Morbi-RSA: BVA-Chef hofft auf baldigen Evaluationsauftrag
Berlin – Experten für die Finanzierung der Krankenkassen sind sich immer mehr darüber einig, dass es möglichst bald eine Gesamtevaluation des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) geben müsse. „Ich hoffe, dass das Bundesgesundheitsministerium uns bald den Auftrag dazu gibt“, erklärte Frank Plate, Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA), auf der Tagung „Health 2016“ des Handelsblatts in Berlin.
In der aktuellen Diskussion um „Schummeln“ bei Diagnosen sowie Betreuungsstrukturverträgen sieht der BVA-Chef keine heftigen Verwerfungen. So gehören Betreuungspauschalen beispielsweise bei den Selektivverträgen in der Hausarztzentrierten Versorgung dazu, auch das Kodieren werde bereits im Sozialgesetzbuch als Pflicht der Ärzte thematisiert. Aber auch er hält einheitliche bundesweite Kodiermaßstäbe für sinnvoll.
Plate sieht zudem keine unterschiedlichen Prinzipien bei der Kassenaufsicht auf Bundes- und Landesebene. „Die Linie der Aufsicht ist geschlossener, als es oft beschrieben wird. Wir haben eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe der Landesaufsichten und dem BVA und auch dort beschäftigen wir uns mit diesen Themen.“ TK-Chef Jens Baas hatte vor zwei Wochen mit einem Zeitungsinterview für Aufsehen gesorgt, in dem er erklärte, alle Kassen würden bei Diagnosen „schummeln“, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten.
Auf der Konferenz lobten viele Experten die bisherige Funktionsweise des Morbi-RSA. Auch aus Kreisen der Gesundheitspolitik kam Zuspruch: „Auch wenn ich kein Freund vom Morbi-RSA war, funktioniert er doch einigermaßen gut“, erklärte Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. „Auch im internationalen Vergleich hat der deutsche RSA eine überdurchschnittlich hohe Zielgenauigkeit“, sagte sie weiter. Ob es nun zu einem baldigen Auftrag der Politik zur Evaluation des RSA kommt, ließ sie offen, zeigte sich aber gesprächsbereit. „Man muss offen sein, den RSA weiterzuentwickeln. Wir werten derzeit die bereits vorgelegten Gutachten aus und entscheiden dann, ob wir etwas verändern müssen.“
RSA hat acht Reformbaustellen
Dass diese Veränderung kommen muss, machte eine Diskussionsrunde auf der Tagung deutlich. Jürgen Wasem, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates des BVA und Gesundheitsökonom an der Universität Duisburg-Essen, zeigte acht Reformbaustellen auf, die aktuell beim RSA diskutiert werden.
Dazu zählen die Wertung von Arzneimitteln bei der Therapie, die Problematik der Auslandsversicherten, der Empfänger von Erwerbminderungsrenten sowie die Krankengeldzuweisungen. Als ein „unerschöpfliches Thema“ bezeichnete Wasem die Reformbaustelle der Krankheitslisten: Dabei werden Krankenkassen für ihre Versicherten zusätzliche Gelder zugewiesen, wenn sie eine von 80 Diagnosen beim Arzt erhalten. Eine Reduzierung der Liste auf 30 bis 50 Krankheiten sei dabei keine zielführende Idee, meint Wasem.
Der Gesundheitsökonom stellte auch das Reformfeld „Regionalfaktor“ vor, das „ein ganz heiß diskutiertes Thema“ sei. Schnellschüsse seien aus seiner Sicht nicht möglich, es müsse „gründlich diskutiert“ werden, wie Unterschiede in der regionalen Kostenstruktur zustande kommen.
Als achte Reformbaustelle nannte Wasem den Hochrisikopool, der speziell teure Krankheiten abbilden soll. Dieser wurde vor einigen Jahren als „Entbürokratisierungsmaßnahme“ abgeschafft, damals auch auf Betreiben von Widmann-Mauz. Aus der Sicht von Wasem zeigen alle Einzelvorschläge, dass es sehr viele Variablen und damit viele Interdependenzen bei den Diskussionsvorschlägen gibt. Auch daher plädierte er für eine zügige Evaluation.
Trotz der unterschiedlichen Ergebnisse aller bislang vorgetragenen Studien sei man sich im Kern einig, erklärte auch IGES-Institutsleiter Karten Neumann: Das System müsse weiterentwickelt werden und entsprechende wissenschaftliche und rechnerische Parameter für die bessere Abbildung von Morbidität gefunden werden. Auch der Chef des AOK-Bundesverbands Martin Litsch sah, „dass wir eigentlich alle unglaublich nah beieinander sind“.
Doch im Detail konnten sich in der Diskussion die verschiedenen Kassenarten weiterhin nicht auf eine Lesart verständigen, wie die unterschiedlichen Geschäftsergebnisse der Krankenkassen zustande kommen. Neumann plädierte dafür, stärker die wirtschaftlich erfolgreichste und schlechteste Kasse in jeder Familie zu prüfen und somit herauszufinden, wie viel Einfluss gutes Management auf das finanzielle Ergebnis hat.
Die großen Hoffnungen, dass aus der Gesundheitspolitik möglichst zügig ein Evaluierungsauftrag zum Morbi-RSA raus geht, wurden allerdings am Ende der Runde getrübt: Während die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sich vehement für eine Evaluation aussprach, erklärte CDU-Gesundheitspolitikerin Karin Maag, dass sie noch weitere Gutachten abwarten und erst in der kommenden Legislatur periode über einen Auftrag entscheiden wolle.
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