Müll versus Hygiene: Eine gute Mitte finden

Berlin – Viele nicht nachhaltige Verhaltensweisen im Gesundheitswesen werden mit der Infektionsprävention begründet, obwohl sie nur teilweise dadurch begründbar sind. Dies betonte die frühere Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité, Petra Gastmeier, gestern auf der CleanMed 2024 in Berlin.
Dabei gehe es zum Beispiel um die Verwendung von Einmalhandschuhen oder -fadenziehsets oder um den Gebrauch von energieintensiven Belüftungssystemen im OP, so Gastmeier. Problematisch sei dabei insbesondere, dass es zu wenige valide Informationen darüber gebe, welche hygienischen Maßnahmen sinnvoll seien und welche unnötig.
Als Beispiel nannte Gastmeier die Verwendung von Einwegbronchoskopen. 2013 habe es erste Ausbrüche mit multiresistenten Erregern bei der Verwendung von Mehrwegbronchoskopen gegeben, erklärte sie. Zunächst sei angenommen worden, dass die Ursache für die Ausbrüche deren unzureichende Reinigung gewesen sei. In der Folge seien Einwegbronchoskope verwendet worden.
„Die Ausbrüche hatten ihre Ursache jedoch in einem neuen Design der Mehrwegbronchoskope“, so Gastmeier. Heute könne man diese sehr gut reinigen und brauche keine Angst vor Ausbrüchen zu haben. Dennoch würden noch immer Einwegbronchoskope verwendet.
2,3 Milliarden Einmalhandschuhe
Vielfach entscheide sich die Geschäftsführung eines Krankenhauses zudem, kostengünstige Produkte zu kaufen, auch, wenn diese viel Müll produzierten: zum Beispiel bei den Fadenziehsets.
„Einwegfadenziehsets sind ein Grauen“, sagte Gastmeier. „Sie sind aber so unglaublich billig, dass viele Krankenhausverwaltungen die Entscheidung treffen, sie zu kaufen.“ Dabei sei die Qualität der Einwegscheren nicht so gut wie die Qualität der Mehrwegprodukte.
Probleme gebe es auch bei Einmalhandschuhen. Der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zufolge werden pro Jahr 2,3 Milliarden von ihnen benutzt werden: Tendenz steigend. Auch hier sei Unwissenheit ein Problem. „Vielen ist nicht klar, wann sie Einmalhandschuhe tragen müssen und wann nicht“, sagte Gastmeier. „Wir haben in der Charité deshalb eine Kitteltaschenliste herausgegeben.“
Handschuhe sind demnach notwendig bei einem möglichen Kontakt mit Blut, Sekreten oder Exkreten, zum Beispiel bei der Blutentnahme, beim Absaugen, bei der Untersuchung von Körperöffnungen oder bei Notfällen. Nicht notwendig seien Handschuhe hingegen bei Injektionen, beim Arbeiten am Gefäßzugang ohne Blutfluss oder beim Bettenmachen.
Die Unsicherheiten befördert hätten uneinheitliche Vorgaben von Behörden während der Coronapandemie, kritisierte Gastmeier: „Die KRINKO hat 2021 erklärt, bei der Injektion einer Schutzimpfung seien keine Handschuhe notwendig. Im selben Jahr hat der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe, ABAS, medizinische Einweghandschuhe beim Impfen empfohlen.“
Lüftungsanlagen im OP abschalten
Als weiteres Beispiel nannte Gastmeier die Verwendung der Laminar-Air-Flow-Lüftung (LAF), mit der ein großes Luftvolumen in den OP eingeblasen wird, um auf diese Weise die Zahl der Erreger zu reduzieren. Mittlerweile sei klar, dass diese Art der Belüftung die Zahl der Wundinfektionen nicht reduziere, erklärte Gastmeier. Dafür verbrauche der LAF dreimal so viel Energie im Vergleich zu konventionellen Belüftungssystemen.
Die KRINKO schrieb bereits 2018: „Aus der Nutzung von LAF ergibt sich kein infektionspräventiver Effekt.“ Trotzdem halten Gastmeier zufolge viele Krankenhäuser an dem System fest. Und selbst in Neubauten werde es noch mit aufgenommen. Dafür könnten auch Unsicherheiten bei den Aufsichtsbehörden eine Ursache sein, meinte Gastmeier.
„Zudem laufen die Anlagen in vielen OP-Abteilungen immer noch rund um die Uhr, weil man Angst hat, im Notfall nicht schnell genug das erforderliche Lüftungsniveau zu erreichen“, kritisierte sie. „Das ist aber ein Irrglaube. Die Zeit, die man benötigt, den Patienten für den OP vorzubereiten, reicht aus, um die Anlage wieder zum Laufen zu bringen.“
Mitarbeitende fühlen sich geknebelt
„Medizinisches Personal ist in der Regel motiviert, nachhaltiger zu arbeiten“, sagte Gastmeier. Viele Mitarbeitende fühlten sich jedoch durch die bestehenden Regeln geknebelt. Und da es zu wenige solide Informationen gebe, fühlten sich viele nicht sicher genug, um anders zu arbeiten. Zudem glaubten viele Entscheidungsträger, dass es sicherer sei, Einwegprodukte zu verwenden – die gleichzeitig noch günstiger sind als die Mehrwegprodukte.
Philipp Henneke, Direktor des Instituts für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg, erklärte, dass die Müllvermeidung im Gesundheitsweisen viele Ärztinnen und Ärzte bewege. Das Thema bewegt sich im Spannungsfeld zwischen einer ausreichenden Hygiene und einer möglichen Reduktion des Mülls, der im Gesundheitswesen anfällt. „Es ist schwierig, hier eine gute Mitte zu finden“, sagte Henneke. Die Frage sei in jedem Fall, wie Ärztinnen und Ärzte hier besser werden könnten.
Nils Hübner, Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, erläuterte, dass es für viele Krankenhäuser eine große Herausforderung sei, das eigene Krankenhausgebäude nachhaltig umzubauen.
Was Krankenhäuser jedoch tun könnten, sei, im Alltag „den Unsinn“ wegzulassen. Er auch nannte als Beispiel, dass in manchen Krankenhäusern der Laminar-Air-Flow rund um die Uhr laufe. „Man kann ihn einfach herunterfahren“, sagte Hübner. „In 20 Minuten läuft er dann wieder problemlos. Man muss ihn nicht rund um die Uhr laufen lassen.“
Zudem sollten Krankenhäuser ihre Klimaanlage häufiger warten lassen. Denn wenn der Filter der Klimaanlage zugesetzt sei, verbrauche die Anlage viel mehr Strom. Schließlich sei es wichtig, dass sich die Krankenhäuser mit dem Thema Aufbereitung von Medizinprodukten beschäftigten. „Da gibt es heute sehr gute Möglichkeiten“, sagte Hübner. „Und man sollte auch bedenken, wo viele Einweg-OP-Bestecke herkommen.“ Zum Teil würden sie in Pakistan in Kinderarbeit hergestellt.
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