Medizinische Fakultäten: Klimawandel und seine Folgen gehören vermehrt in die ärztliche Aus- und Weiterbildung

Bonn – Die Universitätsmedizin will angesichts der zunehmend drängenden Umweltprobleme ihr Augenmerk vermehrt auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit richten. Auch die Auswirkungen auf die Inhalte der Aus- und Weiterbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten sollten nach Ansicht der medizinischen Fakultäten verstärkt berücksichtigt werden.
„Lehre und Forschung werden sich mehr damit beschäftigen müssen, wie die klimatischen Veränderungen den menschlichen Organismus belasten und wie Morbiditäten und Mortalität sowie die Epidemiologie von Erkrankungen sich verändern und verschieben“, sagte der Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), Matthias Frosch, auf dem diesjährigen 85. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentag (oMFT) in Bonn.
Frosch ist überzeugt, dass das Thema Prävention, das für viele Erkrankungen derzeit zunehmende Bedeutung erfahre, auch bei der Bewältigung hitzebedingter Gesundheitsschäden immer wichtiger werde. „Zu unseren Aufgaben in der Universitätsmedizin gehört deshalb auch, dieses Thema bereits im Studium zu verankern“, so Frosch. Nicht alle Auswirkungen des Klimawandels würden sich vermeiden lassen. Umso wichtiger sei die Vorbereitung der Angehörigen aller Gesundheitsberufe auf diese Herausforderung. Da viele medizinische Fakultäten derzeit der Wunsch und Wille umtreibt, zukünftige Fachkräfte im Gesundheitswesen mit dem spezifischen Wissen und den notwendigen Handlungskompetenzen auszustatten, die helfen können, das Zusammenspiel zwischen Klimawandel und menschlicher Gesundheit anzugehen, diskutierte der 85. oMFT in Bonn die Thematik in einem Schwerpunktpanel.
Es sei dringend notwendig, Ärztinnen und Ärzte für das Themenfeld Klimawandel und Gesundheit zu sensibilisieren und Möglichkeiten der Integration des Themas in die Lehre von medizinischen sowie medizinnahen Studiengängen aufzuzeigen, bestätigte Claudia Hornberg, Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU). Umwelt- und klimabedingte Erkrankungen würden zunehmend häufiger werden – auch in Westeuropa, sagte die Professorin an der Universität Bielefeld sowie Dekanin der dortigen medizinischen Fakultät.
Als direkte Folgen des Klimawandels werde man durch das vermehrte Auftreten von Extremwetterereignissen mehr Patientinnen und Patienten aufgrund von Hitzestress, Dehydrierung, Verletzungen und posttraumatischer Belastungsstörung behandeln müssen, sagte Hornberg. Aber auch die indirekten Auswirkungen, wie Versorgungsdefizite oder soziale Unruhen, seien nicht zu unterschätzen. In Kombination mit global steigenden touristischen Aktivitäten fördere der Klimawandel auch die Verbreitung von vektorbasierten Infektionskrankheiten.
„Fast alle medizinischen Fachdisziplinen haben mit dem Klimawandel zu tun“, verdeutlichte Hornberg. „Deshalb müssen wir das Thema Klimaschutz weiter nach vorne spielen sowie die Klimaanpassung des Gesundheitswesens diskutieren.“ Als ein weiteres Beispiel führte sie Luftverschmutzungen an: Die Belastung der Luft mit Schadstoffen wie Feinstaub, Stickstoffdioxid oder Ozon, stünden ebenfalls im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Hohe Ozonkonzentrationen könnten beispielsweise Menschen mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen verstärkt belasten, die Erderwärmung sowie erhöhte CO2-Konzentrationen führten zu einer verlängerten Pollensaison sowie dem Auftreten neuer Arten, was insbesondere in der Allergologie relevant sei.
Ärztliches Personal schulen
Das ärztliche Personal müsse frühzeitig geschult werden, sagte Hornung. Dies geschehe auch bereits auf verschiedenen Kongressen und Tagungen. „Dort ist das Thema präsent. Das ist richtig so.“ Nach Ansicht von Hornberg sollten aber noch mehr interdisziplinäre Ansätze gefördert werden, auch an den Universitäten. „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“, zitierte Hornberg den Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt. „Bisher sei das Thema Klima aber nur ein Randthema in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung“, bedauerte sie. „Es muss mehr in die Lehre.“ Erste gute Ansätze in dieser Richtung seien bereits sichtbar, zum Beispiel an den Universitäten Köln, Augsburg und in Bielefeld.
Eva-Maria Schwienhorst-Stich, Leiterin der Arbeitsgruppe Klima und Planetare Gesundheit an der Universität Würzburg, zeigte sich optimistisch: In der medizinischen Lehre erfahre das Thema momentan eine immer größere Aufmerksamkeit, berichtete sie. So sei 2021 im Rahmen des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs (NKLM) ein kapitelübergreifender Themen- und Fachkatalog „Planetare und Globale Gesundheit“ erstellt worden. Dieser sei zwar noch nicht in allen Curricula, aber es gäbe an vielen Universitäten bereits gute konkrete Ansätze in dieser Richtung.
Beispielsweise habe man an ihrer Fakultät in Würzburg schon gute Erfahrungen mit der Integration des Themas in das longitudinale Curriculum, so Schwienhorst-Stich. „Es braucht gar nicht viele Ressourcen, um das Thema zu etablieren“, erklärte sie. Nötig sei aber ein koordinierter Prozess. Es gelte mit Engagement für jedes Fach zu schauen, wo das Thema eingebaut werden könnte.
Bei den Studierenden stoßen solche Aktivitäten auf Zuspruch: „Das Thema Klima und Gesundheit wird in den vergangenen Jahren auch unter uns zunehmend diskutiert“, bestätigte Shaleen Paschke, Bundeskoordinatorin für Public Health der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). Die Studierenden hätten bereits vor Jahren ein Positionspapier zum Thema One Health verfasst und eine nachhaltige und umfassende Integration des Themenfeldes in die medizinische Ausbildung gefordert, erinnerte die Medizinstudentin. „Jetzt gilt es, diese Ansätze tatsächlich gemeinsam in die Curricula zu bringen.“
Dabei wolle man gar nicht, dass die Lehre auf links gedreht wird, sagte Paschke. „Ein Großteil der Inhalte ist schon in Ansätzen in den Curricula enthalten.“ Allerdings müssten die Akzente im Kontext des Klimawandels neu gesetzt werden. „Da derzeit die Lehre der Medizin mehr auf Inhalte der Prävention umgestellt wird, ist jetzt ein gutes Momentum“, meinte sie. Ihre Generation müsse mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Doch viele der Studierenden seien sich unsicher hinsichtlich ihrer künftigen Aufgaben als Ärztin oder Arzt im Bereich Klimawandel und Gesundheit. „Das wollen wir lernen.“
Die medizinische Lehre nahm insgesamt auf dem diesjährigen Jahrestreffen der Vertreterinnen und Vertreter der Fakultäten wieder großen Raum ein. Im Fokus stand in Bonn insbesondere die Medizindidaktik: So wurde anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Master of Medical Education, die mittlerweile erreichte Professionalisierung der medizinischen Lehre gewürdigt.
Ein weiteres Thema war beim 85. oMFT in Bonn die Innovationskraft Chinas und die aus Wissenschaftskooperationen mit chinesischen Partnern resultierenden Chancen und Risiken für die deutsche und europäische Hochschulmedizin. Diese müssten sorgfältig und im Einzelfall in den Institutionen abgewogen werden, war die einhellige Ansicht der Teilnehmenden. Eine staatliche Clearingstelle wurde abgelehnt.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: