Medizinische Fakultäten: Gemischte Gefühle bezüglich aktueller Gesetzgebung

Bonn – Mit Zuversicht, aber auch mit Skepsis betrachten die medizinischen Fakultäten die derzeitigen politischen Entwicklungen. Neben Dynamik und Fortschritt wie beispielsweise in der Digital-Gesetzgebung herrsche an anderer Stelle Stagnation und überbordende Regulierung, erklärte heute der Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), Matthias Frosch, zur Eröffnung 85. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentag (oMFT), der noch bis morgen in Bonn stattfindet.
Sorge bereitet den medizinischen Fakultäten insbesondere der durch die jüngsten Wahlen deutlich sichtbar gewordene Rechtsruck in der Gesellschaft. „Wenn dieser Rechtsruck die Freiheit von Forschung und Lehre oder auch die Grundsätze eines pluralistischen Wissenschaftssystem dauerhaft bedroht, muss sich die Wissenschaft mit all ihren Mitteln zu Wehr setzen“, betonte Frosch, selbst Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg. Das mächtigste Mittel der Wissenschaft sei nach wie vor die Meinungsfreiheit, gerade auch an den Universitäten und Fakultäten. „Diese gilt es zu verteidigen!“
Ähnlich sprachen sich auch andere Teilnehmende des oMFT aus. „Die Hochschulmedizin weiß, wo sie steht“, sagte der 1. Vorsitzende des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), Jens Scholz. „Zusammenhalt ist das Schlüsselwort“. Auch Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, appellierte an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, israelitische Kolleginnen und Kollegen in der Medizin und in anderen Wissenschaftsbereichen nicht zu boykottieren. „Das darf nicht sein“, warnte er mit Blick auf bereits berichtete Vorkommnisse dieser Art. „Wir müssen uns dagegen gemeinsam wehren.“
Ansonsten sei das zurückliegende Jahr für die medizinischen Forschung ein gutes Jahr gewesen, konstatierte MFT-Präsident Frosch. Seit dem letzten Jahrestreffen der Fakultäten hätte sich politisch einiges bewegt: Positiv bewertete er das Gesetzgebungspaket aus Digitalgesetz, Gesundheitsdatennutzungsgesetz und Medizinforschungsgesetz. Es biete gute Perspektiven und könne den Wissenschafts- und Gesundheitsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken. Es müsse allerdings gelingen, diese Gesetze auch im Rahmen des Europäischen Gesundheitsdatenraums unbürokratisch und „mit einem auf Ermöglichung ausgerichteten Datenschutz“ auszugestalten.
An anderer Stelle drohten bereits neue bürokratische Vorgaben den medizinischen Fortschritt „bis an die Grenzen der Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre“ zu behindern, beklagte Frosch und verwies dabei explizit auf die Tierschutzgesetzgebung, die aktuell novelliert wird. Die tierexperimentelle Forschung, bei der jetzt schon eine unklare Genehmigungspraxis herrsche, werde zusätzlich durch angedrohte Strafen erschwert. „Gesetze und Behörden müssen Forschung ermöglichen, nicht verhindern“, so der Arzt und Wissenschaftler. Die vorgeschlagene Neuregelung des Tierschutzgesetzes berücksichtige dies nicht ausreichend und müsse ressortübergreifend nachgebessert werden.
Nach Ansicht der Hochschulmedizin bringt die Novelle durch unscharfe Begriffsbestimmungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sogar bis an den Rand der Kriminalität. „Es bedarf der gemeinsamen Anstrengungen aller Wissenschaftsorganisationen und Verbände, dem entgegenzutreten und auf die Konsequenzen für einen starken und kompetitiven Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland hinzuweisen“, sagte Frosch. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst und könnten dieser auch ohne die Forschung einengenden Regulierungen nachkommen.
Gesetzliche Überregulation befürchten die Fakultäten aber nicht nur in Bezug auf die Forschung, sondern auch auf die Lehre. Auch schlank formulierte Rahmenbedingungen einer Approbationsordnung könnten hervorragend ausgebildete Absolventinnen und Absolventen der Medizin hervorbringen, sagte der MFT-Präsident mit Blick den aktuellen 270-seitigen Referentenentwurf der Approbationsordnung. Grundsätzlich sei diese allerdings dringend notwendig, um die medizinische Versorgung auch in der Zukunft zu stemmen. „Was wir aber ganz gewiss nicht brauchen, ist Stagnation in diesem wichtigen Reformprozess und jahrelange Ungewissheit, ob und wann Bund und Länder sich auf die Finanzierung und letztlich auf die Verabschiedung der neuen Approbationsordnung verständigen können“, betonte Frosch.
Tatsächlich dümpelt die Reform des Medizinstudiums seit Jahren vor sich hin, weil Bund und Länder sich nicht auf die Finanzierung einigen können. Der inzwischen mehrfach überarbeitete Referentenentwurf einer neuen Ärztlichen Approbationsordnung geht inhaltlich auf den Masterplan Medizinstudium 2020 zurück und wird sowohl von den Studierenden als auch den Fakultäten begrüßt. Dennoch ist bislang die Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch Kabinett und Bundestag nicht neu terminiert, nachdem bereits mehrere Termine verschoben worden.
Die Medizinischen Fakultäten appellierten daher beim oMFT in Bonn erneut an die Politik, diesen Stillstand zu beenden und eine Entscheidung, „in welche Richtung am Ende auch immer“, zu treffen. „Wir treten seit über einem Jahr auf das Gaspedal bei angezogener Handbremse“, sagte Frosch. Die Fakultäten wüssten, was für ein modernes, auf die zukünftigen Herausforderungen des Gesundheitswesens ausgerichtetes Medizinstudium zu tun sei. Notfalls könnten sie die hierfür notwendigen Schritte auch in eigener Verantwortung – unter den Rahmenbedingungen der derzeit gültigen Approbationsordnung – so gut es gehe umsetzen. „Aber wir brauchen Klarheit.“ Ersatzdiskussionen und vom Thema der Ausbildungsqualität ablenkende Forderungen nach zusätzlichen Medizinstudienplätzen seien dagegen nicht zu gebrauchen, so der MFT-Präsident.
Schulterschluss zwischen Fakultäten und Universitätskliniken
Frosch betonte erneut den mittlerweile engen Schulterschluss der medizinischen Fakultäten mit den Universitätskliniken. Dieser sei immer zu spüren, wenn Forschung, Lehre und Patientenversorgung zusammenwirken und die gemeinsamen Interessen der Medizinischen Fakultäten und der Universitätsklinika gegenüber Politik und Gesellschaft vertreten werden müssten. VUD-Vorsitzender Scholz bestätigte dies. Die bestehende enge Kooperation sei notwendig, um auch in Zukunft das Zusammenwirken von Krankenversorgung, Forschung und Lehre zu sichern.
Scholz begrüßte zudem vor den Teilnehmenden des 85. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentages den bereits erfolgten Kabinettsbeschluss zur Krankenhausreform. Diese sei ein bedeutender Meilenstein seitens der Bundesregierung auf dem Weg zu einem Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft und zur Verbesserung der Qualität der Patientenbehandlung. „Dass dabei dem Stellenwert der Hochschulmedizin Rechnung getragen wird, ist richtig so“, sagte er. „Wir haben lange dafür gekämpft.“ Nun werde zur Gewährleistung einer guten Versorgung erstmals die koordinative Rolle der Universitätsmedizin beschrieben. Die Universitätsklinika seien bereit, die anstehenden Herausforderungen anzunehmen. „Nur Kooperationen in regionalen Netzwerken werden die Gesundheitsversorgung in Zukunft sicherstellen“, ist er überzeugt.
Kooperationen auch in der biomedizinischen Forschung unabdingbar
Als unabdingbar sieht Helmholtz-Präsident Wiestler Kooperationen auch im Bereich der biomedizinischen Forschung an. „Wir stehen vor einer Zeitenwende in der Biomedizin“, sagte er heute. Diese gehe mit Chancen, aber auch Herausforderungen einher, sowie mit einem enormen internationalen Wettbewerb. „Nur durch konsequenten Schulterschluss werden wir hier bestehen können“, betonte er.
Die Ausgangslage ist Wiesler zufolge günstig. „Wir sind gut aufgestellt in Deutschland – auch bezüglich der Gesundheitswirtschaft“, sagte er. Nun müsse man gemeinsam in die Phase mit völlig neuen Herausforderungen gehen. Als die drei großen Herausforderungen definierte er erstens die Translation von wissenschaftlichen Ergebnissen in die medizinische Versorgung. Zweitens sei es wichtig die präventive Medizin zu stärken, die künftig eine größere Rolle spielen werde. Die dritte Herausforderung sei die digitale Transformation, der nach seiner Ansicht sogar die größte Bedeutung zukommt.
„Entscheidend im Wettbewerb wird überall der enge Schulterschluss zwischen den Akteuren sein“, prophezeite er. Erforderlich seien leistungsfähige strategische Allianzen zwischen Universitätsmedizin, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Kostenträgern, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Manche Forschungsthemen seien nur zu bewältigen, wenn alle Beteiligten an einem Ort zusammenkämen, betonte er mit Verweis auf beispielsweise die Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung. „Wir brauchen solche regionale Spitzencluster mit kritischer Masse“, so Wiestler.
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