Wissenschaftliche Fachgesellschaften für verstärkte Vermittlung von wissenschaftlicher Kompetenz

Berlin – Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) sieht es als erforderlich an, die Vermittlung der Wissenschaftskompetenz im Medizinstudium sowie der Fort- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte zu stärken. Nach ihrer Ansicht sollte es diesbezüglich künftig auch bundesweit einheitliche Vorgaben geben.
Denn ganz gleich, an welcher Stelle im Gesundheits- oder Forschungssystem Ärztinnen und Ärzte tätig würden, sei es essenziell für sie, neueste Studien lesen und interpretieren zu können. Sie müssten medizinische Leitlinien anwenden, Registerdaten erfassen sowie Statistiken verstehen, einordnen und im Kontext der Patientenversorgung bewerten können, so der Tenor des heutigen Berliner Forums der AWMF.
„Methodisch-wissenschaftliche Grundkenntnisse stellen eine Bedingung für die Anwendung Evidenzbasierter Medizin dar“, sagte Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. „Wir brauchen die Wissenschaftskompetenz der künftigen praktisch tätigen Ärztinnen und Ärzte. Das muss im Studium und in der Weiterbildung begründet und lebenslang in der Fortbildung fortgeführt werden“, so Treede. Zudem brauche man kompetente forschende Ärztinnen und Ärzte, die die richtigen wissenschaftlichen Fragen aufwerfen würden. Für beides biete das Studium der Humanmedizin derzeit jedoch keine gute Grundlage.
Anwendung von Leitlinien
„Patientenbetreuung ist angewandte Wissenschaft“, betonte Andreas Stallmach vom Universitätsklinikum Jena. Das medizinische Wissen verdoppele sich derzeit in enorm kurzer Zeit. Ärztinnen und Ärzte müssten deshalb in der Lage sein, Leitlinien, die ständig aktualisiert werden, zu lesen und zu verstehen. „Die Anwendung von Leitlinien muss im Studium gelehrt werden“, forderte er. Studierende müssten vor allem auch dazu gebracht werden, sich für Wissenschaftlichkeit und Leitlinien zu interessieren. Dazu brauche es Vorbilder, die auch im klinischen Alltag regelmäßig aktuelle Leitlinien anwendeten.
Widerspiegeln müsse sich diese Haltung auch in der anstehenden Reform des Medizinstudiums: „Als AWMF begrüßen wir, dass die wissenschaftliche Ausbildung durch die neue Approbationsordnung intensiviert werden soll, indem eine bestimmte Zeit für eine Forschungsarbeit eingeräumt wird“, betonte Treede. Es sei zu hoffen, dass der vorliegende Entwurf einer neuen Ärztlichen Approbationsordnung auch tatsächlich bald umgesetzt wird.
Auch die Studierenden selbst drängen auf Veränderungen des Curriculums in Richtung Wissenschaftlichkeit und sehen dem Inkrafttreten der neuen Approbationsordnung mit Spannung entgegen. Deutschlandweite Befragungen von Medizinstudierenden zeigten eindeutig, dass sich die Mehrheit eine verstärkte Vermittlung von wissenschaftlicher Kompetenz im Studium wünsche, bekräftigte heute Christian Baxmann, Bundeskoordinator für medizinische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd).
Tatsächlich sieht den Erhebungen zufolge der Großteil der Medizinstudierenden derzeit die wissenschaftliche Ausbildung an den Medizinischen Fakultäten als nicht ausreichend an. Sie bereite nicht optimal für eine künftige Promotion vor, erklärte Baxmann. Zwei Drittel der Studierenden wünschten deshalb die Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit im Studium – so wie es jetzt im Entwurf der neuen Approbationsordnung verankert wäre, erläuterte der Medizinstudent der Universität Leipzig. Man müsse als künftiger Arzt oder Ärztin mal selbst wissenschaftlich gearbeitet haben. „Wir brauchen auch bezüglich der Wissenschaftskompetenz Handlungskompetenz, nicht nur Wissenskompetenz“, sagte Baxmann.
Konkret wünschten sich die Studierenden interaktive und innovative Lehrveranstaltungen, eine Verknüpfung mit den Inhalten des Kerncurriculums, das verbindliche Anfertigen einer wissenschaftlichen Arbeit – und zwar bundesweit an allen Fakultäten. Allerdings dürfe die wissenschaftliche Arbeit nicht zu einer eklatanten Mehrbelastung führen und vielleicht in die vorlesungsfreie Zeit verlagert werden, in der auch Famulaturen zu absolvieren seien. „Das Studium muss auch noch studierbar sein“, so Baxmann.
Wie die Stärkung der Wissenschaftskompetenz im Medizinstudium aussehen kann, berichtete Julia Eckel, Referentin für „Wissenschaftlichkeit im Medizinstudium“ im Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung der Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. An ihrer Fakultät werden im Modellstudiengang „MaReCuM“ explizit wissenschaftliche Kompetenzen der Medizinstudierenden gefördert. „Wir haben einen obligatorischen Leistungsnachweis zum Wissenschaftlichen Arbeiten implementiert“, erläuterte sie.
Handwerkszeug vermitteln
„Dabei geben wir den Studierenden kompetente Werkzeuge für das wissenschaftliche Arbeiten an die Hand“, erklärte Eckel. Sie besuchten Veranstaltungen zur Literaturrecherche, zur Evidenzbasierten Medizin, guten wissenschaftlichen Praxis, kritischen Beurteilung von wissenschaftlicher Evidenz und zum wissenschaftlichen Schreiben. Dieses Handwerkszeug sei notwendig, um wissenschaftliche Ergebnisse richtig zu lesen und im Kontext des Patienten einzuordnen. In einer Forschungsarbeit müssen die Studierenden schließlich eine eigene wissenschaftliche Leistung erbringen, so Eckel weiter. Laborpraktika, Versuchsplanung, Biomathematik, Epidemiologie und Evidenzbasierte Medizin in der Klinik rundeten das Curriculum ab. Im MaReCuM seien zudem die „Erarbeitung und Analyse wissenschaftlicher Evidenzen, Fähigkeit zum selbstständigen Erforschen sowie die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen“ auch als Kernkompetenzen definiert.
Doch auch später – in der Weiterbildung – müsse die Wissenschaftskompetenz gestärkt werden, fordert die AWMF. Ärztinnen und Ärzte müssten patientennahe Forschung nach DFG-Kriterien durchführen können. „Ärztliche Tätigkeit ist auch klinische Forschung“, so Treede. Dies sei leider in den Weiterbildungsordnungen nicht adäquat abgebildet.
Dort würden ethische, wissenschaftliche und rechtliche Grundlagen ärztlichen Handelns nur als Wissens-, aber nicht als Handlungskompetenz genannt, kritisierte Erika Baum, Vorsitzende der Ständigen Kommission Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre der AWMF. Dies reiche nicht aus. Wissenschaftskompetenz sei eine Handlungskompetenz für die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit. „Ärztinnen und Ärzte müssen fähig sein, Daten aus dem Versorgungsalltag wissenschaftlich aufbereiten zu können, damit sie für die Forschung nutzbar werden – nicht nur an den Universitätskliniken, sondern flächendeckend“, so Baum. Registerstudien und Forschungspraxisnetze im ambulanten Bereich würden helfen, Innovationen zu generieren und die Qualität von Behandlungen sowie die Patientenversorgung zu verbessern.
Konkret plädiert die AWMF dafür, auch Forschungszeiten für die ärztliche Weiterbildung anzuerkennen. Bisher würden nicht einmal Clinician Scientist-Programme (CSP) durch alle Landesärztekammern einheitlich anerkannt werden. „Einige Ärztekammern sind großzügig, wenn der Gesamtrahmen eine sinnvolle Strukturierung der Weiterbildung zeigt, andere schließen Zeiten wissenschaftlicher Tätigkeit ohne direkten Patientenkontakt kategorisch aus“, kritisierte Baum. Dabei führten die meisten Ärztinnen und Ärzte in CSP klinische und forschende Tätigkeit gleichzeitig aus.
Dies bestätigte Il-Kang Na, Direktorin des Clinician Scientist Programms des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Ärztin und Wissenschaftlerin plädierte dafür, die CS-Programme dauerhaft zu verankern. „Forschende Ärztinnen und Ärzte schlagen die Brücke zwischen Forschung und Klinik“, sagte sie. „Sie erkennen Versorgungslücken und sind Hauptmotoren in der Forschung.“ Na betonte diesbezüglich die „hervorragende“ Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Berlin. Sie vergebe Anerkennung auf die Weiterbildung bis zu drei Jahren. „Wir brauchen diese Vereinbarungen über die Anerkennung von Forschungszeiten durch die Ärztekammern“, bekräftigte sie.
„Kurzfristig fordern wir, dass generell sechs Monate im Bereich klinischer Forschung oder Versorgungsforschung auf die Weiterbildungszeit angerechnet werden“, ergänzte Baum. Zusätzlich seien Zeiten anzusetzen, die spezifische Kompetenzen der jeweiligen Weiterbildungsordnung im Rahmen des CSP berücksichtigen, beispielsweise Forschung zu allergischen Erkrankungen, welche die Kompetenzen der Allergologie stärkten und förderten, so die Allgemeinmedizinerin.
Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Co-Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer, bestätigte, dass klinische Forschung durchaus in der Weiterbildung stattfinden könne. „Die konkrete Anrechnung auf die Weiterbildungszeit muss dann aber im Einzelfall von der zuständigen Landesärztekammer geprüft werden.“ Sicher sei dies unterschiedlich, aber „für generelle Ablehnung fehlt mir jedes Verständnis.“ Bei ihm in Schleswig-Holstein seien bereits bis zu 48 Monaten auf die Weiterbildung anerkannt worden.
„Weiterbildung findet in Deutschland grundsätzlich im Rahmen von ärztlicher Berufstätigkeit statt“, betonte Herrmann. Wichtig sei dabei der direkte Kontakt des Weiterzubildenden zu den Weiterbildungsbefugten. So würden auch die verschiedenen Arztrollen in der Weiterbildung vertieft. „Die Vermittlung von Wissenschaftskompetenz gehört selbstverständlich dazu“, so Herrmann. Wissenschaftlichkeit in der Weiterbildung bilde sich beispielsweise in der Anwendung von Leitlinien und Studien oder in wissenschaftlich begründeter Gutachtenerstellung ab. Generelles Ziel sei dabei immer die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung.
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