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags zu einem Antrag der Unionsfraktion hingewiesen.
In Deutschland sind dem Unionsantrag zufolge bereits vor der Pandemie mindestens eine Viertelmillion Menschen von einer ME/CFS betroffen gewesen. Aufgrund der Betroffenen durch Post COVID kämen noch bis zu 300.000 weitere Fälle hinzu.
Verschiedene Behandlungsstrategien sollten parallel gefördert werden, erklärte der Leiter der Spezialsprechstunde Post-Vax am Universitätsklinikum Marburg, Bernhard Schieffer. Denn es sei zwingend notwendig, Patienten mit Post COVID frühzeitig zu behandeln, bevor sie ME/CFS erlitten.
„Wir werden mehr und mehr vor allem von unseren jungen Patienten aus dem Arbeitsleben verlieren, weil sie in ihrer Therapie nicht frühzeitig erfasst werden können“, sagte Schieffer. Man wisse durch die Coronapandemie zwar schon viel, doch „wird uns wieder eine Art von mikrobiellem Supergau ereilen“, erklärte er.
Dem Pneumologen Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge kann jede Infektionskrankheit ein ME/CFS auslösen. Der Pneumologe sprach sich für eine Umbenennung von Post COVID in „Postinfectious oder Viral-Infektiös-Syndrom“ aus. In seiner Post-COVID-Ambulanz hätten von mehr als 3.000 Patienten etwa ein bis zwei Prozent ME/CFS, so Welte.
Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefektambulanz an der Charité, gab sich zuversichtlich, was die Therapie der ME/CFS angeht: „Ich denke ME/CFS ist keine Erkrankung, die schwerer zu behandeln ist als andere vergleichbare Krankheiten.“ Der Grund für die fehlenden Medikamente sei, dass bislang keine Medikamentenentwicklung durchgeführt worden sei.
Denn aktuell bestünde seitens der Industrie – vermutlich aufgrund regulatorischer Hürden –wenig Interesse, weitere Medikamente zu entwickeln „Natürlich werden auch im Ausland Studien gemacht, aber es kann nicht sein, dass wir unsere Rolle so verstehen, dass wir abwarten, bis im Ausland Medikamente entwickelt wurden,“ erklärte sie. Sie gehe davon aus, dass es eine Erkrankung sei, die gut behandelbar sei, weil man es nicht mit geschädigten Organen zu tun habe.
Die Onkologin betonte, es sei falsch Long COVID und ME/CFS auf eine psychische Erkrankung zu reduzieren. Die Psychosomatik spiele aber bei der Behandlung der Erkrankung eine wichtige Rolle. Das gelte vor allem dann, wenn es um schwer kranke Menschen gehe, die mit der Situation erst einmal klarkommen müssten.
Angestoßen wurde die Debatte um die Psychoonkologie durch einen kürzlich im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Artikel Long COVID und die Psycho-Ecke: Wiedergeburt eines reduktionistischen Krankheitsverständnisses, der die psychischen Komponenten einer Long COVID Erkrankung in den Mittelpunkt rückte und betonte, dass eine Debatte um „Körper versus Seele“ bei neuropsychiatrischen Symptomen nicht sinnvoll sei.
Der Beitrag wurde in sozialen Medien heftig diskutiert. „In dem Artikel wird ein Dissens heraufbeschworen, den ich nicht sehe“, erklärte Scheibenbogen dazu, die ebenfalls einen Beitrag zum Thema Post COVID in der selben Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes geschrieben hatte. Auch sie stellt klar, dass es in der Debatte um die Ursache kein „entweder oder“ gäbe.
Mehr Pacing und weniger aktivierende Therapien
Ein Problem bei der Therapie sei auch, dass Ärztinnen und Ärzte das Krankheitsbild oftmals nur ungenügend kennen würden, sagte Sebastian Musch von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und deshalb falsche Therapien verschreiben würden.
Das würde dazu führen, dass Patientinnen und Patienten nicht die passende Behandlung erhielten, sagte Anni Conrad von der Initiative Long COVID Deutschland (LCD). Denn oftmals würden aktivierende Therapien in der Rehabilitation eingesetzt, was die Symptomatik der Betroffenen verschlechtere.
Das bestätigte auch Scheibenbogen. „Mehr Patienten berichten von einer Verschlechterung nach der Reha“, erklärte sie mit Verweis auf eine Umfrage von Long COVID Deutschland mit 1.000 Betroffenen, die eine Reha bekommen haben. „Das entscheidende Kriterium für eine Verschlechterung in der Reha ist, dass Kliniken das Konzept des Pacing und der Post-Exertationellen-Malaise nicht kennen und nicht anwenden“, so Scheibenbogen.
Vernetzung der Forschungszentren
„Was die Medizin braucht ist eine sektorverzahnende Versorgung für die Patientenversorgung“ sagte Schieffer. Dabei müsse es eine Zusammenarbeit von Allgemein- und Fachärzten sowie universitären Spezialambulanzen geben.
Diese machten die komplexen Fälle und die Forschung. Schieffer zufolge wäre wünschenswert eine Task-Force zu bilden in der Forschungsinitiativen gebündelt und dann an entsprechende Standorte mit bestmöglichen Ressourcen verteilt werden.
Scheibenbogen schlug einen Runden Tisch vor, an dem auch pharmazeutische Unternehmen beteiligt werden sollten. Denn parallel zu BC007 müssten weitere Medikamente entwickelt werden, die nach dem gleichen Wirkprinzip funktionierten und bereits bei anderen Erkrankungen, wie der Multiplen Sklerose, eingesetzt würden.
„Für eins der Medikamente haben wir auch einen Antrag beim BMBF gestellt, das würden wir gerne 2024 in einer klinischen Studie prüfen“, erklärte sie. Denn die Wirksamkeit von BC007 bei ME/CFS sei noch nicht geklärt, sodass es nicht kurzfristig zur Verfügung stehen könne.
Martina Stamm-Fibich, Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, sieht auch die Politik in der Pflicht. „Grundsätzlich ist neben der Ausweitung von Projektförderungen aber auch der Aufbau von nachhaltigen Forschungsstrukturen – wie beispielsweise neuer Professuren – besonders wichtig“, sagte sie.
Politik und Ärzteschaft in der Pflicht
Hier müssten auch die Länder in die Pflicht genommen werden, während sie im Bereich der Therapieforschung mehr Initiative aus der pharmazeutischen Industrie wünschenswert findet.
Das Land Niedersachsen hat Welte zufolge bereits rund 16 Millionen Euro für Forschungsprojekte zu Post COVID bereitgestellt, die im Oktober vorgestellt werden sollen.
Stamm-Fibich plädierte zudem für mehr Aufmerksamkeit für die Krankheit sowohl in der Ärzteschaft als auch in der Bevölkerung. „An dieser Stelle sehe ich insbesondere auch die Ständevertretung der Ärzte in der Pflicht“, erklärte sie.
Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte, dass die Unionsfraktion das Thema weiter begleiten werde „Wir müssen endlich dafür Sorge tragen, dass die Betroffenen die Anerkennung und Hilfe bekommen, die sie schon jahrelang fordern.“
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