Medizinische Fakultäten wollen Digitalisierung stärker vorantreiben

Hamburg – Die Medizinischen Fakultäten wollen sich verstärkt den Herausforderungen des demografischen Wandels stellen. „Die Effekte sind bereits jetzt in der Universitätsmedizin deutlich spürbar“, sagte Heyo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), heute zur Eröffnung des 78. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentages (oMFT) in Hamburg.
Es sei eine Kunst, medizinischen Fortschritt, Digitalisierung und demografischen Wandel so zusammenzuführen, dass eine gute Versorgung der Bevölkerung gewährleistet sei. „Das geht nur mit exzellent ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten und einer zügigen Translation von Innovationen in die Versorgung“, betonte er. „Die medizinischen Fakultäten und die Universitätskliniken in Deutschland wollen diesen Prozess aktiv mitgestalten“, wandte sich Kroemer an die Politik.
Herausforderung Wissensvermehrung
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) würdigte vor den in Hamburg anwesenden Vertretern der medizinischen Fakultäten die große Herausforderung, mit den Erfolgen der enormen Wissensvermehrung in der Medizin umzugehen. „Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass die Versorgung ein herausragendes Innovationsinteresse hat“, sagte er. Notwendig sei jedoch eine verstärkte Vernetzung untereinander. Als positives Beispiel wies Gröhe auf die enge Kooperation zwischen den Fakultäten, dem Bundesforschungsministerium (BMBF) und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) bezüglich der Stärkung der Medizininformatik hin. Gemeinsam müsse man Brücken bauen und Innovationen in die Versorgung tragen, sagte er.
Da die Telemedizin immer Ängste bei der Bevölkerung auslöse, müsse der Schutz der Patientenrechte und der Patientendaten an oberster Stelle stehen, erklärte Gröhe. Ein Förderkonzept zur Medizininformatik, in dessen Fokus die Universitätskliniken stehen, hatte das BMBF im November 2015 erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Sein Ziel ist es, die Patientenversorgung und die Forschungsmöglichkeiten durch innovative IT-Systeme zu verbessern.
Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery wies darauf hin, dass man sich zwar dem Fortschritt nicht verweigern dürfe, die Medizin aber auch in Zukunft nicht allein durch Technik geprägt sein dürfe. „Die Medizininformatik wird den Arzt nicht abschaffen, sondern ihm eine Hilfe sein“, ist er überzeugt. Auch in den kommenden Jahren werde man noch Ärzte brauchen, die mit ihren Händen arbeiten. „Der Bedarf an menschlicher Zuwendung wird bleiben“, sagte er vor den Dekanen. Die Arbeit als Arzt müsse auch als ethische Aufgabe verstanden werden. Dies sollten die medizinischen Fakultäten den Studierenden vermitteln.
In den nächsten Jahren will die Hochschulmedizin eine vernetzte und forschungskompatible elektronische Patientenakte entwickeln, die allen behandelnden Ärzten eines Patienten die notwendigen Informationen liefert und gleichzeitig das neueste Forschungswissen zur Verfügung stellt. „Durch den Ausbau der digitalen Dateninfrastruktur wird Deutschland schnelle Fortschritte in der medizinischen Forschung machen, beispielsweise, um die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft anzugehen“, ist Kroemer überzeugt.
Finanzierung des Masterplans muss geklärt werden
Die Medizininformatikinitiative des BMBF habe bereits die Grundlagen für diese forschungskompatible vernetze Patientenakte geschaffen. Derzeit entwickelten Konsortien konkrete praxisnahe Modelle, die zunächst in der Universitätsmedizin und schließlich flächendeckend zusammen mit nicht universitären Kliniken und niedergelassenen Ärzten umgesetzt werden sollen. Die Universitätsmedizin strebt dabei die inhaltliche Synchronisation der geplanten Arbeiten mit der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik) an.
Kritisch betrachten die Dekane der Medizinischen Fakultäten die Entwicklungen im Rahmen des „Masterplans Medizinstudium 2020“. „Wir beteiligen uns gern an einer Weiterentwicklung des Medizinstudiums, plädieren jedoch für einen umfassenden Ansatz, der auch die Krankenhäuser und die Digitalisierung im Blick hat“, betonte Kroemer. Generell teile der MFT zwar viele der Ziele, die im Beschlusstext zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ formuliert sind. Mit einer verstärkten Verschränkung von Praxis und Theorie greife das Papier beispielsweise auch die aktuellen Entwicklungen an den Medizinischen Fakultäten auf.
Geklärt werden müsse aber endlich die Finanzierung, da der Masterplan ja ohne klares Finanzkonzept verabschiedet wurde und die Ressourcen für eine entsprechende Implementierung immer noch schwer abschätzbar seien. „Wir brauchen keinen jahrelangen Finanzstreit“, so der Präsident. Gröhe verteidigte den Prozess: Es sei gut, sich erst auf die Positionen zu einigen und dann über die Finanzierung zu sprechen. Gleichzeitig kündigte er jedoch an, dass man noch in diesem Monat über die nächsten Schritte reden werde.
Ein Konsens nach einer einjährigen Debatte bezüglich eines neuen Auswahlverfahrens zum Medizinstudium konnte heute auf dem 78. oMFT in Hamburg zwischen der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd) und dem MFT gefunden werden. Dieser berücksichtigt sowohl die aktuellen Problematiken – wie die Fokussierung auf die Abiturnote und eine unzumutbar lange Wartezeit – als auch den politischen Wunsch der erweiterten Zulassungskriterien.
Ziel war es unter anderem, die Wartezeitquote durch einen alternativen Weg für eine notenunabhängige Chance zum Studienplatzerwerb zu ersetzen, die Abiturnote durch weitere Auswahlkriterien für alle Bewerber zu ergänzen und eine deutschlandweit einheitliche Grundlage für die Auswahl zu erstellen. „Das heute verabschiedete Konsenspapier ist ein echter Meilenstein und ein Signal an die Politik, auf die Erfahrungen von den Beteiligten – Medizinstudierende wie Hochschullehrer – zu setzen“, sagte Bertram Otto von der bvmd dem Deutschen Ärzteblatt.
Vorabquoten erhalten
Konkret schlagen MFT und bvmd in ihrem Papier vor, die jetzige Vorabquote für Härtefälle, Nicht-EU-Ausländer, Sanitätsoffiziersanwärter unverändert zu erhalten. Sollte zusätzlich eine Landarztquote im Rahmen des Masterplans eingeführt werden, so soll diese als Vorabquote abgebildet werden.
Zudem sollen die drei bisher separaten Quoten für die Abiturbesten, das Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) sowie die Wartezeit zu einer gemeinsamen Quote zusammengeführt werden, und zwar durch mit Kombination der Abiturnote (maximal 40 Punkte), des Studierfähigkeitstest (maximal 40 Punkte) und zusätzlichen Punkten für berufspraktische Erfahrung in einem medizinnahen Bereich oder einen staatlich anerkannten Freiwilligendienst (maximal 10 Punkte). Ein Situational Judgement Test (SJT) , bei dem aufgaben- und kontextbezogenes Wissen und soziale Kompetenz getestet werden, soll mit maximal weiteren zehn Punkten berechnet werden.
„Die Punkte für alle vier Kriterien würden summiert, anhand der Punktsumme würde eine bundesweite Reihung erstellt werden“, erklärte Otto. Die Hälfte der an jeder Universität zu vergebenden Studienplätze würden anhand der Punktereihung gemäß der geäußerten Ortspräferenz der Bewerber direkt vergeben werden, die andere Hälfte der Plätze eines jeden Standorts könnten gemäß eines standortspezifischen AdH-Verfahrens vergeben werden.
„Wir sind uns bewusst, dass für die Umsetzung noch weitere wesentliche Detailplanungen notwendig sind“, sagte MFT-Generalsekretär Frank Wissing dem Deutschen Ärzteblatt. So müsste das Modell eng mit dem Dialogorientierten Serviceverfahren (DoSV) der Stiftung für Hochschulzulassung abgestimmt werden. Ebenso müssten die in Deutschland bereits bestehenden und erprobten Tests zusammengeführt und weiterentwickelt werden, um sowohl gelerntes Wissen als auch darüber hinaus gehende kognitive Fähigkeiten adäquat zu prüfen.
Letztlich müssten die Länder einen neuen Staatsvertrag schließen, der das vorgeschlagene Verfahren in einer rechtssicheren Form abbildet und der Stiftung für Hochschulzulassung den Auftrag und die zur Umsetzung erforderlichen Ressourcen gibt. „Das Papier ist jedoch ein zukunftsweisender Ansatz und eine gute Basis für weitere Gespräche“, so Wissing.
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